Kapitel 44

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Nitti's POV


Sie waren auf dem Weg in die Oranienstraße, in welcher Esteban's Büro von Sector3 lag und Nitti wusste schon, dass es wegen den vielen Lokalitäten entlang der Straße schwierig werden würde, einen Parkplatz zu finden. Zuerst wollte er Mark fahren lassen, wie sie es schon öfter getan hatten, da dieser immer eine Lücke entdeckte, doch sein schreckhaftes Verhalten auf diese Frage ließ es ihn sofort vergessen.

So zog er schon zum dritten Mal seine Runde um das Gebäude. "Jetzt bist du schon wieder vorbei gefahren." Mark maulte nicht wirklich, war eher belustigt, doch es machte die Situation nicht besser. "Dann setz' du dich ans Steuer und park ein. Je eher, desto besser. Kannst dich sowieso nicht ewig davor drücken." Als er das betretene Gesicht von Mark sah, bereute Nitti seine Worte sofort. Er verstand seine Angst zwar, dennoch musste er sie überwinden und nicht umgehen. Aber vielleicht verlangte er doch zu viel und es war zu früh damit. Doch irgendwann musste er mit dem Autofahren wieder anfangen.

Als er zum vierten Mal ansetzte hörte er Mark neben sich schnaufen. "Ok. Halt an. Wir wechseln." Mit leuchtendem Warnblinklicht und laufendem Motor stellte er das Auto ab und stieg aus. Sobald beide wieder saßen wartete er nun auf das, was passieren würde. Tatsächlich legte Mark den Gang ein, doch Nitti konnte genau sehen, wie seine Hände zitterten, als er sie um das Lenkrad schloss. "Geht's?" fragte er vorsichtig. Die Anspannung im Gesicht seines Freundes war spürbar und er sah leichte Schweißperlen auf der Stirn. "Kannst du bitte aussteigen?" murmelte Mark plötzlich. Wie? Nitti verstand nicht ganz. "Bitte." kam es nochmal und er löste mit fragendem Blick seinen Gurt und stieg aus.

Zuerst blieb das Auto stehen, doch dann fuhr Mark vor und parkte sicher in die kleine Lücke ein. Na, also. Zufrieden lief Nitti zu seinem Auto und wollte gerade die Fahrertür öffnen, als er Mark sah, der vornübergebeugt am Lenkrad hing und bitterlich weinte. Es tat ihm in der Seele weh, wenn er seinen Freund so aufgelöst erlebte und doch wusste er auch, dass dies ein Sieg gewesen war. Nun öffnete er doch die Tür und legte eine Hand auf seine Schulter. "Ist alles gut." versuchte er ihn zu beruhigen, doch Mark schüttelte den Kopf. "Nein. Es ist nichts gut." Dennoch löste er den Gurt und stieg aus, sah, während er sich die Tränen aus dem Gesicht rieb, zu Nitti. "Lass' es uns hinter uns bringen."

Zielstrebig gingen sie zu der versteckten Eingangstür neben dem geschlossenen türkischen Restaurant und stiegen die Stufen bis in den dritten Stock hinauf. Zweimal mussten sie dabei unterbrechen, um Mark durchschnaufen zu lassen, dem das Treppensteigen sichtlich schlauchte. Gerade wollte Nitti vor der Tür stehend eine kurze Pause ansprechen, als Mark schon keuchend auf den Klingelknopf drückte. Ein Summen ertönte und Mark drückte die Tür auf, sah kurz zurück zu ihm, trat dann ein. Im Vorbeigehen grüßte er die Dame an der Rezeption und lief direkt zu der Tür an welcher sein Name prangerte, Esteban de Alcázar.

Das "Herein" nach dem Anklopfen klang bestimmt und Nitti's Herz fing an zu klopfen. Sie hatten ein gutes Verhältnis zueinander, eigentlich, waren sich freundschaftlich verbunden. Doch Nitti hatte seit drei Tagen nicht mehr mit ihm telefoniert, wusste nicht, was er dachte. Und bei diesem Gespräch hatte er sehr enttäuscht und verletzt gewirkt. Und mit eben solchem Blick sah er sie auch kurz an, als sie eintraten, senkte den Kopf jedoch wieder und wandte seine Aufmerksamkeit einem Stück Papier zu, das vor ihm lag.

"Hallo." grüßte Mark ihn, trat an seinen Schreibtisch und klopfte mit den Fingern gegen die Tischplatte. "Ist es jetzt ok für dich?" Kurz hob Esteban den Kopf, wirkte jedoch sehr distanziert. Nachdem er dann doch mit der Hand auf die Stühle vor ihm deutete, setzten sie sich. Nitti wusste nicht, was die beiden am Telefon besprochen hatten, da hielt sich Mark sehr bedeckt. Aber nach dem wenig herzlichen Empfang schien es nicht wirklich gut gewesen zu sein.

