Die fröhlichen Gesichter hatten sich ihr ins Gedächtnis gebrannt. Harrys breites Grinsen, Ginnys leuchtende Augen. Es war nicht oft vorgekommen, dass sie gelächelt hatten. Doch an diesem Abend hatten sie es alle. Dass soetwas einmal zerbrechen würde, schien ihr so unwirklich. So falsch. Als wäre es nicht real. Harry folgte ihrem Blick. ,,Du hast es noch", flüsterte er kaum hörbar und schluckte. Nicht nur ihm hatte sich ein Kloß im Hals gebildet. Ihre Kehle und ihr Mund waren staubtrocken. ,,Natürlich", kam ihre ebenso leise Antwort. ,,Ich könnte so etwas niemals wegschmeißen." Eine unbehagliche Stille bildete sich im Raum, während Hermine tiefe Atemzüge nahm, um ihre Konzentration wieder auf die Realität zu lenken.

Sie räusperte sich. ,,Es ist Vergangenheit, Harry. Wir können sie nicht verleudgnen, aber wir müssen auch akzeptieren, dass wir in der Gegenwart leben und mit ihr abschließen müssen."

,,Aber was ist, wenn die Vergangenheit gar nicht so vergangen ist, wie wir denken?", kam sofort Harrys Antwort. ,,Wenn meine Beziehung mit Ginny der Vergangenheit angehört. Du sagtest, wir sollten in der Gegenwart leben. Was, wenn das mit Ginny dann falsch wäre?" Sie überlegte einige Sekunden. Harrys Worte waren gar nicht so unwahr. Sie hatte die Beiden manchmal besucht, war mit Ginny ausgegangen, hatte mit Harry die Buchläden unsicher gemacht. Doch bei diesen Treffen war es stets um den Spaß gegangen. Sie hatten nicht über ihre Beziehungen geredet, außer als Hermine sich von Ron getrennt hatte. Aber über Harry und Ginnys Beziehung war nie ein Wort gefallen. Sie waren immer das glücklich verliebte Paar gewesen, das den Krieg überstanden hatte. Was, wenn das alles nur Fassade gewesen war? Wenn es zwischen den Beiden schon länger Probleme gegeben hatte und Harry es ihr nicht erzählt hatte? Aufgrund der wenigen Wortwechsel über ihre Beziehung, konnte Hermine das nicht wissen.

,,Hast du mir gestern vielleicht nicht die ganze Wahrheit erzählt?", begann sie vorsichtig. Er zog die Augenbrauen zusammen und trank seinen Kaffee aus, während Hermine ihren nicht angerührt hatte. ,,Wie meinst du das?" Sie neigte leicht den Kopf. ,,Du hast auf mich so gewirkt, als ob du nicht wüsstest, warum sie dich betrogen hat. Vielleicht habe ich das falsch interpretiert und es war in Wahrheit der Schock, dass etwas, vor dem du dich gefürchtet hast, tatsächlich eingetreten ist. Harry, um zu wissen, wie du handeln sollst, muss ich die Wahrheit kennen." Er kratzte sich am Hinterkopf und nickte schließlich. ,,Na gut. Seit der Verlobung haben wir uns oft gestritten, eigentlich nur noch. Ginny hat den Antrag zwar angenommen, aber eigentlich eher aus Überraschung. Das hat sie mir zumindest erzählt, falls ich ihr noch glauben kann."

Sie zog eine Augenbraue hoch. ,,Du sagst, sie hätte sich nicht aus Liebe mit dir verlobt. Warum nicht?"

,,Nun, ich denke, sie liebt mich schon. Sonst wäre sie wohl kaum mit mir zusammen gewesen, es ist ihr egal, was die Öffentlichkeit über sie sagt. Aber sie sagte auch, dass sie sich an die Verlobung gebunden fühlte. So als wäre es ihre Pflicht. Die Weasleys haben immer wieder Bemerkungen und Anspielungen bezüglich unserer Beziehung gemacht. Dass wir den großen Schritt doch wagen sollen und wir füreinander bestimmt sind. Natürlich versteckt, aber doch deutlich verstehbar." Er machte eine kurze Pause und holte tief Luft, ehe er fortfuhr. ,,So sehr Ginny die Presse egal ist, so sehr ist ihr ihre Familie wichtig. Und durch diese Kommentare wurde ein gewisser Druck aufgebaut, dem sie standhalten wollte. Also sagte sie Ja. Und wusste nicht, welche Konsequenzen ihr unüberlegtes Handeln nach sich ziehen würde. Ehrlich gesagt habe ich schon länger an eine Heirat gedacht und als die Weasleys uns dann auch noch in diese Richtund drängten, dachte ich, es wäre die richtige Entscheidung. Doch die war es wohl doch nicht."

