Call no. 8 / pt. 2

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"Ich kann nicht glauben, dass du ihn trotzdem umgebracht hast. Dass du ihn ertränkt hast..."

"Ich hab dir gesagt, dass ich niemals die Person sein werde, die du gern in mir sehen würdest."

Ich sah ihn mit meinen Augen an. Ich sah ihm zu, wie er durch meine Wohnung ging, als sei es seine eigene.
Er huschte von meinem Zimmer, in dem er sich seinen Pullover aus dem Trockner holte (er musste ihn wohl dort hinein gesteckt haben, als ich auf der Arbeit war), und ihn ausschüttelte.

"Und ich kann nicht glauben, dass du mir weh getan hättest, wenn ich nicht gegangen wäre."

Ich stand im Rahmen der Tür, beobachtete ihn, wie er sich das nasse Shirt meines Vaters über den Kopf zog und sich seinen eigenen Pullover über den nackten Oberkörper stülpte.

"Ich hätte dir nichts getan."

"Du hättest mir beinahe ins Gesicht geschlagen!", hob ich meine Stimme ihm gegenüber.

Er kam mir nur näher, ohne etwas dazu zu sagen. Er äußerte sich nicht zu dem Fakt, dass es beinahe passiert wäre. Wahrscheinlich wusste er so gut wie ich, dass es geschehen wäre, wenn er sich nicht kontrolliert hätte.

"Und du hast Oliver Klark ertränkt."

"Er stand auf meiner Liste."

"Er konnte sich nur nicht mehr an dich erinnern!"

Nun befand er sich direkt vor mir, sah auf mich herunter und reichte aus, um meine Schultern zu berühren, doch ich zuckte zurück.

"Fass mich nicht an."

"Lucy"

Seine Finger wollten mich erneut versuchen zu berühren, doch ich ging einige Schritte zurück.

"Du kennst nicht einmal meine Lebensgeschichte und willst mich verurteilen, da ich ihn ertränkt habe?!", wurde er nun auch lauter.

"Ich verurteile dich, da du gesagt hast, du würdest mir im Leben nichts tun, und dann beinahe deine Hand ausgerutscht wäre!"

Dass ich ihn auch als schuldig ansah, da er ihn ertränkte, sagte ich nicht mehr. Er war so schon genug aufgebraust.

"Es tut mir leid, okay?"

Ich drehte mich um, wandte ihm den Rücken zu und lief in meine Küche, in der eine leere Schale neben der Spüle, eine offene Packung Müsli einfach in der Gegend herum stand und der Kühlschrank mir wie leer gegessen vor kam.

Schnaufend räumte ich auch noch seinen Mist weg, den er nicht selbst weg geräumt hatte. Es machte mich noch wütender.

"Lucy"

"Nein"

Er stand hinter meinem Körper, hielt meine Taille fest und ließ seine Fingerspitzen herum wandern. Ich starrte die Wand vor meinen Augen an. Die Kachel der Wand. Ich sah sie so intensiv an, dass sie mir wie ein Puzzle vorkamen.

"Hör mir zu-"

"Ich will dir aber nicht zuhören-", legte ich meine Hände auf seine, die an meinen Rippen lagen. Ruckartig drehte ich mich um, sodass er vor mir stand und mich erneut einkesselte. "Ich will nur, dass alles aufhört."

"Du willst, dass ich aufhöre.", sprach er monoton zu mir herunter.

Ich nickte.

"Du willst also, dass ich mich wie alle anderen verhalte und die Menschen so behandle, als sei nie etwas zwischen mir und denen passiert."

"Das hab ich so nicht gemeint, ich-"

"Du willst, dass ich normal bin, nicht wahr?"

Ich schluckte die Angst herunter. Sagte mir, dass ich keine Angst haben musste, doch konnte einfach an nichts anderes mehr denken, als daran, wie er Oliver unter Wasser gedrückt hatte, während dieser nur atmen wollte. Nur leben wollte. Und sich nicht erinnern konnte.

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