Kapitel 29

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Am letzten Schultag vor den großen Ferien herrschte allgemeine Unruhe. Niemand hatte mehr Lust, den Lehrern zuzuhören, die in den ersten beiden Stunden vor der Zeugnisübergabe Organisatorisches für das nächste Schuljahr abklären wollten oder tatsächlich die Absicht hatten, noch Unterricht zu machen.

Der komplette elfte Jahrgang lümmelte sich erwartungsvoll in einem großen Klassenzimmer und zählte praktisch die Minuten, bis es endlich hieß, dass der Sommer beginnen konnte. Viele schwatzten aufgeregt über bevorstehende Urlaube, über geplante Ausflüge oder einfach nur über die wunderbare Aussicht auf das süße Nichtstun.

Marius, der von seiner Clique, abgesehen von Franziska, als Einziger nicht verreisen würde, fand diese Tatsache nun, da er und Daniel zueinander gefunden hatten, nicht mehr so schlimm. So würde er mit ihm zusammensein können, ohne die anderen zu vernachlässigen.

Für ihn stand es außer Frage, dass er nicht allein mit Franzi abhängen würde, nicht nachdem, was sie ihm gestanden hatte, was sie sich ihm gegenüber erlaubt hatte. Er wollte einfach nicht, dass sie meinte, nur weil sie allein Zeit verbrachten, dass das irgendetwas ändern würde. Hoffnungen auf irgendwas waren das Letzte, was der Jugendliche dem hellblonden Mädchen machen wollte. Er hoffte stattdessen, dass zwei Wochen Abstand ihr helfen würden, über ihre Gefühle zu ihm hinweg zu kommen. Wenigstens ein Stück weit.

Und er wollte zwei Wochen, die er sich voll und ganz nur auf Daniel konzentrieren konnte.

Marius grinste vor sich hin, während er sich auf seinem Stuhl lümmelte, die Beine auf einem Tisch, während seine Freunde genauso aufgeregt schnatterten wie die anderen. Es fiel dem Jugendlichen schwer, nicht quer durch den Raum zu schauen, wo Daniel mit seinen Leuten saß. Er wusste, würden ihre Blicke sich treffen, würde jeder, der das bemerkte, sehen, dass da etwas im Busch war. Denn Marius konnte nicht mehr aufhören, zu grinsen und zu strahlen, wenn er den Dunkelhaarigen sah. Die letzten paar Tage seit ihrem kleinen Abenteuer auf dem Hundeplatz hatten sie mit Simsen und gemeinsamen Spaziergängen außerhalb Lengwedes verbracht, wann immer sich die Möglichkeit ergab für Daniel, von seinen Pflichten auszubrechen. Marius hatte es da leichter, denn er pfiff die meiste Zeit auf das Gemecker seines Vaters und schob Sport vor, wenn seine Freunde etwas mit ihm unternehmen wollten. Er bedauerte es, sie ein bisschen nach hinten zu schieben, doch es ging nicht anders, wenn er Zeit mit Daniel verbringen wollte, ohne dass es jemand mitbekam.

Und obwohl er es traurig fand, diese Heimlichtuerei, war ihm, als wäre ihm eine Last genommen worden. Denn derjenige, vor dem er sich am meisten zusammengerissen hatte, damit der nichts mitbekam, war nun sein fester Freund.

Marius spürte einen unbändigen Drang, Daniel in die Arme zu schließen. Er hatte bereits an dem Abend, als sie zusammenkamen, vorhergesagt, dass seine Nächte unruhig werden würden und das stimmte. Es verging nicht eine einzige, in der er nicht davon träumte, mit dem Dunkelhaarigen irgendwo allein zu sein.

Doch bislang war zwischen ihnen nicht mehr passiert als Schmusen. Das war okay. Marius genoss es, sich Daniel langsam und Stück für Stück zu nähern, bis sie beide so weit sein würden, um den letzten Schritt zu gehen.

Hitze und eine kribbelige Aufregung wallte in dem Jugendlichen hoch, als er den Kopf hob, weil die Tür zum Klassenzimmer aufging. Daniel war im Begriff, den Raum zu verlassen und ihre Blicke trafen sich. Auch ganz ohne eine Mimikveränderung schien in den Augen des Dunkelhaarigen die Aufforderung zu stehen, ihm zu folgen.

Marius, der bereits bei dem Gedanken daran, einen Augenblick mit Daniel allein sein zu können, in Flammen stand, wartete eine Minute und erhob sich dann ebenfalls.

»Mann, ist das langweilig«, schnarrte er. »Ich geh' mal pinkeln.«

Seine Freunde, die nichts von dem geheimen Ding zwischen Marius und Daniel wussten und bemerkt hatten, nickten nur und unterhielten sich weiter, während die Jungs versuchten, ein Pokerspiel zu unterhalten, das durch das Reden immer wieder unterbrochen wurde.

Somewhere Only We KnowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt