6. Kapitel: Gespräch

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„Ein Kinderzimmer? Im Ernst, Niall?". Ein Kinderzimmer. Für ein Kind. Ein kleines Baby.Unser kleines Baby? Was hat mich da geritten, dass ich zugestimmt habe? Oder ist es von mir ausgegangen?

„Das ist mein voller Ernst, Kleines... Und deiner war es auch vor dem Unfall...", nuschelt er und zieht mich an seine Brust. Ein Kind.

„Ich bin 19... Da wird man doch nicht schwanger, Niall. Ich... Nein". Ich sehe zu ihm hoch, sehe wieder diesen traurigen Ausdruck in seinen Augen, der sich in meinen Kopf einbrennt.

„Vor dem ganzen hast du anders gedacht... Du hast dich gefreut auf einen Zwerg, der auf kurzen Beinchen durch die Wohnung tapst und um den du dich kümmern kannst. Das war unser Traum." Er lächelt gequält und haucht einen Kuss auf meine Stirn, aber ich winde mich aus seiner Umarmung.

„Ich... Ich glaub, ich brauch ein bisschen Zeit für mich, okay?". Mit diesen Worten verschwinde ich im Schlafzimmer, werfe mich auf die eine Betthälfte, vergrabe mein Gesicht in den Kissen. Sie riechen nach ihm, sein Geruch hüllt mich ein. Ein Kind. Wir wollten ein Kind. Ein kleines Baby. Tief atme ich ein. Kleine Kinder sind süß, aber ich würde jetzt noch keines wollen. Ich bin 19, da wird man nicht schwanger. Mit 22 oder 23 geht das. Ja, vielleicht hab ich vor dem Unfall anders gedacht. Weil ich da wusste, was er und ich in unseren fünf Jahren Beziehung durchgemacht haben. Weil ich mich an jeden Streit, jeden Kuss erinnern konnte. Aber es ist alles weg. Meine Gefühle für ihn auch, nur das Vertrauen zu ihm baut sich langsam wieder auf. Vielleicht verstecke ich mich einfach zu sehr hinter meinen verlorenen Erinnerungen. Ich nutze sie als Ausrede. Vielleicht wollte ich wirklich ein Kind. Mit ihm. Ich muss ihn geliebt haben, sehr sogar. Aber jetzt... Ein Kind. Irgendwo gefällt mir die Vorstellung doch. Aber nicht jetzt. Nicht zu diesem Zeitpunkt.

Gerade eben wünsche ich mir nichts mehr als eine beste Freundin, der ich alles erzählen kann, die mir helfen kann. Aber ich habe nur Niall, meine Mutter und die kleine Maria.

„Kann ich... Kann ich reinkommen?", höre ich Niall's Stimme dumpf durch die Tür. Was bleibt mir anderes übrig? Es wird vielleicht Zeit, ein Gespräch zu führen. Antworten einzufordern.

„Ja". Ich setze mich auf, lehne mich in die Kissen, sehe zu, wie die Tür langsam aufschwingt und er vorsichtig reinschaut.

„Du liegst auf meiner Seite", murmelt er und setzt sich zu mir. „Aber das ist nicht schlimm. Bleib liegen", protestiert er, als ich auf die andere Bettseite rutschen will.

„Ich glaube, wir sollten reden". Er erstarrt. „Einfach so... Du erzählst und ich hör zu, okay?". Sofort entspannt er sich wieder und ein kleines Grinsen schleicht sich auf sein Gesicht.

„Was soll ich erzählen?". Er lässt sich in die Kissen fallen, legt einen Arm um mich. Er kann es nicht lassen. Aber es tut gut, einfach von jemandem gehalten zu werden. Zu wissen, dass da jemand ist, der dich in den Arm nimmt.

„Alles?", murmele ich, lege meinen Kopf auf seine Brust.

