Kapitel 6 - Regen

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>>Objektivität: Alles hat zwei Seiten.
Aber erst wenn man erkennt,
dass es drei sind, erfasst man die Sache.<<

-Heimito von Doderer-


Mein Plan den Bus zu nehmen, wurde leider hinfällig, weil er nicht kam. Ich wartete ganze zwanzig Minuten an der Haltestelle. Mein Bus fuhr nur jede Stunde und weil es zeitlich gesehen schneller ging, wenn ich einfach zu Fuß zur Schule ging machte ich mich auf den Weg. Das bereits dunkle Wolken am Himmel aufzogen und es stark nach Regen aussah ignorierte ich einfach.

Ich brauchte etwa fünfundzwanzig Minuten bis zu unserem neuen Haus – das sagte Google maps jedenfalls – da ich den Weg aber noch nie alleine und auch nicht zu Fuß zurückgelegt hatte, bog ich einmal falsch ab und ging zehn Minuten in die falsche Richtung, sodass sich mein Weg um zwanzig Minuten verlängerte. 

Ich bedauerte bereits, nicht auf den nächsten Bus gewartet zu haben und war sowieso schon total genervt, als es schließlich auch noch anfing zu regnen. Ich zog mir meine Kapuze tief ins Gesicht, aber es regnete so stark, dass meine Haare dennoch innerhalb weniger Minuten vollkommen durchnässt waren. Meine Hose triefte schon fast und ich hatte noch fast fünfzehn Minuten zu gehen, was das Ganze nicht besser machte.

Ich bemerkte ein Motorrad, das an mir vorbeifuhr und es kam mir seltsam bekannt vor. Plötzlich hielt es an und wartete, bis ich auf entsprechender Höhe war. Der Fahrer schob sein Visier hoch und ich erkannte Kyle.

Sein Gesicht war so finster wie immer und ich erwartete schon einen blöden Spruch, weil ich so nass war, aber stattdessen drehte er sich einfach um, holte einen Helm aus dem Gepäckfach hinter ihm und hielt ihn mir entgegen.

Etwas entgeistert sah ich erst den Helm und dann ihn an.

Er seufzte genervt und verdrehte die Augen. „Steig auf." Forderte er mich ausdruckslos auf.

Einen Moment lang war ich so überrascht, dass ich mich nicht bewegte.

„Entweder du steigst jetzt ein oder ich fahre alleine weiter." Er klang zwar genervt, sah mich aber dennoch mit einem Gesichtsausdruck an der ein wenig weicher wirkte als gewöhnlich.

Ich nahm ihm den Helm aus der Hand und kletterte hinter ihm auf sein Motorrad. Ich war noch nie auf so einem Ding gefahren und war mir unsicher wo ich meine Füße hin tun sollte und wo ich mich am besten festhielt ohne Kyle auf die Pelle zu rücken.

Er schien meine Unsicherheit zu spüren. 

Er deutete auf ein Stück Leiste an der hinteren Seite der Maschine „Stell deine Füße da ab und halt dich an mir fest."

Ich klammerte mich in seine Jacke, mein Herz klopfte wild.

Aber Kyle griff nach meinen Handgelenken und schob sie unter die Jacke. Er legte sie soweit um seinen Oberkörper, dass meine Hände wieder aufeinander trafen und ich dicht hinter ihm war.

„Du verlierst das Gleichgewicht, wenn du dich nur an der Jacke festhältst." Erklärte er knapp und nur einen Moment später beschleunigte er abrupt.

Mir entwich ein erschrockener Laut und ich drückte mich noch dichter an seinen Rücken um nicht hinten vom Motorrad zu fallen. Mein Herz klopfte noch schneller als zuvor und ich schloss die Augen, um nicht zu sehen wie schnell wir fuhren. 

Der Wind zerrte an meinen Haaren, aber vom Regen bekam ich kaum etwas mit, weil Kyles Körper meinen größtenteils abschirmte.

