»12«

3.1K 158 9
                                    

Schweigend fokussierte Hermine mit ihren Augen einen unbestimmten Punkt in der Ferne. Sie brauchte irgendetwas, an dem sie sich festhalten konnte, sonst würde sie in Ohnmacht fallen. Zumindest hatte sie das Gefühl, dass das passieren würde, sobald sie ihren Blick von ihm abwandte.

Ron war sauer auf sie. Sehr sauer sogar, mehr als sauer. Er war aufbrausend und reagierte schnell über, das wusste sie schon seit Jahren, aber dennoch verletzte sie es. Es tat weh, ihn so zu sehen und es schmerzte, dass sie der Grund für seine Qualen war. Warum nur hatte sie das gemacht? Warum war sie mit Draco ausgerechnet in dieses Cafe gegangen? Am liebsten hätte sie sich die Haare gerauft, doch das wollte sie nicht vor Ginny tun, die sie abwartend ansah.

Ginny hatte die absolute Wahrheit verdient und dazu gehörte, dass Hermine sich zusammenreißen und stark bleiben musste. Sie würde ihr alles erzählen und das ohne jegliche Anzeichen von Schwäche. Sie hatte nicht verdient, jetzt getröstet werden zu wollen, nicht nach dem, was sie da gerade getan hatte. Ron würde ihr nie wieder verzeihen.

Na gut, vielleicht doch. Irgendwann. In einer fernen Zukunft. In einer sehr fernen.

Sie räusperte sich, um ihre Stimme nicht allzu dünn und leise klingen zu lassen und nahm ihren Mut zusammen, den Blick von dem Punkt abzuwenden, um Ginny direkt in die grünen Augen sehen zu können. Ihre Atmung war tief und ruhig und trotzdem fühlte sie sich wie in einem Haifischbecken. Nur das sich vor ihr kein Hai, sondern ihre beste Freundin befand.

,,Draco hat sich wirklich geändert", fing sie mir langsamer Stimme an. ,,Er ist anders. Ja, ich weiß, er hat schreckliche Dinge getan, aber das haben wir alle." Sie wartete ab, ob Ginny etwas sagen würde, doch ihr Gegenüber blieb vollkommen ruhig und gefasst und hörte ihr einfach nur zu. Eine Eigenschaft an ihr, die Hermine besonders schätzte. Ginny konnte zuhören. Einfach nur zuhören und nichts weiter.

Etwas ruhiger fuhr sie fort. ,,Er war nicht er selbst. Seine Familie war voller Todesser. Er wurde zu einem erzogen, er konnte nichts dagegen tun. Ihre Werte und Vorstellungen wurden ihm aufgezwungen und naiv wie er war, hat er sie geglaubt. Und selbst als ihm bewusst wurde, wie falsch und grausam das alles war, konnte er sich nicht wehren. Voldemort hätte ihn und seine Familie getötet. All diese grausamen Dinge, die er getan hat, waren nicht, weil er es tun wollte, sondern weil Voldemort wollte, dass er sie tat. Und das ist ein Unterschied.

Ja, ich weiß, für die betroffene Person nicht. Doch er hat Reue gezeigt und spürt sie bis heute, jeden Tag. Er ist kein Todesser. Er war nie einer. Er war nur jemand, der dazu gezwungen wurde, so zu tun, als wäre er einer von Voldemorts Leuten. 

Und ich weiß auch, dass der Hass gegenüber Harry nicht von Voldemort erzwungen wurde. Und teilweise auch das, was er uns in Hogwarts angetan hat und dass das schwer zu vergessen ist. Aber Menschen können sich ändern. Er hat mich gehasst. Jetzt liebt er mich, das weiß ich. Und ich liebe ihn, obwohl ich ihn früher ebenfalls gehasst habe. Aber ich denke, dass sich die Menschen einfach nicht die Mühe machen, hinter die Fassade zu blicken. Sie sehen Schlechtes, unmoralische Taten und denken gleich, dass dieser Mensch verloren ist und es keine Rettung mehr für ihn gibt. Weil das der einfachere Weg ist. Und irgendwann glaubt die betroffene Person es dann auch. Sie gibt sich auf und hat jegliche Hoffnung verloren.

Genau das ist Draco passiert. Er hat einfach aufgegeben, gedacht, dass er ein schlechter Mensch ist und sich hinter seiner kalten, arroganten Fassade versteckt, weil ihm beigebracht wurde, das zu tun. Ihm wurde nie gesagt, dass man auch Gefühle zeigen kann. Und niemand hat irgendwann mal Mitleid mit ihm gehabt, erinnerst du dich? Egal, wie oft er gegen Harry verloren hat, niemand hat sich die Mühe gemacht, ihn irgendwie aufzumuntern und ihm zu sagen, dass er es nächstes Mal besser machen wird. Niemand hat sich zu ihm gesetzt und ihm zugehört. Niemand hat sich je wirklich für ihn interessiert.

Zufall mit HindernissenWhere stories live. Discover now