Nein definitiv nicht!

Die letzten Tage hat Claire gelacht. Sie hatte Spaß. Vielleicht hat sie auch weniger negative Gedanken. Vielleicht hat sie die letzten Tage genossen.

Wenn ja, haben sich die ganzen Strapazen gelohnt.

Doch nun ist sie tot. Weg von dieser Welt, weg von mir. Der nächste Mensch, der mich verlässt.

Ich rutsche von Claire weg. Soweit es geht. Das Luftdings lasse ich auf den Boden fallen. Warum einen toten Menschen beatmen? Diese Luft kann jemand anderes noch gut gebrauchen.
Schluchzer erschüttern meinen Körper. Meine Hände zittern.

Ich bin schuld. Ich bin schuld. Wie eine Mantra kreisen die drei Wörter in meinen Kopf.

Schon wieder bin ich schuld an einen Tod. Nicht direkt, sondern indirekt.

Bei Marybeth war ich der Fahrer.
Bei Claire bin ich der Grund, warum wir heute in diesem Club sind.

Wären wir morgen hierher gekommen, wäre Kevin und seine Gang vielleicht auch hier. Womöglich wäre das gleiche nur morgen passiert.
Das versuche ich zu denken. Mit den Wörtern versuche ich meinen Schmerz zu übertrumpfen. Den seelischen und den körperlichen, die gerade ein Kampf austragen, welcher der schlimmere ist.

Im Takt wippe ich nach vorne und nach hinten. Letzte Woche habe ich gedacht, nun bin ich nicht mehr alleine. Jetzt bin ich wieder allein.

Warum? Wieso? Weshalb?

Die einzige, entscheidenden Fragen, die ich mir schon so oft gestellt habe. Und nun wieder oft stellen werde.

Warum musste Marybeth so früh sterben?
Warum muss Claire so früh sterben?

Warum war ich schuld?
Warum bin ich schuld?

Warum musste ich so viele Schmerzen ertragen?

Warum muss ich schon wieder die gleichen Schmerzen ertragen?

Warum immer ich und kein anderer?

Warum muss ausgerechnet ich solche Sachen bewältigen?

Warum, warum habe ich mir früher diese Fragen gestellt und tu heute das gleiche?

Ich sollte positiv denken.

Claire hat sich seit langen ersehnt, bei ihren Freund, Bruder und Eltern zu sein. Ein unsichtbarer Wunsch auf ihrem Zettel. Nun ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen. Ihr sehnlichster. 

Ich habe, als ich ihre Träume gehört habe, mir schon Gedanken gemacht, wie ich sie erfüllen kann. Zu vorzeitig habe ich diese gemacht. Ich wollte ihr doch nur helfen. Es ist genau das Gegenteil passiert, wie ich es wollte. Was ich mir für ihr erhofft habe.

Schicksal?

Oder doch einfach Zufall? Bei Claire eher Sturheit.

Steht nicht auf ihrer Liste, dass sie sich prügeln möchte? Jedenfalls wurde noch ein Wunsch von ihr erfüllt. Doch dieser Traum, wurde ihr Todesurteil, welches ich ihr aufgequatscht habe.

Da wären wir wieder bei dem Thema, dass ich schuld bin.

Meine Gedanken überschlagen sich. Ein Wirrwarr entsteht in meinen Kopf. Ich kann ihn nicht aufhalten. Es wird zu viel. Zu viel für mich. Zu viele Verluste trage ich in meinen Herzen herum. Noch einen ertrage ich nicht.

Es ist zu viel.

Ich schreie. Schreie lauter. Will den Schmerz in meinen Herz übertönen mit Schmerzenslaute. Schreie lauter und lauter. Höre nichts mehr von meiner Umgebung. Nur eines höre ich, meine Schuldgefühle.

Diese werden lauter und lauter. Bis sie meine Schreie übertönen. Zu viel ist es. Mir tun die Ohren weh. Mir tut mein Rücken weh. Mir tut alles weh. Am meisten mein Herz.

Ich schließe die Augen. Will meine Umgebung nicht mehr sehen. Will Claire nicht tot auf den Boden liegen sehen. Will alte Erinnerungen nicht sehen.

Bewege mich nach vorne und zurück, um nicht in Gedanken stehen zu bleiben. Damit ich meine kleine Schwester nicht leblos im Auto sehe, damit ich meine neue kleine Schwester nicht auf den Boden leblos sehe. Damit ich meinen Vater nicht auf den Wohnzimmer Boden liegen sehe, mit einer Pistole neben ihn.  Damit ich meine Mutter nicht im Krankenhaus Bett liegen sehe.

Meine Tränen versuchen meine Gedanken zu reinigen. Die schlechten zu säubern, obwohl ich schuld an den Toten bin. Zu säubern, damit sie gut werden, sodass der andere Autofahrer schuld ist, sodass Kevin schuld ist.

Nach ewige Turbulenzen in meinem Kopf, in meiner Umgebung, Stille.

Die Stille vor dem Sturm.

Doch hat der Sturm immer etwas schlimmes zu bedeuten?

...

"Ich fühle ihren Puls."

No Reason to LiveWhere stories live. Discover now