Anlageberatung

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Lacturner schlug die Beine lässig übereinander. Sorgsam rieb er sich den gestutzten Dreitage-Bart. Dann winkelte er den rechten Arm langsam an, worauf sich der Ärmel seines hellblauen Sakkos erwartungsgemäß nach hinten verschob und zuverlässig eine blitzende Rolex-Uhr freisetzte. Lacturner schielte zufrieden zu seinem sanft gebräunten Handgelenk. Er sah gut aus.

Lacturner war der Finanzberater.

Ihm gegenüber, auf der anderen Seite des eichernen Besprechungstisches, verborgen hinter einer voluminösen Kaffeetassel, sass Rückwirth. Langsam weichendes graues Haupthaar, Kassengestell, Bauchansatz. Jetzt gerade stützte er den Kopf in die Hände. Hier sitzt er, der typische Unterschied zwischen Politikern und Bankern, dachte Lacturner boshaft.

Rückwirth war der Kämmerer der Stadt Tyggenburg

Lacturner sagte laut: „Was regst Du Dich eigentlich so auf?"
Rückwirth hob den Kopf: „Entschuldigung? Es stehen 40 Millionen Euro zu Gebote."
„Gar nichts steht zu Gebote. Alles safe, mein Freund. Nichts ist passiert."
"Ach so? Ich sitze auf wertlosen Immobilienpaketen, mein Finanzberater erklärt mir gerade, dass er auch nicht weiß, welche Liegenschaften diese genau enthalten und wie deren Darlehensnehmer so drauf sind. Aber - klar - es ist nichts passiert."
„Unsere Analysten sagen...."
„Liest Du keine Zeitung? Diese Häuserkäufer zahlen nicht mehr, wenn Sie es je getan haben. Der Emittent, Deine tolle amerikanische Bank ist pleite. Und die verdammte Opposition beantragt eine Fragestunde, auf der ich Auskunft über die Anlagestrategie der Stadt geben soll. Was soll ich erklären? Dass wir 40 Millionen Stadtvermögen in Nevada verbuddelt haben?"

Rückwirth fuhr einen leicht verschrumpelten Zeigefinger aus und zielte direkt auf Lacturner. Obschon die Eichentafel für Abstand sorgte, wich dieser doch zurück.
„Deine Beratung war das, mein Freund. Die Arbeit von Dir und deinen Ferarri-Freunden."

Lacturner hob kurz die Augen zu der weißgetünchten Decke. Man musste Rückwirth solche Attacken nachsehen. Er gehörte der Mehrheitsfraktion des Stadtrates an, die etwas romantisierenden Ansichten zum Gemeinwohl und überdies einem massiven Neidkomplex anhing. „Wir fahren Audi", erwiderte er leicht pikiert.
„Du bist ausserdem ungerecht. Ihr seid gut mit uns gefahren. Die Pakete haben ihren Wert in den vergangenen vier Jahren vervierfacht. Genauso, wie wir es vorhergesagt haben."
„Nur dass dieser vierfache Wert sich gerade auf Null reduziert hat."
Rückwirth wurde vernehmbar lauter „Da ist der Briefkasten meiner Tante Cecilia noch teurer."

Sie schwiegen eine kurze Weile.

Dann schlug Rückwirth mit der flachen Hand auf den Tisch, so dass die Teetassen klapperten. „Also?"

Lacturner seufzte. Ok, wir lassen uns was einfallen. Bis zum achten September hast Du einen Vorschlag auf dem Tisch..."
„In einem Monat? Bist Du verrückt? Stadtratssitzung ist am Neunten nächste Woche."
Lacturner begann jetzt doch etwas zu schwitzen. „So schnell geht das nicht. Du weisst genau, dass wir ...nunja ...zeitlich festgelegt sind. Abgesehen davon ist die Auftragslage angespannt. Ihr seid nicht die Einzigen, die sich derzeit mit der Bankenkrise herumschlagen..."
Rückwirth ließ sich in seine Lehne fallen. „Die Auftragslage, mein Freund ist folgendermaßen: Wenn Ihr Euch bis zum achten August nichts einfallen lasst, werde ich Euch öffentlich dermaßen an den Galgen hängen, dass Du künftig gar keine Auftragslage mehr hast. Haben wir uns verstanden?"
Lacturner knurrte. „Das wird Trüffelbier nicht gefallen."
Rückwirth gestattet sich jetzt zum ersten Mal ein Lächeln. „Ach ja, der Drache. Sag Deinem Herrn und Meister, ihm mag vielleicht Deine Bude gehören, aber ihm gehört nicht die Stadt. Er ist noch nicht mal wahlberechtigt."

Rückwirth beobachtete von seinem Bürofenster im dritten Stock, wie Lacturner gerade unten über den Parkplatz stiefelte und in einen feuerroten Porsche kletterte. Von wegen Audi, dachte er.

Tyggenburg - Geschichten aus AnderswoWhere stories live. Discover now