Kapitel 7 Cecilia

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Meine Füße brannten. Ich rannte durch den Hof, hinüber in den Götterhain, dort wo ich ungestört alleine war - so hoffte ich. Doch als ich dort, vollkommen außer Atem angekommen war, stand jemand da. Oh nein. Nicht er. Max. Er lächelte mich an. "Guten Tag, Mylady." Ich antwortete nicht. "Hat Alois mit euch gesprochen?" Mir traten Tränen in die Augen und als er das sah lächelte er wieder. "So wie es aussieht schon. Dann hat er seine Aufgabe gemeistert." "Aufgabe?", fragte ich. "Ja", entgegnete er trocken, "er sollte mit euch sprechen. Das war alles." Ich atmete erleichtert aus. "Stimmt es, dass du sie getötet hast? Aus Hass?" "Habe ich. Ich bin eines nachts in ihr Zimmer gegangen und habe ihr die Kehle durchgeschnitten", erklärte er stolz. "Aber warum? Sie hat nichts getan." "Das ist es, sie hat nichts getan. Sie wollte nicht gehorchen. Sie ist nachts nie zu mir gekommen." "Das ist der Grund? Im Ernst? Du Bastard!", schrie ich. "Du hast mir damals gesagt, dass die Jemoys sie auf dem Gewissen hätten. Warum?" Max war erschreckt von meinem plötzlichen Gefühlswechsel, doch spielte den Gefassten: "Es sollte niemand wissen." "Das macht doch keinen Sinn. Wieso erzählst du es denn jetzt?" Er schwieg. "Du hast Recht. Ich kenne dich nicht, aber ich will es auch nicht", sagte ich und als ich gerade wieder gehen wollte sagte er: "Schrick nicht zurück, wenn deine Reihe kommt. Das ist der Grund."

Ich glaube Max ist gestört. Was für eine Reihe?, dachte ich. Ich saß an der Tafel, zum Abendessen. Es gab Huhn, aber ich hatte -dank Max- keinen Hunger. Sejla saß mir gegenüber. Ich hatte ihr von allem erzählt und sie hatte zugehört. Sie meinte, dass das, was Max gesagt hatte zu einem Gedicht von Omar Khayyâm gehörte, aber sie konnte sich nicht mehr an das ganze Gedicht erinnern. "Wo ist eigentlich Mylord Alois?", wollte sie wissen. Das war eine gute Frage. "Ich weiß es nicht. Ich habe ihn nicht wieder gesehen." "Er wird bestimmt gleich eintreffen." "Ja. Vermutlich", antwortete ich.

Es war Abend, als ich nach dem Beten ins Bett ging. Doch ich war zu neugierig. Ich holte das Tagebuch meiner Großmutter aus der Wand. Ich Blätterte und suchte nach einem Gedicht von Omar Khayyâm. Ich fand eines, aber es wurde in ihm nicht von einer Reihe gesprochen. Gut, dachte ich. Vielleicht gibt es das Gedicht garnicht. Vielleicht wollte Max mich nur verunsichern und mit diesem Gedanken schlief ich ein.

Der nächste Tag begann mit Schreien. Alle waren aus dem Häuschen. Zuerst begriff ich nicht warum, doch dann sah ich es. "NEEEIIIN!!!", schrie ich. Ich rannte über die Wiese, hinüber zu ihm. Ich hoffte so sehr mich zu täuschen, doch meine Befürchtung bewahrheitete sich. Dort lag er. Auf dem Bauch und mit zerrissenen Kleidern. Auf seinem Hals war eine große Schnittwunde und überall war Blut. Ich fühlte seinen Puls. Nichts. In diesem Moment realisierte ich zum ersten Mal, wie wichtig er mir war auch, wenn ich ihn kaum kannte. "Helft ihm!", schrie ich. Ich begann zu weinen. "Alois du darfst nicht sterben! Ich liebe dich!" Und es stimmte. Vielleicht hatte ich so viel Angst vor unserer Begegung gehabt, dass ich garnicht mitbekommen hatte wie sehr ich mich in diesen Braunschopf verliebt hatte. Ich rüttelte seinen Körper, doch er rührte sich nicht. Er muss sich bewegen! "Komm schon." Aber ich konnte nichts mehr machen. Alois war tot. Ich schrie weiter: "Wach auf!" Doch dann auf einmal hatte ich keine Kraft mehr. "Ich bitte dich. Komm zu mir zurück. Du bist der einzige, den ich noch habe. Du darfst nicht sterben. Bitte", flüsterte ich. Ich legt meinen Kopf auf seine Brust und weinte.
Auf einmal wurde ich nach hinten gerissen. "Du kommst mit", sagte eine Wache. "Warum?" "Das weißt du sehr gut. Was meinst du denn, wer das hier Schuld ist?" "Was, nein! Ich war es nicht. Ich würde soetwas niemals tun." Mich durchfuhr ein Schmerz. Er hatte mich geohrfeigt. Mein Gesicht brannte. "Max hat dich beobachtet, wie du ihn kaltblütig getötet hast." Schon wieder Max. Was hatte er gegen mich? Die Wache zog mich mit sich. Ich versuchte mich zu wehren, doch es war unmöglich. Einige Bewohner der Burg hatten sich um Alois und mich versammelt und beäugten mich ungläubig. Ich konnte nichts sagen, denn was zählte schon das Wort eines 16- jährigen Mädchens?

Als wir die Treppen zum Kerker heruntergestiegen waren, lies er mich los. "Was soll das?", stieß ich hervor. "Ich mache meine Arbeit." Er kramte einen Schlüssel aus seiner Rüstung und öffnete eine Zelle. "Hinein", befiehl er. Ich gehorchte, denn ich hatte Angst. Er schloss ab und ging.

Ich saß da, seit endlosen Stunden oder waren es nur Minuten? Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, genauso wie meinen Mut. Zusammengekauert auf dem kalten Stein wartete ich auf irgendwen. Aber was, wenn derjenige eine schlechte Nachricht hat? Wenn sie davon ausgehen, dass ich es wirklich war, dann werde ich sterben, dachte ich. Das ist nicht gerecht. Ich war es nicht. Aber wer sonst? Max vielleicht?
Nach einiger Zeit hörte ich, dass jemand die Treppe herunter kam. Endlich. Ich wurde nicht vergessen. Davor hatte ich Angst. Hier unten in diesem Loch verrotten wollte uch nicht. "Cecilia?", fragt Sejla. "Ja. Ich bin hier." "Ich hoffe es geht euch gut. Ich habe alles mitbekommen und auch, was jetzt geschehen soll." Mein Herz machte einen Satz. Was wird geschehen? "Der König wird keine Anhörung machen. Er hat verordnet, dass du in zwei Tagen hingerichtet wirst." Mir wurde übel. Ich musste hängen? Ohne fairen Prozess und ohne Verteidigung? "Zwei Tage?", fragte ich nach. "Ja. Aber ich kann das nicht zulassen. Ich werde versuchen die Wache mit Wein gefügig zu machen und dann des nachts, wenn er befriedigt ist seine Schlüssel stehlen." Sie will mit ihm schlafen, für mich? "Nein, tu das nicht. Das darfst du nicht, bitte. Lieber sterbe ich, als dass du das tust!", entgegnete ich. "Doch ich will dir helfen. Du bist unschuldig. Das weiß ich. Du sollst nicht sterben."
Am Abend kam die Wache wieder. Er brachte nur ein wenig Wasser. Ich trank es und gab ihm den Kelch zurück. "Euch ist klar, dass bei meinem Tod, meine Eltern angreifen werden, oder?", versuchte ich ihn zu verunsichern - erfolglos. "Niemand wird es erfahren", sagte er tonlos, aber ich konnte ein genugtuendes Lächeln auf seinen Lippen erkennen.

Der Morgen brach an. Mein letzter Tag sollte beginnen. Aber war es wirklich so schlimm zu sterben? Meine Freunde tot und meine Eltern waren weit weg. Ich hatte nichts mehr. Später bekam ich etwas zu essen. Es war ein trockenes Stück Brot. Dann kam Sejla. "Du bist meine Rettung! Danke", sagte ich nachdem sie die Zelle aufgeschlossen hatte. Hoffentlich hatte das keiner Gehört. Und dann fiel es mir wieder ein: "Aber ich habe dir gesagt du solltest das nicht tun!" "Doch. Es war kein hoher Preis für deine Freiheit", versicherte sie mir. "Was ist wenn das jemand herausbekommt? Dann töten sie dich." Jemand, der wegen mir stirbt. Das kann ich nicht zulassen. "Keine Sorge. Ich passe auf mich auf und jetzt lauf weg, sodass dich niemand findet." "Aber ich muss noch etwas wichtiges holen!", widersprach ich. Großmutters Buch war das einzige, was zählte. Die Gedichte. Sie waren so wunderbar. Doch Sejla strafte mich nur eines bösen Blickes. "Cecilia. Du willst doch nicht alles riskieren um irgendwelche Habseligkeiten zu retten!" Doch. "Nein. Ich werde sofort gehen." Ich umarmte sie und flüsterte ein letztes "Danke", denn sie hatte so viel für mich getan.

Es war einfach unbemerkt bis zum Burghof zu kommen. Sollte ich das Buch noch holen? Nein. Ich hatte es Sejla gesagt und ihr Opfer soll nicht umsonst gewesen sein. Ich schlich durch einige dünne Gassen und war schnell dort. Jetzt kam das Problem. Unbemerkt über den Hof zu rennen war kompliziert, aber ich hatte keine Wahl. Ich atmete tief durch und rannte an Häusermauern entlang. Ich sprürte den Wind, der mir durchs Haar wehte und ich fühle mich frei.
An dem Tor angekommen, zog ich die kleine Holztür auf, die die Wachen nutzten um auch nachts in die Burg zu kommen. Als diese dann hinter mir ins Schloss fiel, atmete ich auf. Keiner hatte mich gesehen, dachte ich. Trotzdem musste ich weiter. Ich rannte über einen langen Pfad, bis in den Wald. Im Schutz der Bäume blieb ich stehen und atmete durch und drehte mich um. Meine Heimat lag hinter mir.

Destroyed  [Abgeschlossen]Onde histórias criam vida. Descubra agora