3. Das Leben geht weiter...

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3.Kapitel| Das Leben geht weiter...

Ich lebte nun bei Remus. Leicht, war es wahrlich nicht.
In den drei Jahren, die seit jener Nacht vergangen waren, war ich nicht mehr ich selbst. Ich aß und trank kaum etwas, sprach nur das Nötigste und schlief nur wenige Stunden, wenn es überhaupt dazu kam. Dem entsprechend sah ich schrecklich aus. Tiefe, schwarze Augenringe umrandeten meine geröteten Augen, ich war abgemagert wie ein dünner Stock und fühlte mich auch wie eine wandelnde Leiche. Albträume plagten meinen kurzen Schlaf und vertrieb mir den Appetit tagsüber.
Das kleine lebensfrohe Mädchen existierte schlichtweg nicht mehr.

Remus machte sich unglaubliche Sorgen. Sorgen um ein schwer depressive Kind, das er aufzog und zu allem Übel auch noch bei einem Werwolf lebte. Es war für uns beide sehr gefährlich aber ich wollte nirgendwo anders hin. Ich wollte nicht das Mitleid von Muggel Kindern in einem Waisenhaus, die keine Ahnung hatten, was ich erlebt hatte. Kinder konnten gemein sein und ich wusste, dass ich in meinem Zustand, ein perfektes Opfer abgab.
Remus lebte wegen seiner Verwandlung sehr abgelegen, was mir sehr gefiel. Überall standen dicht bewachsene Bäume und Sträucher und ich verbrachte viel Zeit an einem kleinen Bach in der Nähe, oder saß mit einem Buch auf der Wiese.

Remus hatte mir eines Abends gesagt, er wüsste wie ich mich fühlte. Doch er war im Irrtum. Er hatte keine Ahnung wie ich mich fühlte. Überhaupt nicht. Ich hatte an einem einzigen Tag alles verloren. Meine Eltern, meinen Bruder, mein Zuhause.
Doch das Schlimmste war wohl, dass ich es mit ansehen musste. Dass ich es gesehen hatte, wie die schwarze Gestalt meine Eltern töteten. Und dann fragte sich ein achtjähriges Kind schon, warum die Eltern tot waren und man selbst noch lebte.
Doch davon wusste Remus nichts. Er und alle anderen dachten, dass ich zu dem Zeitpunkt auf Taras Party war und erst nach Hause kam, als das Haus schon längst zerstört war.
Daher waren Remus Worte ganz und gar nicht aufheiternd.
Auch von meiner Wunde wusste niemand etwas. Die tiefen Risse mit der königsblauen Flüssigkeit, die an Tinte erinnert, hatte sich mittlerweile in eine saubere Narbe verwandelt. Doch mein Arm sah immer noch aus, als hätte man gegen einen Stein geschlagen und er wäre auseinander gebröckelt. Ich hielt es nicht für wichtig Remus davon zu erzählen. Ich wollte nicht noch mehr Mitleid, als ich sowieso schon hatte.
Sogar meine Lehrer sahen mich mit einem traurigen, bemitleideten Blick an. Sie glaubten, dass meine Eltern von einem Einbrecher erschossen worden waren. Diese Blicke die sie mir zuwarfen waren nicht genug. Sie nahmen mich vollkommen in Schutz und schimpften auch nicht, wenn ich versehentlich etwas anstellte. Ich hatte meine Gefühle nicht unter Kontrolle, wie ich schnell merkte. Einmal zersplitterten während einer Arbeit alle Fenster im Klassenzimmer, weil ich wusste, dass ich nicht gelernt hatte.
Ein andern Mal tauchten plötzlich riesige Frösche im Saal auf, die die ausgeteilten Hausaufgaben fraßen. Es war eigentlich immer etwas los.
Das einzig Gute war, dass ich am 31. Oktober nicht in die Schule gehen musste, sondern das Grab meiner Eltern besuchen gehen durfte. Dieser Ort war immer ein Ausbruch meiner Gefühle gewesen, und anfangs war es auch echt schlimm für mich, doch die Schreie und Heulkrämpfe legten sich mit der Zeit.
Auch dieses Jahr ging ich wieder mit Remus nach Godric's Hollow.

Wir liefen die leeren Straßen entlang und kamen auch an meinem Zuhause vorbei. Mein Kinderzimmer war immer noch eine Ruine, das Dach war zur Hälfte eingestürzt. Ein magisches Holzschild wuchs aus dem Boden, als ich daran vorbei lief, als wüsste das Haus, dass ich in Wahrheit dazu gehörte. In goldenen Buchstaben stand dort, was an jenem Abend vor drei Jahren dort geschah. Andere Zauberer hatten Botschaften hinterlassen. ‚Viel Glück, Harry!' war eine davon. ‚Lang lebe Harry Potter!'.
Mein Name war nirgends erwähnt. Ich war ein Niemand. Ich hatte keinen Namen und keine Existenz.
Ich sah ein braunhaariges Mädchen am anderen Ende der Straße stehen, das zaghaft winkte. Tara. Sie musste sich wunder, dass ich damals nicht zu ihrer Party gekommen war und am nächsten Tag am andern Ende von England lebte. Doch sie musste ahnen, was passiert war. Ein Einbrecher, zwei Schüsse, ein zerstörtes Leben. Ich winkte zurück.

Remus zog mich weiter zum Friedhof und kniete sich dort vor mich nieder: „Ich warte dort trüben, ja?". Er zeigte auf eine Bank am anderen Ende des Parkes. Er wusste, dass ich hier alleine sein musste. Ich nickte stumm und Remus richtete sich auf. Ich wandte mich von ihm ab und lief geradewegs zu meinen Eltern.
Am Stein angekommen, ließ ich mich auf meine Knie fallen. Ich nahm eine Hand voll Kies und ließ die kleinen Steinchen langsam durch meine Hände gleiten.
„.. Und schon ist wieder ein Jahr um... Die Zeit vergeht so schnell. Ich... ich hoffe es geht euch gut, egal wo ihr gerade seid. Mir geht es auch gut... denke ich. Ich versuche das Beste daraus zu machen.... ihr fehlt mir so unendlich..."
Ich fing an zu weinen. Nie konnte ich weinen, außer hier. Hier musste ich nicht die Starke spielen und musste niemanden zeigen wie schwach ich eigentlich war.
„Ich weiß... ich mache Remus wahnsinnig mit meinem Verhalten, aber... ich kann nichts dagegen machen. Ihr wisst ja nicht wie sehr eure Abwesenheit schmerzt. Noch nie hat etwas so sehr wehgetan.
Ich wünschte, sie würden mich normal behandeln, dann würde ich nicht unnötig daran erinnert werden.
Ihr habt immer gesagt, dass das Leben weitergeht, aber ich kann nicht weiter gehen! Nicht so, nicht jetzt. Ich glaube nicht, dass es besser werden wird. Das könnt ihr von mir auch nicht verlangen.
Ich... ich kann einfach nicht mehr! Ich bin am Ende meiner Kräfte! Ich wünschte ja so sehr, dass ihr bei mir wärt. Es tut mir ja so leid... an diesem Tag haben wir uns auch noch unnötig gestritten. Ich wusste einfach nicht wie kostbar diese Zeit war. Ich bin verschwenderisch damit umgegangen. Erst jetzt sehe ich ein, dass manche Diskussionen einfach umsonst waren.
Ich war so naiv. Ich habe geglaubt die Welt sei ein guter Ort, doch sie ist es nicht! In dieser Welt führt alles Glück in Leid hinaus. Ich... ich habe so viel verloren! Ich habe euch so unendlich lieb! Ich wünschte ich hätte es verhindern können. Ich wünschte, ihr wärt hier."
Ich schluchzte laut auf und die Tränen kamen erneut.
„Ich kann einfach ein Leben ohne euch nicht führen! Ich bin zu schwach dafür. Warum wir? Warum ausgerechnet wir? Voldemort hat mir alles genommen! Alles was ich liebe!"
Ich wischte mir mit meinem Ärmel über die Augen.
„Es tut mir soo leid!!"
Langsam stand ich auf, blickte noch einige Sekunden auf den Stein, dann drehte ich mich um und rannte davon.
„Bist du bereit?" Er stand auf und reichte mir wortlos ein Taschentuch. Ich nickte und wischte mir meine Augen trocken. Ich würde wiederkommen. Das tat ich immer.
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Ein halbes Jahr verging in Nu. Es wurde Winter und die Welt färbte sich weiß. Dann kamen die ersten warmen Sonnenstrahlen zurück und schenkten den Menschen neue Hoffnung. Für mich gab es sie schon lange nicht mehr.
Wir saßen gerade am Frühstückstisch als eine braun-graue Waldeule, bepackt mit einem Brief, mit ihrem Schnabel an das Küchenfenster klopfte. Remus und ich waren verwundert. Eigentlich sollte der reguläre Schulbrief erst in fünf Monaten erscheinen, trotzdem trug dieser Brief schon das Hogwartswappen.
Remus öffnete ihn voller Neugier und laß ihn geschwind, sodass seine Augen schnell über das Pergament flogen.
„Was ist los?" fragte ich. Er reichte mir wortlos den Zettel:

Guten Morgen Remus,

mir ist natürlich bewusst, dass sich die kleine Mirana Potter in deiner Obhut befindet und ich bedauere sehr das Schicksal des Mädchens. Wir beide wissen in was für einer Lage sich Mirana befindet und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich gerne mit ihr persönlich reden möchte, bevor sie den Hogwartsbrief erhält.
Bitte kommt doch morgen Mittag um 14 Uhr in mein Büro.

Mit herzlichen Grüßen
Professor Albus Dumbledore

Ich war leicht geschockt. Der Schulleiter wollte mit mir reden? Über meine Aufnahme in Hogwarts? Würde er mich nicht dorthin lassen? Würde Dumbledore sich weigern mich aufzunehmen, obwohl ich eine Hexe war? Nur wegen meiner Vergangenheit? Meiner Lage?

Mirana Potter - die wahre Auserwählte?حيث تعيش القصص. اكتشف الآن