Epilog

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Es war wie vor wenigen Monaten. Die weißen Wände, die weiße Bettwäsche, die lauten Schritte vom Flur, welche durch den ganzen Gang halten, die zierliche Figur in dem viel zu großen Bett.

Mit geröteten Augen hielt er ihre Hand und betrachtete ihr Profil. Die Stirn war von einer großen Schürfwunde überzogen, in den Wangen sah man viele kleine Schnitte.

"Es tut mir so leid", hauchte er und strich über ihre kleine, blasse Hand. Sie war noch genauso weich, wie als er sie das erste mal in seine geschlossen hatte. "Es tut mir so leid", wiederholte er und die Tränen bannten sich ihren Weg über seine Wangen.

Seit Monaten kam er hier her. Zu ihr. Zu seiner Freundin. Seiner Verlobten. Und jedesmal ging er mit den selben Worten. "Noch ein Tag."

Die Blicke der Ärzte, Krankenschwestern und aller Passanten entgingen ihm nicht. Doch er wollte es nicht hören, von niemanden.

Die Karriere interessieren ihn schon lange nicht mehr. Konzerte spielte er nur noch für sie. Für niemanden sonst.

Sein Leben hatte sich verändert. Von jetzt auf gleich.

Es war seine Schuld gewesen. So wie es vor wenigen Monaten ihre gewesen war. Nur das sie dabei war, nicht er alleine. Ihn hätte es erwischen müssen.

Erst jetzt, in diesem Moment, verstand er richtig, wie sie sich gefühlt haben musste. Die Vorwürfe, dass man es hätte verhindern können. Die Schuld an sich selbst, das man versagt hatte.

Er hätte sie einfach verstehen müssen.

Das Ticken der Uhr erschien ihm auf einmal unglaublich laut. Sein Blick wanderte zur Uhr. Ebenfalls weiß, wie alles in diesem Raum. Die Blumen, die Liam vor wenigen Tagen auf den Schrank neben ihrem Bett gestellt hatte, waren schon längst eingegangen und hatte ihre Köpfe hängen lassen.

17:53

Viel Zeit hatte er nicht mehr. Mit einem schwachen Lächeln stand er vor seinem Stuhl auf, unbequemer Stuhl. Ebenfalls weiß.

Mit hängenden Schulter schlurfte er zur Tür und griff nach seiner Gitarre, die ordentlich eingepackt war.

Kurz zögerte er einen Moment, bevor er sich doch dazu entschied und das Instrument mit schwachen Händen hochzog. Alles an ihm war schwach. Seine sonst immer gut aussehenden Haare standen wirr in alle Richtungen ab und der braune Ansatz kam langsam immer deutlicher durch. Seine sonst so strahlenden Augen hatten jeglichen Glanz verloren. Nur ein kleinen Schimmer Hoffnung konnte man noch erahnen.

Mit dem Blick auf dem Boden ließ er sich wieder auf seinen Stuhl sinken und zog die braune Gitarre aus dem Koffer. Es war ihre liebste gewesen. Die schönste von allen, hatte sie immer gesagt. "Mit Zaubersaiten" hörte er ihre Stimme in seinem Kopf und sofort sprang sein Blick zu ihren Augen. Doch nichts. Geschlossen, wie die letzten zwei Monate, und sechszehn Tagen auch.

Vorsichtig strichen seine Finger über die Saiten und der etwas verstimmte Ton bescherte ihm eine Gänsehaut. Langsam schlug er ein paar Töne an, senkte seinen Kopf, um seine Finger betrachten zu können.

Or else we'll play, play, play on the same old games

And we wait, wait, wait for the end to change

And we take, take, take it for granted that we'll be the same

But we're making all the same mistakes

Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Es kostete ihn unglaublich viel Kraft, die Wörter über die Lippen zu bringen. Immer wieder wurde er von Schluchzern unterbrochen und musste neu ansetzen.

Es frustrierte ihn unglaublich, dass er es nicht tun konnte. Er wollte für sie singen, dass Lied, welches er vor vielen Jahren geschrieben hatten, als sie sich für wenige Wochen getrennt hatten.

Es war auf ihrem Debutalbum erschienen, doch keiner der Jungs hatte sich jemals getraut zu fragen, ob es einen Hintergrund für das Lied gab. Doch es gab einen.

Seine Finger rutschten von der Seite ab und erzeugten einen lauten, klirrender Ton. Erschöpft ließ er seinen Kopf auf das perfekt geschliffene Holz der Gitarre sinken.

"Bitte Josy",schluchzte er. "Bitte. Wach auf." Sein Schluchzen wurde unkontrollierter, er schnappte nach Luft und fuhr sich mit einer Hand über die Augen, um die Tränen weg zu wischen.

Immer wieder sah er die Bilder vor sich. Wie sie lachend auf dem Beifahrersitz saß, ihre Hand auf seiner lag und sie leise die Weihnachtslieder im Radio mitsummte.

Es war nur ein Moment der Unachtsamkeit gewesen. Und doch hatte dieser Moment alles zerstört. Sein Leben. Ihr Leben. Das gemeinsame Leben.

Für eine kurzen Augenblick sah er alles noch einmal. Das viele Blut, die weit aufgerissen Augen, ihr Schrei bevor auch bei ihm die Erinnerungen verschwanden.

18: 07

"Ich wünschte ich könnte es rückgängig machen, Josy."schluchzte er. "Ich hätte besser aufpassen sollen. Ich habe dir immer geschworen, dass dir nichts passieren wird, Josy, niemals. Es tut mir so leid, ich..." Seine Worte brachen ab und wurden von lauten Schluchzern ersetzt. "Es tut mir alles so leid!" Die eben noch kaum hörbaren Worte waren verschwunden. Es war die pure Verzweiflung, die aus ihm schrie. "Bitte! Wach auf, ich kann nicht mehr. Ich kann nicht ohne dich, bitte! Wie soll ich das denn alles ohne dich schaffen?" Langsam ließ er seinen Gitarre zu Boden sinken, bevor er nach ihrer Hand griff und seinen Finger zwischen ihre schob.

Er konnte das Vibrieren in seiner Tasche spüren. Tränen stiegen wieder in seine Augen. Mit verschleierten Blick legte er einen Hand auf ihren Bauch. "Ich liebe dich, mein Engel." Seine Hand fuhr zitternd hoch zu ihrem Haar, welches in leichten Locken auf ihrer Brust lag. "Weißt du, wenn ich mir eine Sache wünschen könnte, dann wäre es, dass ich dich noch einmal zum Lachen bringen könnte." Ein kleines Lächeln huschte über sein müdes Gesicht. "Ich hatte immer gedacht, dass ich es jeden Tag und immer wieder hören könnte." Er schwieg einen Moment zog an einer ihrer Locken, bevor er sie sich wieder um den Finger wickelte. "Die anderen haben dich schon alle aufgegeben. Selbst Maria. Sie ist so unglaublich schnell groß geworden, hörst du? Ich wünschte sie könnte dich noch einmal sehen. Aber...aber...die Ärzte lassen sie nicht." Sein Blick wanderte zu Boden und eine Träne tropfte auf sein Bein. "Vielleicht ist es auch besser so...",murmelte er. "Sie sollte dich so nicht sehen, sie sollte dich so in Erinnerung behalten, wie du wirklich warst. Klug." Eim kurzer Lacher viel aus seinem Mund, als er an ihre besserwisserische Art denken musste. "Wunderschön und intelligent. Du bist ihr Vorbild, Josy."

Ein Klopfen an der Tür ließ seinen Blick hoch schweifen. Die Klinke drückte sich nach unten.

"Mr. Horan?" Ein Arzt betrat das Zimmer. Seine Haare wurden langsam grau, die Brille auf seiner Nase war ein wenig nach unten gerutscht und der rote Kulli an seinem Kittel stach sich mit den grünen Punkten, welche von dem Shirt unter seinem Kittel hervor schauten. Ihm fielen seit längerem die Kleinigkeiten an und von den Menschen auf. "Vielleicht ist es Zeit Abschied zu nehmen." Ein Kloß bildete sich in seinem Hals und seine Brust zog sich vor Schmerz zusammen.

Der Stuhl knarzte unter seinen Bewegungen.

"Das habe ich schon." Der Arzt nickte, warf ihm noch ein letztes, aufmunterndes Lächeln zu, bevor er ihm wieder alleine ließ. Die letzten Minuten. "Ich werde gut auf die beiden aufpassen. Und ich werde dafür sorgen, dass Maria dich niemals vergessen wird." Vorsichtig beugte er sich zu ihr herunter und drückte seine Lippen auf ihre Stirn. Vielleicht würde es ja doch noch heilen. "Du warst perfekt für mich Jocelyn, aber du hast mir gezeigt, dass perfekt nicht immer gut ist. Danke."

Entschlossen ging er auf die Tür zu, griff nach der Klinke und verließ den Raum. Bevor er es sich anders überlegte.

Der Arzt lehnte gegenüber an der Wand. One Direction daneben. Ein kurzes Nicken, dann würde sie ihn verlassen. Aber an seinem Finger würde sie bleiben.

~ The End ~

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