„Okay... Also... ganz von vorne... Als wir uns das erste Mal gesehen haben, warst du 15 und ich 16. Dein Dad hat die Fußball Mannschaft übernommen in der ich gespielt habe und du warst beim Training dabei. Am Anfang warst du ganz schüchtern, aber je öfter dein Dad dich mitgenommen hat, desto frecher und vorlauter wurdest du. Manchmal hast du sogar mitgespielt... Und irgendwann haben wir einen neuen Trainer gekriegt und du warst weg. Dein Dad auch. Ich hab dich gefühlte Ewigkeiten nicht gesehen, drei Monate glaub ich. Und dann hast du meinen Bruder kennengelernt und auf einmal hast du da in unsere Küche gesessen, mit dem Buch auf dem Schoß und der Limo in der Hand und hast mich angegrinst. Irgendwann hab ich dich gefragt, ob wir mal gemeinsam ins Kino gehen könnten, sozusagen als Ausgleich, dass du meinen Bruder ertragen musstest". Ich seufze. Das wird das einzige sein, was mir bleibt. Erzählungen von Erinnerungen.

„Was ist?", fragt Niall.

„Nichts... Erzähl weiter", beeile ich mich zu sagen. Ich will wissen, wie es weitergeht.

„Okay. Auf jeden Fall sind wir dann öfters ausgegangen und an deinem 16. Geburtstag sind wir zusammen gekommen. Relativ unspektakulär eigentlich. Wir saßen auf der Couch und haben geredet und irgendwann hast du gemeint, du hättest dich in mich verliebt - einfach so aus dem Nichts und dann hab ich dich geküsst. 2010 bin ich dann nach X-Factor gegangen. Plötzlich ging alles ganz schnell und ich wohnte in London, während du noch bei deinem Vater in der Stadt gewohnt hast. Wir hatten immer wieder mal Stress, weil keiner von uns Bock auf eine Fernbeziehung hatte, ich einen vollen Terminkalender hatte und du bist da frisch 18 geworden und warst auch noch voll im Abistress und so... Da hatten wir 'ne kurze Pause... Aber wir haben uns zum Glück wieder gefangen und letztes Jahr im Sommer hast du beschlossen, du ziehst hoch zu mir und dann haben wir uns dieses Haus ausgesucht - du wolltest unbedingt ein größeres Haus eher außerhalb von London.... wir haben es eingerichtet und dann bist du für zwei Wochen nochmal Brighton, weil ich auf Konzerten war... Und dann ist es passiert... Naja... Und jetzt sind wir hier". Er lächelt leicht, malt Kreise auf meinem Oberarm.

Ich beiße mir auf die Lippe.

„Als dann die Polizei vor der Tür stand...", er stockt und schluckt hörbar, „Ich dachte, du bist tot. Ich hab gehört, dass es einen Unfall gab auf der Strecke, die du gefahren bist und dann stehen die da und fangen schon an mit 'Tut uns Leid, Ihnen mitteilen zu müssen'... Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren. Das hat mich fast umgebracht", flüstert er. „Und dann wollten die mich im Krankenhaus nicht mal zu dir lassen. Mir nicht mal Auskunft geben, wie's dir geht. Nur weil ich mit dir nicht verwandt bin. Ich bin vor Sorge fast umgekommen. Ich kann nicht ohne dich und ich würde alles dafür geben, dass du dich wieder erinnerst". Er drückt einen Kuss auf meine Stirn, drückt mich fester an sich. Er hat mich schon verloren.

„Du musst mich sehr lieben", murmele ich und könnte mich im gleichen Moment dafür ohrfeigen. Aber er nimmt es nahezu gelassen.„Das tue ich... Und irgendwann wird es wie früher, versprochen, Kleines". Er sieht für einen kurzen Moment glücklich aus, aber das verschwindet sofort wieder. „Ich dachte wirklich, ich hätte dich verloren". Ich atme tief ein. Er tut mir leid.

„Das erste, was ich gehört habe, als ich wieder aufgewacht bin...", flüstere ich und drehe mich so, dass ich ihm in die Augen sehen kann. „Das war deine Stimme... Du bist meine erste Erinnerung".

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