Unfall

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„Ja, danke für das Wort", sagte der alte Wachtmeister, „jetzt ist es wohl an mir, in dieser Runde eine Geschichte zu erzählen, welche sich erst in jüngster Zeit in Tyggenburg zugetragen hat. Es geht um den Drachen Pankratius Trüffelbier.

Ich sehe, dass manche von Ihnen lächeln. Es war wirklich eine eigenartige Begebenheit, aber ich kann Ihnen versichern, damals fanden wir die Sache überhaupt nicht komisch...zunächst.

Aber der Reihe nach.

Sie alle kennen den Stadtrat Poggenpohl. Ich weiß nicht, wie Sie heute zu ihm stehen, aber Poggenpohl galt bereits damals als aufstrebender Politiker, als Zukunft der Partei. Nur war er noch nicht Stadtrat, dafür aber jung und schlank und ein Hansdampf in allen Gassen, wenn ich es so ausdrücken darf. Dazu nicht sonderlich beliebt. Ein wenig hochfahrend, ein wenig zu schnöselig, so seine damaligen Kritiker.

Gleichwohl - man gab ihm alle Chancen für eine zukünftige Bürgermeisterkandidatur. Wie Sie wissen, ist daraus nichts geworden und die Affäre mit dem Drachen hat entscheidend dazu beigetragen, dass sein Stern doch nicht so leuchtend aufging, wie erwartet.

Die Sache begann damit, dass unser Politiker eines Nachts auf die Tyggenburger Stadtwache stürmte, völlig aufgelöst, das Haar hing ihm ins Gesicht, das sonst so ordentliche Jackett in Fetzen, eine Platzwunde auf der Stirn. Er stammelte.

Wir, ich war damals noch ein junger Beamter, frisch von der Polizeischule, also wir sagen ihm, er solle sich erst einmal setzen. Poggenpohl war völlig fertig, so kannten wir ihn gar nicht. Ein Tee brachte ihn dann auf die Beine.

Er wolle eine Anzeige machen.

Wie Sie sich denken können, war eine Anzeige für uns Routine. Ich nahm also einen Block und fragte nach den Einzelheiten.

Er wolle, sagte Poggenpohl, eine Anzeige wegen Fahrerflucht machen.

Sie können mir glauben, liebe Freunde, dass ich nach den ersten Sätzen den Block wieder sinken ließ.

Poggenpohl war in dieser Nacht mit seinem Wagen aus Bad Bunge nach Tyggenburg zurückgefahren und musste sich wegen der vorgerückten Stunde, es war weit nach Mitternacht, mächtig beeilt haben. Ich nehme an, sie kennen die Landstraße. Wie heute führte sie schon damals durch den alten Tyggenburger Stadtwald, der bis an die Tore unserer Stadt heran reicht. Damals war die Straße bei weitem nicht so ausgebaut wie heute, die Sichtverhältnisse bei Nacht schlecht, um nicht zu sagen miserabel. Poggenpohl war also kurz vor Tyggenburg mit jemandem, der plötzlich links aus einem Waldweg einbog, zusammengestoßen. Er konnte noch bremsen, nicht aber verhindern, dass er dem Anderen frontal in die Seite fuhr. Der Wagen war Totalschaden, er selber blieb – bis auf die Platzwunde und Hautabschürfungen – unverletzt.

Sie können sich vorstellen, dass ein solcher Unfallgegner ganz schön Masse mitbringen musste, wenn eine teure Limousine wie die Poggenpohls Totalschaden erlitt. Dabei aber völlig heil blieb.

Wir fragten also nach dem Verursacher und Poggenpohl antwortete, es sei der Drache gewesen.

Er gab weiter an, nach dem Unfall betäubt oder einfach benommen gewesen zu sein. Der Drache habe sich nach einigen Brummeln von der Unfallstelle entfernt, ohne sich um ihn, Poggenpohl, zu kümmern und ohne eine Adresse zu hinterlassen. Trüffelbier sei eindeutig von links aus einem nicht bevorrechtenden Waldweg auf eine Vorfahrtsstraße eingebogen, ohne Beachtung etwaiger ankommender Fahrzeuge. Die Schuldfrage sei daher eindeutig und er, Poggenpohl, zeige Pankratius Trüffelbier wegen fahrlässiger Körperverletzung und vorsätzlicher Unfallflucht an.

Der Wachtmeister lachte und lehnte sich zurück.

„Für Poggenpohl kein leichter Schritt, diese Anzeige. Denn ich sollte hinzufügen, er saß nicht allein im Auto. Jedoch seine Frau war nachweislich auf einem Empfang in der Stadt. Die betreffende Mitfahrerin, eine deutlich jüngere Dame, hatte einen solchen Schock bekommen, dass sie nichts weiter zum Fall beitragen konnte und nur grob seine Aussage bestätigte.

Tyggenburg - Geschichten aus AnderswoWhere stories live. Discover now