21.

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~ 21 ~

Ich weigere mich in den Rücksiegel zu schauen. Stattdessen versuche ich konzentriert nach vorne zu starren und nicht in Tränen auszubrechen.

Vergeblich.

Die erste Träne kullert bereits still und heimlich meine Wange herunter und dann noch eine. Und noch eine. Und die nächste.
Als wir die Stadt komplett hinter uns lassen, kann ich nicht mehr anders. Alles was mir etwas bedeutet hat liegt jetzt zurück und ich fühle mich so sehr alleine, wie noch niemals zuvor.

„Hey!" Plötzlich spüre ich Kyle's warme Hand auf meinem Oberschenkel. Diese Geste bringt tief in meinem Inneren endgültig etwas zum Zerbrechen.

Ich kann nicht anders und schlage mir die Hände vor's Gesicht. Aber durch die heftigen Schluchzer ist für jeden ersichtlich, dass ich mir gerade die Augen aus dem Kopf weine.

Ich spüre wie der Wagen plötzlich heftig ruckelt und Kyle das Auto zum Stehen bringt. Er öffnet die Tür und keine zwei Sekunden später ist er an meiner angekommen.
Er öffnet sie und packt mich vorsichtig an den Schultern. Trotzdem nehme ich die Hände nicht runter.

„Mira...Hey! Sieh mich an."

Ich schüttle den Kopf und wieder entfährt mir ein heftiges Schluchzen.

Er zieht meine Hände einfach runter. Sanft, aber bestimmend.

Seine grauen Augen schauen besorgt in meine. „Komm her", haucht er und zieht mich im nächsten Moment aus dem Wagen. Etwas unsanft landen wir auf dem Schotterweg am Straßenrand.

Kyle scheint das aber nicht zu kümmern. Ohne zu zögern zieht er mich so dicht an seine Brust, dass ich schon fast komplett auf ihn klettern muss. Meinen Kopf verbirgt er in seiner Halsbeuge und so knien wir dann letztendlich am Rand der zum Glück wenig befahrenen Straße.

Ich weiß nicht für wie lange mein Schluchzen noch die Stille zerreißt. Irgendwann aber hat alle Flüssigkeit meines Körpers meine Augen verlassen und ich befreie mich langsam aus Kyle's Umklammerung.
Er hat mich die ganze Zeit still im Arm gehalten.

„Es tut mir-", beginne ich, aber Kyle schneidet mir sofort das Wort ab.

„Wenn du dich jetzt nur auch noch einmal für seinen Fehler entschuldigst, lasse ich dich die ganze Nacht alleine hier sitzen!", schimpft er.

Ich grinse erschöpft und lasse den Kopf hängen. „Danke", hauche ich. „Für das hier."

Und dann ist es wieder still. Schnell wische ich mir die erneut aufkommenden Tränen von den Augen.

„Bitte wein' nicht mehr"; flüstert er und nimmt mein Gesicht in seine Hände. Mit den Fingern streichelt er meine Wangenknochen entlang. „Wenn ich dich so sehe, würde ich am liebsten wieder zurück fahren und ihm die Eier einzeln herausreißen."

Obwohl die Situation schmerzhaft ist, muss ich trotzdem leicht schmunzeln. „Du findest immer die richtigen Worte, oder Kyle King?"

Auch er grinst kurz, doch dann wird er wieder ernst und lässt die Hände wieder in seinen Schoß fallen. „Du liebst ihn ziemlich sehr, hm?"

Kurz denke ich über seine Frage nach, ehe ich den Kopf schüttle. „Nein, das ist es nicht", sage ich dann leise wahrheitsgemäß. „Ich bin nur so furchtbar alleine."

„Hey, hey, hey!" Er greift sofort nach meinem Kinn und zwingt mich ihn wieder anzusehen. „Du bist doch nicht alleine!"

„Natürlich bin ich das!" Ich hasse mich dafür, dass ich so weinerlich klinge. Noch mehr hasse ich es, dass ich ausgerechnet vor Kyle so einen Zusammenbruch erleiden muss.
Trotzdem ist er im Moment der Einzige, der da ist. „Ich habe niemanden mehr! Chris war alles für mich, die einzige Konstante in meinem Leben. Mt ihm habe ich die schwierigsten Zeiten überstanden. Er war mein Anker! Und jetzt kommt dieses blöde College und alles scheint den Bach runter zu gehen!"

Wieder erschüttern hunderte Schluchzer meinen Körper und wieder zieht Kyle mich an sich, um mir tröstende Worte ins Ohr zu flüstern.

***

„Ich weiß wirklich nicht, ob das notwendig ist."

Unschlüssig stehe ich in seinem Zimmer im Verbindungshaus und beobachte ihn dabei, wie er eine Decke auf den Boden legt und Kissen darauf verteilt.

