Das Kapitel über japanische Gemüsemesser

3.6K 142 21
                                    

"Gib Ghetto-Faust!" Anastasia starrte die Frau mit den schwarzen, wilden Locken verstört an. "Na los!", rief diese und hielt ihre Faust in Ana's Richtung. Zögerlich hob diese die Hand, damit die Frau einschlagen konnte. "Ich bin Mareike!" Ach so! O Gott, hoffentlich hatte sie getrunken und war deswegen so durcheinander. Aber Anastasia hatte die böse Ahnung, dass dies das Normalverhalten von Susi's Cousine war. "Ich nicht", murmelte sie und sah zur Seite, wo ein stupsnasiges Mädchen mit langen, braunen Kräuselhaaren sie anstrahlte. Sie war womöglich sogar in ihrem Alter, und Anastasia hätte ohne zu zögern zurückgelächelt, sähe dieses Mädchen nicht so überdimensional gestört aus. Immerhin hatte sie rote Augen. Rote! Dazu eine Haut, die einen an Porzellan erinnerte und auf der Nase saß, vollkommen schief im Übrigen, eine riesige Brille mit Zebramuster. Dazu ein paar verrückte Gewänder und es entstand ein Mädchen, das einen an diese Leute erinnerte, denen man in der Stadt besser aus dem Weg ging, weil sie einem sonst mit einem Pappbecher hintergerannt kamen, Spenden verlangten und einen volllaberten wie die Zeugen Jehovas. "Ich bin die Annabell!", flötete das Mädchen und schloss Anastasia völlig unerwartet in ihre dürren Ärmchen, woraufhin diese nach Luft schnappte. "Was hast du mit deinen Augen gemacht?", fragte sie hysterisch. "Ach", winkte Annabell ab, "ich hab 'ne Schwäche für rote Kontaktlinsen." Wie konnte so eine Familie gesetzlich überhaupt zugelassen werden? Gut, wahrscheinlich lag es an dem Anzugträger, der neben Mareike stand und der einzig normal denkende zu sein schien. "Ihr werdet beste Freundinnen", seufzte er. Hatte Anastasia gerade gesagt, er sei ein normal denkender? Wenn ja, nahm sie das schnellstens wieder zurück. "Jochen mein Name." Annabell rückte ihre Brille zurecht, dann flog sie Henry um den Hals, der das Treiben bis jetzt vor Schock schweigend betrachtet hatte. Ella zupfte Ana am Arm und zog sie aus der Tür. "Was sind das denn für Menschen?", zischte sie. "Wenn man sowas Menschen nennen kann!", brummte Anastasia und grüßte den Möbelpacker, der einen Perserteppich an ihr vorbeitrug. "Wo ist Kai?", fragte sie dann. "Musste Susi und Stephen ins Krankenhaus fahren. Die beiden hatten beide zwei Gläser Wein imtus und anscheinend hatte dieser Max einen Unfall." "Er heißt Moritz", bemerkte Ana gewichtig. Als sie Tim bemerkte, der direkt neben ihr stand, schrie sie laut auf. "Schrei doch nicht so", grinste er, während er seine Hände in ihre Taille legte und sie zu sich heranzog. Er kostete ihre Notlüge ja wunderbar aus...! "Ich kann das mit euch beiden immer noch nicht glauben", meinte Ella kopfschüttelnd. "Immerhin hat Ana mir vor zwei Tagen noch erzählt, dass du sie nervst und ihr Angst machst, Freundchen!" Tim machte ein Unschuldsgesicht, während Anastasia darauf hoffte, auf die Größe einer Erbse zu schrumpfen, um in den Gulli zu verschwinden. Warum musste das alles so kompliziert sein? Und warum, verdammt nochmal, log sie ihre beste Freundin an? "Wir sind gar nicht zusammen", sagte sie kläglich und wurde ganz klein, "aber bitte, Ella, ich flehe dich an, du kriegst alles, was du willst, wenn du es für dich behältst!" Tim zog seine Arme zurück, als würde er sich an ihrer Haut verbrennen. "Alter!", rief er empört und klang dabei ehrlich verletzt. "Ich musste es ihr sagen." Ana schossen zum ersten Mal, seit sie hier wohnte, Tränen in die Augen. Ella zog sie in eine liebevolle Umarmung. "Ich hab mich schon gefragt, wann du's mir endlich sagst." "Bitte sag's keinem!" "Nein, versprochen." Tim starrte Anastasia fassungslos an. "Also sind wir nicht mehr zusammen?" Ana sah ihn im Schein der Laterne an. "Sind wir eh nicht, Schwachkopf. Aber wir spielen weiter, bis Tim von der Bildfläche verschwindet."

    --------------------------

"Ihr Sohn ist über den Chihuahua meiner Mutter gefahren", schimpfte ein Mann, sobald sie das Zimmer betreten hatten. "Mama!", weinte Moritz und streckte Susi seine Arme entgegen. Sein Kopf steckte jn einem Verband, sein rechter Arm war eingegipst und am Knöchel hatte er zwei große Pflaster. "Was ist denn ein Chihuahua?", fragte Stephen verwirrt. "Ist das ein Getränk? Es klingt so exotisch." Der Mann schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. "Es ist eine Hunderasse." "Ach so." Susi war zu Moritz' Bett vorgestürzt und streichelte sein Gesicht. "Was machst du denn für Sachen?" "Ja, allerdings!", wetterte der Mann,  "Meine Mutter hatte seinetwegen einen mittelschweren Herzinfakt und liegt auf der Intensivstation. Billi ist tot." "Wer ist denn Billi?", fragte Susi, ohne den Blick von Moritz anzuwenden. "Na, der Hund!" "Ach, jetzt vergessen Sie doch mal den Hund, Herr... wie auch immer! Und lassen Sie meinen Sohn zufrieden und verlassen Sie bitte das Zimmer. Moritz steht unter Schock und wie ich höre, haben Sie die Beerdigung eines totgefahrenen Chucachucas zu planen." Der Mann explodierte fast. "Es heißt Chihuahua!" "Dan eben Cihaha, aber gehen Sie doch einfach!", rief Susi und deutete zur Tür. Vor Wut schnaubend verließ der Mann das Krankenzimmer und die beiden blieben ungestört mit Moritz allein, während Kai, der sie hergefahren hatte, auf dem Flur wartete.

Achtung Patchwork!Where stories live. Discover now