• Chapter 10 •

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Wir fuhren immer weiter in Richtung Heimat. Immer weiter und weiter.
Es wurde Abend, ich dachte an das Messer, das er in das Feld warf, und an den Toten in dem Haus, das wir zurück ließen.

Alles warf in mir Fragen auf, die ich ihm stellen wollte.
So viele Fragen, die ich ihm stellen wollte. Und dann stellte ich sie ihm auch.

"Fühlst du dich jetzt erleichtert?"

"Was meinst du?"

Seine blauen Augen sahen stechend zu mir rüber. Er trug Falten auf seiner Stirn, die ihn älter wirken ließen als er eigentlich war. Seine rechte Augenbraue saß höher als die Linke und sein Mund stand offen.

"Jetzt, wo all die Leute tot sind, fühlst du dich erleichtert? Weil sie dein Leben nicht mehr beeinflussen können?"

"Ich fühle mich nicht erleichtert, indem ich Leute umbringe, Lucy.", stellte er klar. Seine Stimme erhoben und selbstsicher. Das bewunderte ich immer an ihm. Er klang so selbstsicher und überzeugt, dass niemand ihm angezweifelt hätte, er würde etwas nicht schaffen.

"Wieso bringst du sie dann um?"

"Das hatten wir doch schon. Ich hab es dir etliche Male erklärt. Ich hatte mit allen eine Rechnung offen und wollte mich rächen. Jetzt sind sie tot. Ende der Geschichte.", er atmete schwer durch, "Ich fühle mich deswegen nicht erleichtert oder glücklich. Ich weiß, dass ich Menschen ihre Zukunft und Träume nehme und das nicht rückgängig machen kann. Ich weiß, dass ich dadurch lebenslänglich im Knast sitzen werde und du allein hier draußen sein wirst. Ich weiß das alles. Ich hätte es mir anders gewünscht, für alle, doch es ist eben anders gekommen."

"Du kannst aufhören mit dem Morden. Genau jetzt. Du musst das nicht weiter tun."

"Ich bringe das, was ich anfange, immer zuende."

Mehr sagte er zu dem Thema nicht mehr. Er redete nicht mehr mit mir, bis wir zurück in der Stadt waren. Er fuhr jedoch nicht zu meiner Wohnung, sondern zu einem fremden Haus, das ziemlich mittig in der Stadt lag. Die Straße war voller Menschen, die uns an der Haustür des fremden Hauses sehen konnten.

Ich kann nicht zählen, wie oft ich ihn fragen musste, wessen Haus das war. Ich kann auch nicht zählen, wie oft ich ihn bat, einfach zu verschwinden.

Ich kann nicht beschreiben, wie stark mein Herz raste und mein Blut rauschte, als uns ein kleines Mädchen die Tür öffnete.

Ich dachte, er würde sie umbringen.
Ich dachte, er würde sie vor meinen Augen abstechen oder erwürgen.
Ich hasste, dass ich ihn manchmal nicht anders sehen konnte. Dass ich manchmal einfach nichts anderes von ihm erwarten konnte.

Ich flüsterte ihm entgegen: "Tu ihr nichts. Bitte. Bitte tu ihr nichts."

Und er flüsterte zurück: "Keine Sorge, ich hab nicht vor, ihr etwas anzutun."

"Hi", grinste sie freundlich zu uns hoch. Ihre blonden Haare waren in einem langen Zopf zusammen gebunden. Ihre Augen leuchteten uns grün an. "Wer seid ihr?"

"Freunde von deiner Mama.", sagte Thaddeus ihr extrem freundlich und kindlich, woraufhin sie nach ihrer Mutter rief, die zu uns an die Tür kam und ihre Tochter ermahnte, dass sie Fremden doch nicht die Tür öffnen soll.

Die Augen der Mutter sahen uns merkwürdig an. Ich hielt seine Hand fest. Ich wollte ihn beruhigen. Davon abhalten, eine Dummheit zu begehen. Eine weitere Dummheit zu begehen.

Doch er sagte nur zu ihr: "Nehmen Sie ihre Tochter und gehen Sie mit einem Telefon in ihren Keller. Wenn Sie unten sind, warten Sie 5 Minuten. Dann rufen Sie die Polizei. Verstanden?"

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