Zahltag

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Ich blickte mich um. Die Bar war noch halbleer.

Zumindest die Tänzerin in ihrem Käfig war schon bei der Arbeit. Sie war schlank, bestimmt kaum älter als zwanzig. Selbstversunken reckte sie sich zu dem hämmernden Beat der Housemusik. Ihre Arme fuhren schlangengleich durch die Luft, ihre Schenkel, nur hauchdünn bedeckt von schwarzer Gaze, wickelten sich um die Gitterstäbe.

Sie tanzte für sich. Kaum einer der wenigen Gäste blickte zu ihr hin.

Ich hatte es vorher gewusst. Ich würde zu früh kommen. Doch zu Haue fiel mir die Decke auf den Kopf. Ich war allein, der Dackel schlief. Warum also nicht ein Besuch beim Drachentanz?

Kurt, der Barkeeper, spülte Glaser.

Ich setzte mich an den Tresen.

Kurt bediente in der Dragon Bar seit ihrer Eröffnung vor drei Jahren. Seine langen schwarzen Haare glänzten vor Haargel und waren hinter dem Kopf zu einem koketten Dutt geknotet. Zwei grüne Augen blitzten von stolzen ein Meter Neunzig herunter. Die Tyggenburger Weiblichkeit, lästerten böse Zungen, besuche die Dragon Bar vor allem wegen Kurt.

Es gab sicher schlechtere Gründe. Aber die Lästerzungen wußten auch, daß Kurt nicht der einzige Grund war. Zumindest nicht am Samstag.

Kurt tunkte eines der Gläser in das Becken, zog es heraus, betrachte es prüfend.

Er sah blaß aus.

Ich kannte Kurt aus der Schule. Er besuchte die zehnte Klasse im Tyggenburger Stadtgymnasium, während ich mich mehr oder minder erfolgreich mit dem Abitur abmühte. Später trafen wir uns an der Universität wieder. Er studierte Jura, ich Mathematik. Dann ging Kurt ins Ausland. Doch eines Tages war er wieder da. Alle wetteten, er werde eine eigene Kanzlei gründen. Doch stattdessen öffnete die Dragon Bar ihre verruchten Pforten in der Altstadt und Kurt stand allabendlich hinter dem Tresen und spülte Gläser. Einige aus der Clique runzelten damals die Stirn. Ein Job als Barkeeper?

Er halte eben Anteile, pflegte Kurt zu antworten. Zumindest die Materialisten unter uns zeigten sich darauf beruhigt. Kurt fuhr einen roten Ferrari und das war ja wohl Beweis genug, dass der Einsatz lohnte.

Zumal die Dragon Bar nicht irgendeine Diskothek war.

In der Dragon Bar tobte jeden Samstag der Drachentanz.

"Danke, es geht", antwortete Kurt auf meine Frage. Seine Stimme krächzte leise, weil er gegen den lauten Beat anschreien mußte.

"Krank?"

"Nein. Nur eine Formschwäche. Heute ist Zahltag."

"Na und? Ist doch prima für Dich."

"Du verstehst nicht. Ich bin kein Angestellter."

"Oh, der Herr Arbeitgeber muß Geld ausgeben?"

Kurt verzog das Gesicht. Er griff sich ein weiteres Glas. Ich blickte hinüber auf den Tanzkäfig, wo das Mädchen gerade vergeblich versuchte, sich zu den Deckenstangen hinaufzuwinden. Ich deutete mit dem Kinn hinüber.

"Wer ist sie?".

"Susanne"

"Schon lange bei Euch?"

"Ein halbes Jahr vielleicht".

"Wo kommt sie her?".

Kurt hielt ein Glas prüfend gegen das flackernde Licht der Lightshow.

"Ist das hier ein Verhör? Sie hat ein Jahr in Indien unten verbracht und will sich jetzt ein bißchen Geld für ihr Studium verdienen. Germanistik. Weiß der Teufel, warum Frauen immer Germanistik studieren."

Tyggenburg - Geschichten aus AnderswoWhere stories live. Discover now