The last call - no. 9

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Ich fuhr einen Tag darauf zur Arbeit. Dachte mir nichts dabei, als ich mit dem Fahrstuhl oben ankam und hinaus ging.

Dachte mir nichts dabei, als ich Jenny sah und diese mich wieder mit diesem Blick ansah, den ich nicht deuten konnte. Sie sah voller Sorge aus. Und kurz darauf fragte sie mich, was denn nur los mit mir sei, nachdem sie mich in eine ruhige Ecke gezogen und böse angesehen hatte.

"Es ist alles in Ordnung.", sagte ich ihr mit Ruhe und Gelassenheit. Ich sorgte mich, dass sie es heraus finden würde. Dass sie hinter mein Geheimnis kommen würde.

Ich sorgte mich, dass irgendwer herausfinden würde, dass er bei mir wohnte.

"Ich hab vorhin mit Gary gesprochen."

"Du kennst Gary?", fragte ich sie überrascht. Sie nickte. "Er ist wieder gesund?"

"Ja, und er sagte, dass sie T noch immer nicht haben. Und du bist einfach abgehauen, nachdem der Anruf kam. Was ist passiert?"

Ihre Finger durchkämmten immer wieder ihre langen Haare. Es schien mir schon fast so zu sein, als wäre sie nervös in meiner Gegenwart.

"Nichts ist passiert.", log ich, "Er war weg, als ich ankam."

"Du bist nicht mehr zurück gekommen. Du hast nicht mal mehr angerufen. Ich hab mir Sorgen um dich gemacht..."

Ich entzog mich ihrer Person, ging zu der Kaffeemaschine, an der ein Zettel klebte, auf dem stand, dass sie außer Betrieb war. Ohne darauf zu achten, was Jenny tat, holte ich mir ein Glas aus einem Schrank und ließ Leitungswasser hinein fließen.

"Bist du der Polizei noch begegnet?"

"Ja", log ich sie weiter an, "Sie kamen noch, als ich dort war. Oliver Klark wurde ertränkt. Sie haben ein Messer gefunden, unbenutzt."

Ich erzählte ihr Dinge, die ich nicht sicher wusste. Ich konnte nur davon ausgehen, dass die Polizei das Messer fand.

"Haben sie Fingerabdrücke?"

"Ja", erzählte ich ihr weiter Dinge, die ich mir aus den Fingern saugte, ohne es sicher zu wissen, "Aber sie haben niemanden in ihrem System, der mit den Abdrücken übereinstimmt."

Jenny sah mir dabei zu, wie ich das Glas leer trank und mich zurück an meinen Arbeitsplatz setzte. Eine halbe Stunde nachdem ich eintraf, kam mein Chef ins Gebäude. Er redete mit jemandem an seinem Handy, der ihm irgendwas erzählte, worauf mein Chef nur antwortete, dass seine Frau es hasste und nicht schön fand.

Ich beschloss dem nicht weiter zuzuhören, oder eben zu lauschen. Auf dem Startbildschirm des Computers sah ich den Ordner, den ich nach Thaddeus benannt hatte. In dem sich all die Notizen und Daten zu ihm befanden, die ich per Telefon aus ihm heraus bekommen konnte.
Und nun hatte ich ihn bei mir zu Hause sitzen, essen, schlafen und wohnen. Und ich wollte mit ihm noch an genau demselben Tag zu seinem alten zu Hause fahren und seine alten Sachen holen.

Ich fühlte mich wieder wie eine Verräterin. Doch ich fühlte mich nicht so, als würde ich Jenny oder den Notruf verraten, sondern so, als würde ich Thaddeus verraten, indem ich mit ihm zusammen lebte und ihm automatisch durch meiner Position als Angestellte im Notruf einen Strich durch seine Liste machen wollen.

Ich fühlte mich, als würde ich ihn damit hintergehen, obwohl ich eigentlich das Richtige tat.
Doch das Richtige fühlte sich nicht mehr richtig an. Es fühlte sich plötzlich falsch an. Wie ein Fehler.

"Lucy", nannte Jenny meinen Namen, der so komisch klang, wenn sie ihn aussprach. Ich hatte mich längst daran gewöhnt, ihn nur noch von Thaddeus zu hören. Zu hören, wie seine dunkle Stimme diese Buchstaben sagte.

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