11. Kapitel

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Michael versucht gar nicht mehr mir hinterher zu gehen, oder mir etwas hinterher zu rufen. Hoffentlich hat er verstanden, dass ich nichts mit ihm zu tun habe will, wie nett er auch sein mag. Es ist nur für sein Bestes. Es soll keiner leiden wegen mir und so ein guter Kerl erst recht nicht.

Ich gehe nach Hause, zu meinem richtigen Zuhause. Womöglich kann ich es nicht betreten, aber sehen kann ich es. Einmal nochmal da sein, wo ich mein ganzes Leben verbracht habe.

Es ist ein schönes Haus, ob es jetzt noch so ist, weiß ich nicht.
Mein Zimmer war eines der Größten.
Was eigentlich ungerecht gegenüber meinem Bruder war. Vielleicht Kükenschutz, denn ich bin ein paar Minuten jünger als er. Mein Zimmer war hell. Es wurde für mich in gelb gestrichen, weil ich fand, dass dies optisch am besten rüberkam. Nach ein paar Jahren hat es mir dann weniger gefallen, ich habe mich aber nie beschwert. An den Wänden waren dazu noch Poster drangeklebt. Unter anderem von Harry Potter oder aber auch von Schauspielern, die ich zu der Zeit toll fand. Mein Zimmer glich dem eines pubertierenden Teenager. Normal und unspektakulär.

Mein Bruder hingegen hatte ein Klavier, was nun bei mir ist. Seine Wände waren typisch blau. Irgendwie waren wir beide ganz normale Kinder. Wir sind nie groß aufgefallen, oder wollten auffallen. Davon abgesehen, dass ich gemobbt wurde. Irgendwann werde ich das Jessica zurückgeben, alles was sie mir angetan hat, aber zum Glück muss ich ja nicht mehr zu Schule gehen, außer ich will meinen Abschluss nachmachen. Bis jetzt habe ich dieses Bedürfnis nicht und ich denke, dass es sich nicht allzu schnell ändern wird. Wofür bräuchte ich auch einen Abschluss? Für einen Job, den ich eh nie machen werde? Ich bin zufrieden mit dem was ich habe. Ich verdiene Geld und das ist doch das, was eigentlich zählt.

Nur noch eine Straße.

Eine Straße und dann bin ich da. Nervosität und Vorfreude breitet sich in mir aus. Ein komisches Gefühl. Meine Beine werden mit jeden Schritt immer schwerer. Gleichzeitig werde ich langsamer. Von weiten kann ich das Haus schon sehen, so auch die Nachbarhäuser.

Unsere Nachbarn waren immer nett zu uns. Sie haben uns gegrüßt, Pakete angekommen und auf meinen Bruder und mich aufgepasst. Vorallem die Frau, die schon etwas in die Jahre gekommen ist. Sie hat immer auf uns aufgepasst, wenn unsere Eltern nicht konnten. Sie hatte keinen Mann oder Kinder. Gar keine Verwandte, die sie besucht hat. Jeden Monat hat sie uns sogar Geld gegeben, was wir auch immer gebraucht haben. Mit dem Taschengeld von unseren Eltern kamen wir nicht wirklich aus.
Da waren wir froh noch etwas dazu zu bekommen. Immer haben wir uns mit einer Umarmung bedankt. Nach ein paar Jahren, wir waren da ungefähr 15, starb sie im Krankenhaus, wegen einem Herzinfarkt. Ab da haben Steve und ich gelernt mit unserem Geld umzugehen. Wir kamen mit unserem Taschengeld prima über den Monat. Ich vermisse diese Oma ab und zu. Nicht wegen des Geldes, sondern ihrem Daseins. Ihr Name ist mir unbekannt und es gibt keinen, den ich danach fragen kann. Sie wird für immer diese Oma bleiben.

Noch 2 Häuser.
Ich bleibe stehen. Es ist das Haus der Oma. Einen kleinen Moment denke ich an sie. Ihre Fürsorglichkeit, ihre Offenheit, ihre Omaheit. Bilder meiner Vergangenheit holen mich ein. Das fängt ja schon gut an. Kurz halte ich inne und denke an andere Omas, die alleine sind und waren, die alleine leben und alleine starben. Mir tun sie leid. Jeden Tag haben sie Schmerzen wegen Krankheiten und warten auch nur, dass ihr letzter Tag gekommen ist.

Jetzt stehe ich genau davor; vor meinem Zuhause.

Es sieht verlassen aus, als ob es seit meinem Auszug keiner mehr betreten hat. Das arme Haus. Es hat nicht verdient so schäbig auszusehen. Das Haus muss ja nicht leiden, nur weil die Bewohner gestorben oder ausgezogen sind. Doch dagegen kann ich auch nichts machen.

Ich gucke einmal nach rechts und nach links. Es ist keine Menschenseele zu sehen. Schnell gehe ich die Stufen hoch und mache die Tür auf. Es wundert mich, dass sie nicht abgeschlossen ist. Staubpartikel schwirren herum, als ich sie mit meinen Bewegungen zum fliegen bringe. Einmal muss ich niesen.

No Reason to LiveWhere stories live. Discover now