"Soll ich anfangen, oder möchtest du mich zuerst zerlegen?" Mark's Tonfall irritierte Nitti sehr. Das klang nicht wirklich nach einer Entschuldigung. Esteban schnaufte kurz. "Dann nur zu. Ich bin ganz Ohr." Doch auch ihr Manager schien nicht klein beigeben zu wollen. Das konnte heiter werden. Kurz überlegte Nitti, ob er sie nicht lieber allein lassen sollte, entschied sich aber dagegen. Egal, was kommen würde, er müsste Mark unterstützen.

Dieser schien nachdenklich. "Dass ich dich von dem zweiten Termin bei der 'Zeit' nicht informiert habe, tut mir leid. Das war nicht richtig. Dafür möchte ich mich wirklich entschuldigen. Aber nach deinem Abgang an dem Abend hast du mir nicht wirklich eine Wahl gelassen. Das erschien mir die einzige Option, das erste Interview wieder geradezubiegen. Und ich glaube nicht, dass du diese Konferenz so akzeptiert hättest, wie sie dann war."

"Sicher nicht." fauchte Esti. "Was wäre gewesen, wenn Max' Mutter nicht diesen Brief verfasst hätte? Das war der Wendepunkt. Da musstest du nur noch aufspringen. Du bist wieder genauso unvorbereitet da rein gegangen, wie die Tage vorher. Was würdest du denken, wenn der, der eine Pressekonferenz einberuft, plötzlich den Raum verlässt und nicht mehr wiederkommt? Glaubst du, dass die Verantwortlichen so eine labile Persönlichkeit engagieren, wenn sie nicht sicher sein können, dass sie auch erscheint?"

Nitti musste schlucken. Was sollte das werden? "Mark hatte einen Unfall.." warf er ein, doch Esteban unterbrach ihn. "Das ist erstmal egal, Nitti! Das interessiert erst an zweiter Stelle." Mark wischte sich über sein Gesicht. "Ich wusste doch nicht, wie schlimm es ist!" wurde er nun doch etwas erregter. "Aber ich habe dich gebeten, dass ich Fragen beantworten will. Diese Stellungnahme...das war ich nicht und das konnte ich nicht! Von mir aus über Max reden! Weißt du, wie schlimm das ist?" Nun redete er sich in Rage, rutschte auf seinem Stuhl umher. Sofort griff Nitti nach seinem Arm. "Komm' runter." zischte er ihm zu und Mark nickte ihm zu, atmete kräftig durch. "Wenn ich Fragen gehabt hätte, dann hätte ich nur antworten müssen, dann hätte ich nicht den Anfang machen müssen. Aber du wolltest nicht auf mich hören."

Nitti fühlte sich nun auch betroffen, da auch er das Fragestellen abgelehnt hatte, dies als noch schwieriger empfunden hatte, weil er auch ahnen konnte, welche Art von Fragen gekommen wären. Nie hatte er damit gerechnet, dass genau dies einfacher für Mark gewesen wäre.

"Wenn das jetzt der Grund ist, dass du nicht mehr mit mir arbeiten willst, dann akzeptiere ich das. Aber lass' die Band nicht hängen. Sie können nichts dafür. Du kannst ihnen die Tour nicht wegnehmen." Entsetzt sah Nitti zu seinem Freund. Was redete er da? "Nein!" rief er aus, blickte dann zu Esteban, der die Ellbögen aufstützte und mit den Händen über sein Gesicht fuhr. Nitti schüttelte den Kopf. "Esti, das ist jetzt nicht euer Ernst. Entweder gemeinsam oder gar nicht."

Es wurde unangenehm ruhig, nur das tiefe Atmen ihres Managers war zu hören und Nitti wurde Angst und Bange. Noch nie zuvor war das Verhältnis zwischen Mark und Esti so angespannt gewesen. "Ok." Esteban legte seine Hände auf den Tisch, faltete sie zusammen. "Aber du spielst ab jetzt nach meinen Regeln." Nitti sah zu Mark, der kurz in sich gekehrt wirkte und dann nickte. "Bedeutet?" fragte er dann. "Öffentlichkeitsarbeit. Wir müssen den positiven Vibe nutzen und darauf aufspringen. Interviews, Frühstücksfernsehen, deine neue Single promoten. Und immer in Verbindung mit Max seiner Situation. Sie müssen sehen, dass du es packst."

Nitti konnte es nicht fassen. Wie sollte Mark das durchstehen? Er sollte sich erholen, Kraft tanken. "Esti, Mark ist noch nicht soweit." versuchte er einzugreifen, doch Mark griff nach ihm, lächelte ihn dankbar an und dann zu Esteban. "So machen wir es."



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