Kapitel 21

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Der Freitagnachmittag kam und läutete das Wochenende und das alljährlich an einem Samstag im Juni stattfindende Sommerfest in Lengwede ein.

Ralf und die anderen hatten den ganzen Tag in der Schule Pläne geschmiedet, ob sie hingehen würden, wann die beste Zeit wäre, ob der alte Rosenthal, dem die Gaststätte im Ort gehörte, ihnen wohl etwas von dem Freibier ausschenken würde und wenn nicht, wo sie dann welches besorgen konnten.

Marius war eigentlich kein großer Fan von solchen öffentlichen Zur-Schau-Stellungen der ‚dörflichen Gemeinschaft', bei denen sich die Prominenz feiern ließ, weil sie ein paar Fässer kostenloses Bier springen ließ, Spanferkel stiftete oder das Ganze einfach sponserte. Andererseits hatte er nichts gegen ein gratis Essen, also würde er sich das sicher nicht entgehen lassen. Das hatte zwar etwas doppelmoralisches, aber das war dem Jugendlichen herzlich egal.

Wenn die feinen Familien Lengwedes das taten und brauchten, um sich wieder wichtig zu fühlen, sah er nicht ein, dass er das nicht ausnutzen sollte.

Die Prellung war inzwischen dunkelblau geworden und als Ralf Marius am Morgen zur Begrüßung auf den Rücken gehauen hatte, war dieser zusammengezuckt und hatte so laut aufgestöhnt, dass seine ganze Clique ihn verwundert angesehen hatte. Marius hatte sich damit entschuldigt, dass er in der Nacht schlecht gelegen hatte, doch der Gesichtsausdruck seines besten Freundes hatte ihm klar gemacht, dass dieser ihm nicht glaubte. Immerhin kannte Ralf Heinrichs Ausbrüche und war selbst oft nur um Haaresbreite drumherum gekommen, sich selbst mal eine zu fangen.

Doch niemand war weiter darauf eingegangen. Sie alle wussten, dass Marius nicht gern darüber sprach, was bei ihm zuhause los war und so nötigten sie ihn nicht dazu. Stattdessen planten sie den Samstag.

Marius hatte sich Daniels Befürchtung, es könnte dem Dunkelblonden peinlich sein, sich mit ihm angefreundet zu haben, zu Herzen genommen. Um dem Heinemann-Jungen zu beweisen, dass es nicht so war, hatte er diesen bei seiner Ankunft an der Bushaltestelle ebenfalls mit einem direkt an ihn gerichteten ‚Guten Morgen' begrüßt.

Marius war aus dem Augenwinkel aufgefallen, wie Franziska zu feixen begonnen hatte, doch aus irgendeinem Grund hatte ihn das viel weniger gekümmert als noch am Tag zuvor. Er hatte nur Daniels Lächeln bemerkt und wie wohlig sich das in seiner Brust angefühlt hatte. Es hatte wie ein Schutzschild gewirkt, das ihn über den Tag brachte und spitze Bemerkungen einfach hatte abprallen lassen.

So war es nicht verwunderlich, dass Marius nach Schulschluss, als sie aus dem Bus in Lengwede stiegen, tiefenentspannt war. Das schwere Gefühl der Last auf seiner Brust war gelindert worden, als hätte man ihm einen Felsbrocken vom Rücken genommen.

»Machen wir noch etwas?« Die Jugendlichen sahen einander an. Freitagnachmittag und Frühsommerwetter waren immerhin die perfekte Kombination.

»Ich kann nicht«, musste Marius passen. »Ich muss den Rasen mähen. Mein Alter springt schon im Dreieck deswegen, denn das hätte ich letztes Wochenende schon machen sollen. Und meine Oma will ihr Schlafzimmer malern, da soll ich auch helfen ...«

»Okay. Und ihr?« Ralf sah wie ein sehr unzufriedenes Pony aus. Es wurmte ihn, dass seine Leute immer etwas anderes zu tun hatten, wo er viel lieber etwas unternehmen wollen würde.

Die Jugendlichen besprachen sich, während Marius sich reihum verabschiedete und nach Hause trabte. Er hatte keine Lust auf die Gartenarbeit, aber lieber machte er sie als wieder eine Ohrfeige zu kassieren.

Es war still auf dem Förster'schen Hof, als der Jugendliche diesen betrat. Er stellte fest, dass der Trecker und auch das Auto nicht da waren. Das Haus fand er leer vor.

Vermutlich war der Alte tatsächlich mal draußen auf dem Feld und seine Mutter war sicher zum Einkaufen gefahren. Auch die Körbe waren weg, die sonst in der Ecke in der Küche standen.

Somewhere Only We KnowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt