Fakt 98: Das Benecke-Experiment

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Der Mann, den ich betrachte, ist Transvestit. Das wusste ich zwar schon vorher, aber es zu sehen ist doch merkwürdig genug. Ich meine, Vollbart und ein durchaus muskulöser Körperbau der selbst mir als trainiertem Kampfsportler Respekt einflößt und dazu dann ein regelrecht zierliches Kleid bis an die Kniescheibe, das einer kleinen Frau möglicherweise sogar an die Knöchel hätte reichen können. Schon jetzt wird es von einer im Verhältnis zur Körpergröße stehenden Erektion ausgebeult. Die roten Lackstiefel sind da nicht einmal der Blickfänger, denn die Perücke aus güldenem Echthaar, die ein Vermögen gekostet haben muss, ist in einer Weise gestyled, die ihm nur als wahnwitzig bezeichnen kann.

Er geht auf die Mitte des Raumes zu, wo ein Strick an der Decke hängt. Das untere Ende ist zu einem unverkennbaren Galgen geformt, den der Mann sich um den Nacken legt. Mit einer Hand hält er das Seil fest, sodass es ihm nicht allzu sehr die Luft abschnürt, mit der anderen zieht er einen Bürostuhl heran und setzte sich darauf. Das Seil spannte sich, kurz bevor sein Hintern die Sitzfläche berührt und er sich letztlich doch ganz niederlassen kann, gräbt es sich mit aller Kraft direkt unter seinem
Kiefer in Haut und Fleisch. Ich beobachtet mit müdem Blick, jedoch nicht minder interessiert, wie er rot anläuft.... obschon es auch ein wenig an dem Make-Up liegen kann, das gebe ich gerne zu. Er zittert und japst nach Luft, während er eine seiner Hände in die Sitzfläche gräbt. Mit der anderen mastubiert er.

Er nimmt dabei schnell an Heftigkeit zu, bis ihm ein kleines Missgeschick unterläuft. Er lässt die Sitzfläche des Stuhls los. Der Bürostuhl, seines Zeichens mit Rollen statt stabilen Füßen ausgestattet, verabschiedet sich wie ein nasses Stück Seife in die hinterste Ecke des Raumes, außerhalb meines Sichtfeldes. Unverzüglich beginnt der tatsächlich interessante Teil.

Der Mann röchelte und beginnt, wie verrückt mit Händen und Füßen zu strampeln. Er hängt etwa fünfzig Zentimeter über dem Boden und könnte es tatsächlich schaffen, sich aus der misslichen Lage zu befreien, doch erstens hat er schon durch den Beginn der autoerotischen Masturbationserfahrung einen großen Teil seines Sauerstoffs aufgebraucht, und zweitens können solche Lackstiefel offenbar rutschiger sein als der der Boden der Duschen im Schwimmbad. Außerdem, und das finde ich gerade zu faszinierend, sind seine Beine das Erste, was den Geist aufgibt. Sie zittern noch ein wenig, aber das, so denke ich, sind lediglich Muskelkontraktionen ausgehend vom Rest des Körpers, der noch in Bewegung ist. Vom rhythmischen Hin- und Herschwingen abgesehen sind da nämlich noch immer zwei kräftige Hände, die versuchen, einen weitaus kräftigeren Körper an diesem Seil, das unschuldig zum Mörder gemacht werden wird, hochzuziehen. Überflüssig zu erwähnen, dass diese nur wenige Sekunden nach den Füßen an Effektivität einbüßen und letzten Endes ebenso herunterfallen. Kurz darauf bildet sich auf der Ausbeulung des Kleides ein feuchter Fleck. Seine letzte bewusste Wahrnehmung war ein Orgasmus. Wie nett.

Mein Blick fällt auf den Zeitstempel unten rechts auf dem Bildschirm, auf dem ich mir dieses Video angesehen hab: "Oh. Schon nach siebenundzwanzig Sekunden bewusstlos? Das ist schneller als normalerweise passiert." Ich löse meinen Blick von dem Computer und drehe mich über Seite. Mein Begleiter nickt zustimmend: "Das liegt an seiner Größe. Hoher Sauerstoffverbrauch, vor allem bei einer solchen Stresssituation, kann schneller zur Ohnmacht führen."

Ich nicke verstehend: "Und schneller zum Tod. Armer Kerl." Ich lege bewusst kein geheucheltes Mitleid in diese Aussage. Das hätte meinen Nebenmann nur irritiert. Der wiederum schließt das Video und will ein weiteres öffnen, aber ich winke ab: "Tut mir leid, aber für heute habe ich genug. Achtzehn Menschen beim sterben zuzusehen ist schon irgendwie heftig, und auch wenn ich für diese Studie Geld bekomme, muss ich doch dafür nicht meine Netzhaut ruinieren. Wir haben fast Elf, wir gucken seit gut acht Stunden auf diesen Bildschirm."

Er versteht und klappt den Laptop zu woraufhin er sich aufrichtet: "Ist aber nett von denen, dass wir uns das Zuhause ansehen dürfen. Ich meine, den ganzen Tag autoerotische Unfälle und Suizide zu betrachten ohne sich schnell mal eine Tüte Chips holen zu dürfen.... Das ist doch krank." Er lacht ob dieser sehr ansichtsverschobenen Bedeutung dieses Adjektivs und guckt auf die Armbanduhr: "Shit, ist ja echt schon spät. Dabei bin ich doch gar nicht müde." Er überlegte kurz und blickt mir dann tief in die Augen: "Ob du wohl durch die vielen Toten die Lust an der Lust verloren hast?"

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