4.

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„Zieh dich an, dann fahr ich dich nach Hause." Kyle lässt mich los, als hätte er sich die Finger verbrannt und flüchtet praktisch aus dem Bad. Mit wackeligen Beinen bleibe ich zurück und muss mich nun doch wieder am Waschbecken festhalten, um nicht zu fallen. Als mein Blick in den Spiegel fällt, sehe ich meine hochroten Wangen, die glasigen Augen und die geöffneten Lippen. Verdammt, sehe ich mitgenommen aus.

„King!", brülle ich und taumle ihm hinterher. „King! Bleib stehen!" Ich stehe in einem großen, dunklen Raum, als ich das Bad verlasse. Die Wände sind tiefrot gestrichen und schwere, dunkle Vorhänge hängen vor den Fenstern. In der Mitte steht ein riesiges Bett, das wohl 3 mal so groß ist als meins im Wohnheim. Und mitten drauf sitzt Kyle. „Du brauchst mich nicht nach Hause fahre. Isaac nimmt mich mit", trotze ich und stemme die Hände in die Hüfte. „Mach dir also keine Umstände. Und deine Schuhe, die kannst du mir im Literaturkurs geben. Du bekommst sie gesäubert zurück." Warum ich so trotzig auf ihn reagiere, das weiß ich im Moment selbst nicht wirklich. Irgendwie macht mich die Art wie er auf dem Bett sitzt und gelangweilt etwas in sein Handy tippt wütend. Die Art wie er gerade zu mir aufschaut und sich mit den Händen durch die Haare fährt noch mehr ...

„Isaac ist schon los."

„Was?!"

„Clara ging es nicht gut und er hat sie Heim gefahren. Also entweder du steigst jetzt mit mir ins Auto, oder du verbringst die restliche Nacht hier."

Ich runzle die Stirn. „Wo ist hier?"

„Hier, bei mir. Oder willst du unten auf der dreckigen Couch pennen, zusammen mit 20 weiteren Besoffenen? Dann würde ich dir raten dein T-Shirt endlich anzuziehen."

Ich schaue an mir herunter und stelle tatsächlich fest, dass ich das nasse Oberteil weiter in meiner Hand zerknülle. Schnell fummle ich es auseinander und ziehe es mir über. „Ist natürlich viel besser", lacht Kyle und scheint sich zu amüsieren. „Vielleicht hättest du dir vorher überlegen sollen, ob es ratsam ist pinke Unterwäsche unter einem weißen Shirt zu tragen. Erst recht wenn man beabsichtigt sich vollzukotzen." Der letzte Satz klingt leicht vorwurfsvoll, was meine Wut nicht mal im geringsten schürt.

„Guck nicht hin, wenn es dich stört!", schnauze ich. Dem Alkohol sei dank, werde ich nicht rot und verstecke mich wie ein kleines Kätzchen hinter dem riesigen Vorhang links neben mir. Angriff ist bekanntlich die beste Art der Verteidigung. „Also, können wir los?"

„Du willst also nicht hier bleiben?" Ich schüttle den Kopf. „Schade eigentlich." Kyle zeigt sein schiefes Lächeln und mustert mich von oben bis unten. Dabei leckt er sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe, was mich komischerweise erzittern lässt.

„Los jetzt", piepse ich, verschränke die Arme vor der Brust und marschiere aus dem Zimmer.

Die Fahrt verläuft schweigend und ich genieße es, durch das offene Fenster die kühle Nachtluft durch mein Gesicht wehen zu spüren, was mir ungemein hilft, wieder nüchtern zu werden. Als wir vor dem Wohnheim halten, verabschiede ich mich mit einem leisen „Danke" in seine Richtung. Schön und gut, dass er mich nach Hause gefahren hat. Trotzdem kann ich seine Art und alleine seine Anwesenheit nicht ausstehen. Er ist selbstverliebt, arrogant, beleidigend, idiotisch und absolut heiß ... Moment! Erschrocken sehe ich mich im Spiegel an. Das kann ich unmöglich gerade gedacht haben. Ja, Kyle King sieht gut aus und ja, er fasziniert mich ein wenig. Trotzdem ist sein Charakter das letzte, was seinem Aussehen sofort wieder Minuspunkt gibt.

Ich steige mit einem Kopfschütteln unter die Dusche. Das muss der Alkohol sein...

Nachdem ich mich abgetrocknet habe und in ein langes T-Shirt geschlüpft bin, stelle ich mit Schrecken fest, dass es schon nach 2 Uhr morgens ist. Na toll, mein erster Kurs beginnt bereits um 9 Uhr, weshalb mir genau 6 Stunden Schlaf bleiben. Schnell suche ich die schmutzige Wäsche zusammen, stopfe alles in eine Ecke und schmeiße mich dann in mein Bett, wo ich in einen traumlosen Schlaf gleite.


HOLD ME TIGHT - abgeschlossenWhere stories live. Discover now