29.

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Mit weit aufgerissenen Augen stehe ich da, völlig überfordert mit dieser Situation. Bis ich schließlich doch aufgebe und mit einem Seufzen seinen Kuss erwidere.

Kyle reagiert in dem seine Hände aufhören mein Gesicht zu umklammern. Die eine umfasst meinen Nacken, während die andere auf Wanderschaft geht und meine Haut damit zum brennen bringt.

Sein Kuss wird langsamer, dafür aber so zärtlich und intensiv, dass ich glaube mein Herz springt mir gleich aus der Brust und ihm direkt vor die Füße. Um irgendwie Halt zu finden und nicht sofort in Ohnmacht zu fallen, schlinge ich die Arme um seinen Nacken und komme nicht dagegen an zu stöhnen, als seine Finger fest in die Haut meiner Hüfte greifen.

»Wenn du jetzt wieder einen Rückzieher machst «, knurrt er, während seine Lippen über meinen Kiefer wandern, sanfte Küsse verteilen und schließlich an meinem Ohr verweilen. »Dann kann ich für absolut nichts mehr garantieren.« Sanft beißt er in mein Ohrläppchen, was mir ein überraschtes Keuchen entlockt. Seine Hand stiehlt sich unter meinen Pullover und beginnt meine Hüften und meinen Rücken zu streicheln, während er sich meinen Hals hinab küsst und schließlich bei meinem Schlüsselbein inne hält.

Plötzlich scheint sein ganzer Körper wie erstarrt. Ich spüre wie seine Hände sich zu Fäusten ballen und er schwer zu atmen beginnt.

»Alles in Ordnung?«, frage ich und lehne mich zurück um ihm ins Gesicht schauen zu können. Und auf einmal ist dieses Kribbeln verschwunden, als ich sehe, wie er fest die Augen zusammen kneift und starke Schmerzen zu haben scheint. »Kyle! Was ist los?«

Er fängt an zu wanken und stützt sich mit den Händen hinter mir an der Wand ab. »Ich brauch nur... einen kurzen Moment.«

»Ich rufe sofort einen Arzt!« Schnell möchte ich mich von ihm entfernen, um mein Handy aus meiner Hosentasche zu kramen, doch da packt er mich schon und sieht mir eindringlich in die Augen. »Keinen Arzt, bitte!« Ich schlucke und starre ihn einfach nur an, bis er wieder das Gesicht verzieht und die Händen gegen seinen Kopf drückt, als würde er ihn zerquetschen wollen. »Das ist nur... Migräne«, keucht er, doch ich glaube ihm kein Wort.

»Kyle, du brauchst jemanden der dir helfen kann. Jetzt lass mich doch...«

»Ich brauche keinen Arzt!«, ruft er laut und zuckt sofort wieder zusammen. »Bring mich... bring mich einfach nur zum Bett. Bitte.«

Ich nicke eilig und fasse ihn beim Arm. Da er aber gefährlich wankt, lege ich ihn mir um die Schulter. Auch wenn das wahrscheinlich total unnötig ist, denn wenn er fällt, dann werde ich mit absoluter Sicherheit nicht die Kraft haben ihn aufzufangen.

»Setz dich«, sage ich, als wir das Bett erreicht haben. Langsam lässt er sich sinken, die Augen nach wie vor zugekniffen. »Kann ich noch irgendetwas tun?« Ich komme mir hilflos vor, wie ich hier sitze und einfach nicht weiß, weshalb er diese Schmerzen zu haben scheint. Ich knie vor ihm und streichle über sein Knie, um ihn irgendwie beruhigen zu können.

»Ja«, antwortet er schließlich leise, öffnet aber noch immer nicht die Augen. »In meiner Jackentasche ist eine kleine, gelbe Dose. Bring sie mir.« Sofort springe ich auf und durchsuche hektisch seine Jacke, ehe mir die Dose tatsächlich in die Hände fällt. Irgendein unaussprechliches Medikament, von dem ich noch nie irgendwas gehört habe. Misstrauisch gebe ich ihm die Dose. »Danke.«

»Was ist das?« Ich beobachte ihn, wie er zittrig die Dose öffnet und zwei der Tabletten sofort herunterschluckt.