Ich bemerkte zuerst gar nicht, dass wir bereits vor Kyles Haus standen, löste dann aber rasch meinen Griff um ihn und kletterte von der Maschine. Mein Puls beruhigte sich langsam wieder, als ich endlich festen Boden unter den Füßen hatte. 

Ich nahm den Helm ab und sah zu Kyle, der es mir nachtat.

„Ähm, danke." Sagte ich etwas verlegen. Es fühlte sich seltsam an mich bei ihm zu bedanken und es war auch seltsam, dass keiner dem anderen irgendetwas an den Kopf warf.

Er nickte nur knapp und behielt seinen neutralen Gesichtsausdruck bei.

Ich versuchte mich an einem zaghaften Lächeln und reichte ihm den Helm, den er entgegennahm und wieder verstaute.

„Also dann... ich gehe wohl lieber rein." Ich deutete in den mittlerweile nachlassenden Regen.

„Gute Idee. Wir wollen ja nicht, dass dein restliches Make-up auch noch verläuft." Er warf einen bedeutenden Blick auf mein Gesicht und drehte sich dann ohne eine Verabschiedung um.

Ich zeigte ihm hinter seinem Rücken den Mittelfinger und rief ihm hinterher: "Ich trage heute gar kein Make-up du Idiot!"

„Dann muss es wohl einfach an deinem Gesicht liegen."

Entgeistert starrte ich ihm nach, als er sein Motorrad in die Garage schob und anschließend im Haus verschwand. 

Und ich hatte schon gedacht, er könnte auch nett sein!

„Freya, kommst du rein?" rief meine Mom streng.

Ich drehte mich um und sah sie im Türrahmen unseres Hauses stehen und durch den Regen zu mir rüber blicken.

Ich folgte ihrer Anweisung. Als ich den Flur betrat und meine nassen Schuhe und die ebenfalls durchnässten Socken auszog, bemerkte ich, dass meine Mutter mich mit einem strengen Blick betrachtete.

„Sorry, dass ich zu spät bin. Der Bus ist nicht gekommen und dann habe ich mich auch noch verlaufen." Erklärte ich.

Meine Mom sah skeptisch aus und stemmte die Hände in die Hüften. „Lüg mich nicht an Fräulein." Sagte sie mahnend und ich zog verwirrt die Brauen zusammen. „Ich habe doch gesehen, dass du mit diesem Typen auf seinem Motorrad gekommen bist."

verständnislos sah ich sie an „Er hat mich auf dem Weg eingesammelt, damit ich nicht durch den Regen laufen muss." 

„Ich möchte nicht, dass du auf so ein Ding steigst." Energisch machte sie einen Schritt auf mich zu „Und erst recht nicht bei so einem Wetter. Es ist absolut unverantwortlich von ihm, dich einfach so mitzunehmen und du solltest nicht einfach aufsteigen."

Sie tat ja gerade so als wäre ich bei einem fremden mitgefahren.

„Mom, ich kenne ihn doch und außerdem hatte ich einen Helm auf und es ist nicht passiert." Versuchte ich sie zu beschwichtigen, aber ihr Gesicht wurde nur noch wütender. „Du steigst da nicht mehr auf, hast du mich verstanden?"

Ich nickte.

Sie sah zufrieden aus „Gut. Ich habe Kuchen gebacken, wasch dir die Hände und komm dann an den Tisch." Sie ließ mich verdattert zurück und kehrte in die Küche zurück. 

Peter nahm ihren Platz ein und lächelte mich an „Sie ist nur besorgt." Erklärte er warm „Wie war die Schule?"

Ich erwiderte sein Lächeln und nickte „gut." Ich sah an mir hinunter „Ich gehe mich kurz umziehen, sagst du Mom Bescheid?"

Er nickte „Klar."

Ich drehte mich um und lief die Treppen zu meinem neuen Zimmer hoch.


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Heute ein zusätzliches Kapitel, weil ich so viele auf Vorrat habe.

Morgen kommt dann das nächste.

LG Kat


faking itWhere stories live. Discover now