„Keine Widerrede! In diesem Zustand kannst du nicht alleine bleiben."

„Aber der Unterricht morgen früh und ich muss noch ..."

„Wenn du nicht auf der Stelle den Mund hältst, schläfst du heute Nacht auf dem Boden und ich kralle mir das Bett!"

Unsicher knete ich die Finger in meiner Hand und nicke schwach, um mein Okay zu geben.

Egal wie oft ich gesagt habe, dass es wirklich nicht nötig ist bei ihm zu schlafen, er bestand trotzdem darauf. Und jetzt stehe ich hier total eingeschüchtert.

„Es ist doch schrecklich, wenn du auf dem Boden schlafen musst!", versuche ich es ein letztes Mal. „Außerdem hast du selbst gesagt, dass niemand dein Zimmer betreten darf."

Kurz hält er inne, als ob ihm diese Tatsache erst durch mich wieder in Erinnerung gerufen wurde. „Regeln sind da, um gebrochen zu werden", murmelt er dann. „Außerdem bleibst du ja nicht länger als nötig. Morgen früh fahre ich dich sofort zurück zum Wohnheim."

Okay. Auch wenn mich die Tatsache nicht großartig schockieren sollte, bin ich doch etwas enttäuscht, dass er mich anscheinend doch wieder so schnell loswerden will.

„Das hier ist eine ganz blöde Idee", murmle ich zu mir selbst. Anscheinend aber doch laut genug, denn um Kyle's Lippen zuckt es verdächtig.

„Ich werde dir wohl einfach ein T-Shirt von mir geben müssen." Ich muss ihn ganz schön verwirrt anstarren, denn er schüttelt den Kopf und kommt auf mich zu, um an meinem Top zu ziehen. „Oder willst du etwa darin schlafen?"

Unsicher schüttle ich den Kopf. Die plötzliche Nähe bringt mich ganz schön aus dem Konzept.
Auch Kyle scheint über irgendetwas nachzudenken, denn er fixiert einen Punkt in meinem Gesicht.

„Was ist da passiert?", frage ich, da mir jetzt wieder sein blaues Auge auffällt.

Als er mich verwirrt ansieht, hebe ich meine Hand und berühre leicht mit den Fingerspitzen seine geschwollene Haut. „Dein Auge."

„Eine etwas längere Geschichte." Sofort wendet er sich ab.

„Naja, ist ja nicht so, als ob ich in ein paar Minuten wieder verschwunden bin."

Er antwortet nicht. Das ist dann wohl Antwort genug.

Schlussendlich schnappe ich mir das Shirt und verschwinde im angrenzenden Bad. Soweit kenne ich mich ja bereits aus.

Nachdem ich mich notdürftig bettfertig gemacht habe, schleiche ich mich zurück ins Zimmer.
Ich habe vorgehabt Kyle nach einer Boxershorts z fragen, da das T-Shirt doch ein wenig knapp ist. Er scheint aber bereits eingeschlafen zu sein, denn das Licht ist ausgeschaltet und kein Laut ist zu hören.

Leise tapse ich in Richtung Bett. Versuche es zumindest, doch plötzlich stoße ich mit meinem Zeh gegen irgendetwas sehr, sehr stabiles. Ich kann nicht anders als laut aufzuheulen.

„Was machst du den da?", brummt Kyle und im nächsten Moment wird eine kleine Lampe in seiner Ecke eingeschaltet. „Oh", kommt es plötzlich nur noch von ihm und schlagartig läuft mein Gesicht rot an. Er lässt ungeniert seinen Blick an mir herunter und wieder rauf wanden. „Sehr nettes Outfit, Mira."

„Sehr witzig!", fauche ich. So schnell ich kann springe ich auf's Bett und unter die Decke. „Gute Nacht."

Er schaltet das Licht wieder aus und plötzlich herrscht totenstille.
Ich konzentriere mich darauf ruhig zu atmen, weshalb auch immer. Schließlich wird er mich ja nict sofort rausschmeißen, nur weil ich atme.

Gerade als das Geraschel der Decke am Boden aufhört und ich denke, dass er eingeschlafen ist, spricht er doch wieder.

„Ich glaube das wird die unruhigste Nacht meines Lebens."

Ich schnaube. „Ich habe dich gewarnt. Der Boden ist eben nicht so bequem wie er aussieht."

„Ja, wenn es nur das wäre."

„Was meinst du?", frage ich und runzle die Stirn.

„Nichts. Schlaf gut, Mira."

Ich weiß nicht genau wie, aber irgendwann lausche ich nur noch Kyle's ruhigem Atem und gleite in einen traumlosen Schlaf.

HOLD ME TIGHT - abgeschlossenWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu