Kapitel 30: Gone

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Dank ein paar ermüdender Sitzungen beim Psychodoc und einiger Wutausbrüche meinerseits sind die zwei Wochen bis zum Geburtstag meiner Schwester schneller um als gedacht - und gewollt. Heute hat Maria Geburtstag... und ich werde Niall wiedersehen.

Die Besuche bei Doktor Smith waren eher weniger aufschlussreich, wir arbeiten seit Ewigkeiten den Unfall auf. Inzwischen könnte ich vermutlich ein 1000-seitiges Buch drüber schreiben. Wir haben jede Sekunde - so fühlt es sich zumindest an - durchgekaut, angefangen von meinem Losfahren zuhause in Brighton, an das ich mich nicht erinnern kann, über die genaue Unfallstelle (die ich mir laut Doktor Braun auf jeden Fall ansehen soll) bis zu meiner ersten Erinnerung im Krankenhaus - Niall's aufgebrachte, verzweifelte Stimme. Über die Aussicht ihn zu wieder zu treffen, haben wir auch gesprochen. Ich werde ihn sehen, mindestens einen Tag. Und ich musste ehrlich sein: In dieser einen Sitzung, die sich nur um ihn und unsere Beziehung gedreht hat, wurde mir klar, dass ich ihn vermisse. Irgendwie. Sehr. Je mehr wir über ihn reden, je mehr ich mich erinnere - und das tue ich, wenn auch nur in kleinen Momenten, vielleicht Millisekunden. Und meistens kann ich mir dann einreden, dass ich mir das nur einbilde. Funktioniert ziemlich gut.

Die Wutausbrüche waren ebenfalls nur in den Sitzungen. Irgendwann ist mein Ärger über Gott und die Welt eben rausgeplatzt und war nicht mehr auszuhalten. Doktor Smith kann von Glück reden, dass sein Büro noch in Ordnung ist beziehungsweise seine Praxis noch steht. Und jetzt sitze ich in der U-Bahn - Autofahren werde ich wohl nie wieder, zumindest nicht selbst - auf dem Weg zu einem Spielzeugladen. Und überlege, was ich meiner Schwester schenken könnte. Ich kenne sie ja kaum. Ich weiß gar nichts über sie. Nur dass sie morgen eben Geburtstag hat und dass sie stolze acht Jahre alt wird. Was schenkt man einem kleinen, achtjährigen Mädchen? Puppen? Schulsachen? Ich weiß es einfach nicht. Also werde ich einfach in diesen dämlichen Spielzeugladen gehen und das Erstbeste nehmen, von dem ich glaube, dass es ihr gefällt. Ich könnte auch einfach eine Verkäuferin fragen oder so.

Zwei Stunden später war ich also tatsächlich erfolgreich. Meine Hand hält eine kleine Tüte umklammert, in der sich ein Shirt befindet. Von One Direction. Den Spielzeugladen hab ich praktisch direkt nach dem Betreten wieder verlassen, ich war mir nämlich ziemlich sicher, dass das nicht so ganz das ist, was ich mir unter einem Spielzeugladen vorstelle. Es war mehr eine Art Megastore für lauter unsinnigen Kram, der Kinder verblödet. Sprechende Puppen, sich bewegende, mechanisch bellende Hunde und das Allerschlimmste: Plastikgewehre mit Kugeln. Als würde man die Kinder zu Soldaten erziehen wollen. Und dann der ganze andere Kram. Handys, die einfache Melodien abspielten, sogenannte Lerncomputer, ein Gameboy, mit dem man spielerisch lernen konnte. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass man mit solchem Schrott wirklich ernsthaft lernt. Kein Wunder, dass immer weniger Kinder aufs Gymnasium gehen - das hab ich in einer Elternzeitschrift im Wartezimmer bei Doktor Braun gelesen.Und warum nun ein Shirt und ausgerechnet vom One Direction - und dann auch noch vom dem Kerl, der mich seit Wochen in meinen Träumen - ob gute oder böse - heimsucht, der mein Ex ist, dem ich entkommen will: Niall James Horan. Die Antwort ist ganz einfach, wirklich simpel. Marias trauriges Gesicht, wenn ich allein nach Hause komme ohne ihn, wenn ich ihr sage, ich will ihn nicht sprechen, sooft sie ihn am Telefon hat, wenn ich seine Briefe - ja er hat anfangs Briefe geschrieben - ungeöffnet im Mülleimer vergammeln lasse und Maria sie rettet und öffnet und mir die Papiere aufs Bett legt und sie doch wenig später wieder im Mülleimer findet. Sie tut mir leid.

Mit Niall hat sie so etwas wie ihren Bruder verloren. Sie vermisst ihn. Und in schwachen Momenten muss ich mir eingestehen, dass sie nicht die Einzige ist. Und auch wenn ihn das Shirt nicht zurück bringt - außer für die kurze Zeit während ihrem Geburtstag - so ist es immerhin etwas, was sie immer an ihn erinnert. Auch wenn es noch so oft nur ein verdammter Fetzen Stoff ist.Zuhause hab ich dann wirklich Mühe gehabt, die Tüte mitsamt Inhalt vor der kleinen Neugiersnase alias meiner kleinen Schwester versteckt zu halten. Die Kleine ist mir nämlich dann auf Schritt und Tritt bis hoch in mein Zimmer gefolgt und ich war echt froh, dass ich noch ein bisschen shoppen war vorm Heimfahren, so dass ich dann die kleine Tüte in einer größeren verstecken konnte.Und jetzt stehen wir zwei am Herd und versuchen uns an Nudeln mit roter Soße, Marias Lieblingsgericht.

Naja, eher versuche ich mich daran, Maria klaut Soße und Nudeln und hin und wieder ein Bonbon aus der Schüssel im Wohnzimmer. Die ganze Küche ist voll gekleckst von unseren eher glücklosen Anfangsversuchen und wir beide sehen auch ziemlich bunt aus, aber inzwischen haben wir den Dreh raus. Die Nudeln kochen seit zwei Minuten im heißen Wasser und die Soße schmeckt auch schon ganz gut. Zumindest finden wir das.Mama ist irgendwo in der Stadt, vielleicht auch Geschenke kaufen, ich weiß es nicht, aber wir haben gerade die Verantwortung und ich wette, es macht Maria genauso viel Spaß wie mir.

„Josy?" Ich sehe zu der Kleinen und fange sofort an zu grinsen. Maria hat Soße wirklich überall, sogar im Gesicht. Mir ist zwar wirklich schleierhaft, wie wir das geschafft haben und so ein Chaos veranstalten konnten, aber bevor Mama heimkommt, müssen wir echt die Küche putzen - und uns müssen wir auch sauberkriegen.

„Ja?" Ich gehe ein wenig in die Hocke und wische ihr die schlimmsten Spritzer aus dem Gesicht. Ihre Kleidung kann ich nicht mehr retten, das kann dann nur noch die Waschmaschine und ein richtig guter Fleckenentferner. Hoffentlich.

„Es hat geklingelt." Ich nicke, nehme ihre Hand und dreckig wie wir sind, öffnen wir die Tür. Und das Grinsen verschwindet schlagartig aus meinem Gesicht. Im Gegensatz zu Maria. Die springt dem Neuankömmling sofort in die Arme. Und ich? Ich stehe einfach tatenlos da und hab keine Ahnung, was ich jetzt tun soll.

*****

Der Countdown läuft! :D Nur noch fünf Kapitel :/

Danke für's lesen, meine Lieben :) Bis zum nääächsten mal, Schnuffis ;D Fühlt euch alle geknuddelt :*

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