Märchenprinz

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Christine nickte zurück und sie beobachtete über die Schulter, wie das lange Gesicht des Magistratsbeamten noch länger wurde. Ein Stöhnen entrang sich dam schmallippigen Mund und seufzend mit dezentem Klopfen fiel eine Hand auf den Tisch.

Christine lächelte und starrte wieder durch die Scheibe. Der Schnee fiel in leisen Flocken, folgte einer Melodie, die sie nicht kannte, ein weißer Schleier, der sich langsam senkte, immer und immer wieder, ohne Unterlass.

Vorhang auf, dachte Christine, wir spielen ein neues Stück, und sie spähte wieder über ihre Schulter zu dem Tisch, an dem Äpfelbauer zusammengesunken war.

„Immer mit der Ruhe, mein Lieber", hörte sie die volle Stimme Boggenbrooms beschwörend einreden, „immer mit der Ruhe."

Christine strich sich über ihr langes blondes Haar, betrachtete ein letztes Mal ihr Gesicht in dem dunklen Fenster. Zwei dunkle Augen kamen ihr entgegen, ein bisschen grün und ein bisschen vergnügt. Augen, dachte Christine heiter, die soeben etwas ganz Entscheidendes gesehen haben.

Langsam schlenderte sie zu dem Tisch zurück.

Äpfelbauer hatte sich hinter einer dichten Tabakwolke verborgen. Der Schock saß tief in seinen Gliedern und die Hand legte sich zitternd um das Bierglas. Boggenbroom dagegen starrte frisch und ernsthaft auf einen imaginären Punkt hinter der Theke. Das Schulschiff ‚Wilhelmine' ließ sich nicht so leicht erschüttern.

„Fräulein Christine", erklärte er langsam, „Märchenprinzen gibt es nur im Märchen."

Christine lachte fröhlich aus ihren 25 Jahren in das faltige Gesicht des Arztes.

„Wie Sie sehen, kann Ihre Behauptung wohl nicht stimmen!"

Boggenbroom zuckte zurück und schloss verdrossen den Mund. Auf dem Schulschiff ‚Wilhelmine' war anno 63 der Klabautermann erschienen und hatte dem Leichtmatrosen Boggenbroom dortselbst persönlich die Hand gedrückt, ihn anschließend die Rahe raufgezogen. Boggenbroom hatte die Geschichte bereits mehrfach im „Weinfass" erzählt, war aber stets auf Unglauben gestoßen. Das Erscheinen des Märchenprinzen erschütterte ihn daher tief, mehr, als er vor den Anderen und vor allem vor sich selbst zugeben wollte. Ein Märchenprinz, und warum glaubt niemand an Klabautermänner?

Die Tür schlug mit einem lauten Krachen auf und fitzGerald betrat schlotternd den Raum. Ein kleiner, feinnerviger Mann, dachte Christine, immer friert er, stets, wo immer man ihn auch trifft, trägt er mindestens drei Kleidungsstücke übereinander. Und Handschuhe. Er ist eigentlich oft sehr still, lauscht nach Dingen, die irgendwo draußen sein mögen, aber jetzt, jetzt hat er ihn gesehen, wie ich, den Märchenprinzen.

„Sehr deutlich zu erkennen", rief fitzGerald, „eine Kutschenspur und 6 Pferde, gut eingedrückt in dem Schneetreiben da draußen."

„Ihnen glaube ich gar nichts", erklärte Boggenbroom, „seit der Geschichte mit dem Normannen..."

fitzGerald schälte sich aus dem Mantel und nahm betont methodisch seinen Schalt ab.

„Zu glauben brauchen Sie mir gar nichts, aber Sie können sich die Spuren gerne draußen ansehen."

Boggenbroom beobachtete mit stillem Groll, wie fitzGerald nach einem heißen Tee verlangte und mit dem Wirt einige Worte wechselte, abgerissene Sätze, in denen das Wort „Märchenprinz" deutlich zu hören war. Christine lehnte sich zurück. Boggenbroom ist bestimmt sehr ärgerlich, den Märchenprinzen haben alle gesehen, aber niemand den Klabautermann.

Ein Schnauben kam aus dem Häuflein Elend, das Äpfelbauer hieß, und es ermahnte Boggenbroom zu der Feststellung, dass er fitzGerald nichts entgegnet hatte.

Tyggenburg - Geschichten aus AnderswoWhere stories live. Discover now