»Beruhigungstabletten.«

»Erzähl doch keinen Mist«, blaffe ich. »Erst behauptest du es sei Migräne. Und jetzt sollen es Beruhigungstabletten sein?« Ich schlucke, als er sich nach hinten fallen lässt und versucht seine Atmung zu beruhigen. »Sag mir was ich tun soll«, flüstere ich. Ich fühle mich so verdammt hilflos.

»Hör auf Fragen zu stellen.« Er hustet und legt sich wieder die Hände an den Kopf, genau über den Augen.

»Soll ich lieber gehen?«

»Nein.« Einige Minuten vergehen, in denen niemand von uns etwas sagt und ich ihn einfach nur dabei beobachte, wie er sich von Sekunde zu Sekunde mehr und mehr entspannt. Irgendwas stimmt wirklich nicht mit ihm.

Plötzlich setzt er sich so weit auf, dass er sich auf den Ellbogen abstützen kann und mich mit schief gelegtem Kopf mustert. »Komm her«, sagt er leise und beobachtet mit wachsamen Augen, wie ich mich aufrappele und mich neben ihn aufs Bett setze. »Näher«, sagt er. Umständlich rutsche ich näher und plötzlich scheint sich die Stimmung von jetzt auf gleich zu verändern. Wo eben noch erdrückende Unsicherheit in der Luft lag, knistert es jetzt wieder spürbar und mein Herz reagiert sofort, in dem es wild zu schlagen beginnt. Als mein Bein seines berührt, schüttelt er noch immer mit dem Kopf. »Noch näher, Mira.«

Ich lache nervös. »Soll ich mich etwa auf deinen Schoß setzen?« Anscheinend ist ihm nicht aufgefallen, dass ich das im Spaß gefragt habe, denn er zeigt wieder sein spitzbübisches Grinsen und nickt. »Ich denke nicht, dass...« Weiter komme ich nicht, denn er packt mich in der nächsten Sekunde und wirft mich auf den Rücken. Keinen Augenblick später kniet er über mir und stützt sich mit seinen Händen neben meinem Kopf ab.

»Weniger reden, mehr handeln.« Er grinst und beugt sich wieder näher zu mir herunter. Sein Blick huscht abwechselnd zwischen meinen Augen und meinen Lippen hin und her.

»Was ist mit deinen Schmerzen?«

»Die sind schon längst wieder vergessen, Prinzessin.«

»Was waren das für Tabletten?« Ich weiß, er hat irgendwelche Probleme und es beschäftigt mich. Ich mache mir Sorgen um ihn.

»Du weißt doch schon, dass ich Beruhigungstabletten nehme.« Seine Fassade beginnt zu bröckeln. Das sehe ich an dem Ausdruck in seinem Blick. Auch wenn er versucht mit seinem Lächeln alles zu vertuschen, weiß ich sehr wohl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt.

»Bei Kopfschmerzen nimmt man keine Beruhigungstabletten, Kyle. Auch ohne Medizinstudium weiß man sowas.«

»Du wirst nicht locker lassen?« Ich schüttle zur Antwort mit dem Kopf und beiße mir auf die Unterlippe. Wird er jetzt endlich ehrlich zu mir sein?

Stöhnend rollt er sich von mir herunter und bleibt neben mir liegen. Seine Augen blicken nach oben an die Zimmerdecke. »Ich bin krank.«

»Was hast du? Warum sagst du mir denn nichts?« Ich setze mich auf und schüttle verärgert mit dem Kopf. » Du könntest mich anstecken, ist dir das bewusst?«

Er grinst traurig und weicht meinem Blick geschickt aus. »Es ist nichts womit ich dich anstecken kann, Mira. Ich bin krank. Unheilbar krank.« Plötzlich dreht sich alles in meinem Kopf. Was?! »Keine Sorge, es ist nichts woran ich sterben muss. Kein Krebs oder sonstiges. Ich kann damit leben, nur eben eingeschränkt.« Jetzt sieht er mich wieder an und sein Blick droht mich beinahe umzuwerfen, so brutal trifft er mich. »Seit dem Unfall ist einiges anders.«


HOLD ME TIGHT - abgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt