Call no. 2

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Ich dachte immer, dass ich niemals einen solchen Anruf erleben müsste.
Ich dachte immer, dass ich niemals etwas schlimmes mit anhören müsste.
Ich dachte immer, dass ich unempfindlich geworden wäre, seit ich bei dem Notruf angefangen hatte.

War ich nicht.
An dem Morgen nach dem Anruf träumte ich sogar noch von dem Anruf und von dem jungen Mann in der Leitung, der mir Gänsehaut bereitete.
Ich bildete mir sogar schon ein, dass er mich aufsuchen und umbringen würde. Ich bildete mir wirklich kranke Dinge ein.

Die ganze Nacht über saß Ich in der Zentrale und hörte den Telefonaten zu, die gemacht wurden. Ich hörte mir sogar erneut mein Telefonat mit dem unbekannten Mörder an, welches aufgezeichnet wurde, so wie alle Telefonate hier. Ich achtete auf jedes Detail und kam zu dem Entschluss, dass es ein Messer gewesen sein musste, das er aufhob, als wie telefonierten, und ein anderes, das er holte, während er so durch das Haus stampfte.

Nur so ergab es Sinn für mich.
Nur so konnte ich dieses Gespräch irgendwie verarbeiten, auch wenn die Weise meiner Verarbeitung nicht unbedingt die hilfreichste war.

Als ich am nächsten Tag in der Zentrale erschien, setzte ich mich mit einem mulmigen Bauchgefühl an den Arbeitsplatz. Auf dem Computerbildschirm öffnete ich, wie immer, die Stadtkarte über Google Maps und wartete auf ein Klingeln. Alle Telefone schienen heute Abend nicht so auf Hochtouren zu laufen wie gestern, obwohl Abends immer am meisten angerufen wird. Oft ist die einkehrende Dunkelheit eine Behinderung für das korrekte Autofahren oder etwas passiert, wenn die gesamte Familie am Abend beisammen ist.

Als das Telefon zu meiner Rechten dann das erste Mal klingelte, dachte ich direkt an den Mann von letztem Abend. Die Paranoia in mir übernahmen meinen ganzen Körper und ließen mich ungewollt zittern.
Er wollte gestern, dass Hilfe kommt, doch wollte nicht, dass er gefasst wird. Für einen Moment lang glaubte ich tatsächlich, dass er sich stellen und eine Entschuldigung ablegen würde. Dann rastete er aus, tötete seine eigene Schwester und verschwand.

Ich ging also mit einem schlechten Gefühl ans Telefon und war mir bereits zu 100% sicher, dass er es sein würde, da es erneut um 19 Uhr war, so wie am Tag zuvor.

Doch er war es nicht.
Das ließ mich aufatmen.

"112, wie kann ich Ihnen helfen?"

"Hallo?", hörte ich eine Kinderstimme, was mich noch mehr beruhigte. Es war ein kleines Mädchen.

"Hallo, mit wem spreche ich denn da?", fragte ich sie höflich und lieb. Sie antwortete mit: "Kimberly"

"Hallo Kimberly", sagte ich, "Was ist dein Problem, Süße?"

"Meine Mama", sagte sie.

"Was ist mit deiner Mama?"

"Sie ist...sie ist nach draußen gegangen."

"Kimberly, wie alt bist du?"

"10", sagte sie.

"Okay", ich notierte alles Wichtige mit dem Computer, "Wieso ist deine Mama nach draußen gegangen?"

Sie atmete wirklich schnell. Es kam mir so vor, als könnte ich ihr kleines Herz am Telefon schlagen hören.

"Sie hat gesagt, draußen ist der Hund von unserem Nachbarn und er macht unseren Garten kaputt."

"Okay, Süße, und wie lange ist deine Mama schon draußen?"

"Eine Dreiviertel Stunde", erzählte sie mir. Ich hörte, wie sie zu weinen begann und wollte nichts mehr, als sie trösten.

112 Where stories live. Discover now