,,Und ihr habt euch wegen des hohem Drucks, dem Ginny standhalten musste, gestritten?" Er nickte. ,,Ja, das hat sie mir ein paar Tage danach erzählt. Sie sagte, dass sie mich liebt. Aber auch, dass ihr der Druck zu hoch sei und sie viel Zeit hatte, um zu denken. Um uns zu hinterfragen. Und sie kam auf das Ergebnis, dass wir vielleicht nur wegen der Vergangenheit zusammen sind. Weil wir vor und nach dem Krieg glücklich waren und jeder uns als Paar toll fand. Vielleicht hat sie Recht. Ron und du, ihr habt euch doch auch aus diesem Grund getrennt. Weil ihr eine schöne Zeit nach der Schlacht hattet und die dann geendet hat." Sie nickte bedächtig. ,,Ja, aber das heißt nicht, dass das bei euch genauso sein muss. Ron und ich hatten Gefühle füreinander und diesen einen stürmischen Kuss in der Kammer des Schreckens, aber mehr war da auch nicht. Das waren nie tiefe Gefühle gewesen, sondern nur Zuneigung. Ihr dagegen..." Sie wusste nicht, wie sie enden sollte, deshalb ließ sie den Satz einfach in der Luft hängen.

,,Aber das ist es doch. Jeder hält uns für perfekt. Die Öffentlichkeit, Ron, die Weasleys, du - so entsteht dieser Druck", antwortete er, während seine Hand durch sein pechschwarzes, wirres Haar fuhr, welches durch die Bewegung noch zerstrubbelter aussah, als es eh schon war. ,,Entschuldige", erwiderte sie leise. ,,Ginny hat mit dir über ihre Gefühle gesprochen - was ist dann passiert?" Er ließ sich gegen die Sessellehne fallen. ,,Dann stritten wir uns, weil ich nicht ihrer Meinung war - was ich im Nachhinein nicht nachvollziehen kann. Ich habe ihr gesagt, dass das zwischen uns echt ist und dass sie sich keinen Druck machen soll, von Niemandem - was sie als Beleidigung ihrer Familie auffasste. Ich habe versucht, alles noch gerade zu biegen, aber sie stürmte einfach ohne ein weiteres Wort zu sagen aus der Tür. Am nächsten Abend sah ich sie dann mit diesem fremden Kerl."

Ein paar Augenblicke lang heerschte Stille im Raum, die nur von den gedämpften Geräuschen der Autos und Touristen draußen unterbrochen wurde. Schließlich räusperte sich Hermine: ,,Ich bin mir nicht sicher, ob du sie nun liebst oder nicht - auch wenn man das so nicht richtig sagen kann. Man kann es eigentlich nie richtig sagen, deswegen ist die Sache ja auch so schwer." Er schüttelte den Kopf. ,,Ich weiß es nicht. Jetzt, wo ich genauer darüber nachdenke - vielleicht habe ich mich zu sehr an die Vergangenheit geklammert und gehofft, es wäre Gegenwart. Vielleicht ist das mit uns wie bei Ron und dir - die schöne Zeit endet und wir erkennen, dass es nicht mehr mit uns funktioniert."

Wieder legte sich unbehagliches Schweigen über sie. Hermine konnte Harry weder zustimmen noch widersprechen. Es stand nicht in ihrer Macht, seine wahren Gefühle zu erkennen, das konnte nur er. Sicher konnte sie von außen beurteilen und Pyschologie anwenden, aber seinen wahren Gefühlszustand vermochte nur er zu wissen. Und jetzt gerade wusste er es nicht, da konnte sie nicht viel machen, außer ihm einen Denkanstoß zu geben. Nur viel ihr leider keiner ein. ,,Ich denke, dein Kopf ist im Moment ziemlich voll", meinte sie schließlich. Das war das Einzige, was ihr eingefallen war, um Harry zu helfen. ,,Geh spazieren oder mache irgendetwas entspanntes, lese zum Beispiel ein Buch. Tu, was immer du willst, nur nicht in dieser Welt. Gehe in eine Andere, vergiss diese, und komm wieder, wenn dein Kopf frei ist. Mehr kann ich im Moment nicht für dich tun, nur du kennst deine eigenen Gefühle richtig."

Nach ein paar Sekunden nickte er und stand auf. Sie tat es ihm nach und ließ sich von ihm umarmen. ,,Danke. Du weißt gar nicht, wie dankbar ich dir für das, was du für mich tust, bin." Sie lösten sich voneinander. ,,Das tue ich gerne. Denn unsere Freundschaft ist Gegenwart."

,,Ich weiß."

Zufall mit HindernissenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt