12. Lügen von allen Seiten

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Seine Arme umschlossen mich fest und ich presste mich gegen ihn.
Er sagte nichts, hielt mich einfach nur, wiegte mich und flüsterte beruhigend auf mein Schluchzen ein.

Nie in meinem Leben hatte ich auch nur einen Gedanken daran verschwendet vielleicht adoptiert worden zu sein. Warum auch?
Ich und meine Mom waren uns sehr ähnlich, nicht nur vom äußeren und auch mein Vater und ich hatten viele Gemeinsamkeiten.

Doch jetzt raubte mir die Wahrheit den Atem, zwängte mich in die Knie und ließ mich an nichts anderes mehr denken.
Alles drehte sich und am liebsten hätte ich mich übergeben, denn mir war schlecht.
Schlecht, von meinem alten Leben, von dem Schatten meiner selbst, welches ich die ganze Zeit für wahr empfunden hatte.

Niemals hatte ich eine solche Wut, Angst und Enttäuschung verspürt wie in diesem Moment.
Mein ganzes Leben schien an meinem inneren Auge vorbei zu ziehen und ich stellte mir mich in einem anderen Leben vor.

Wie wären meine Eltern?
Meine Freunde?
Hätte ich Geschwister?

Alles stand Kopf und niemand konnte das Chaos legen.
Ich war verloren.
Doch Hayes hielt mich zusammen. Er hielt mich, ordnete mich und half mir.

Ich schmiegte mich in den Stoff seines Pullovers.

"Und was sagst du jetzt zu deinen.. Eltern..?" Flüsterte er.

Ich zuckte mit den Schultern.
Über die Zukunft wollte ich mir keine Gedanken machen, nicht jetzt. Ich wollte abgelenkt werden!

Verschmitzt lächelnd richtete ich mich auf, zuckte mit den Schultern und küsste ihn fest und verlangend auf den Mund.

Ein überraschtes Geräusch entfuhr ihm, doch er ließ es sich gefallen.
Ich wollte wieder die Harmonie zwischen unseren Körpern fühlen und diesmal mehr. Ich wollte wieder das flammende Feuer in mir aufglühen spüren aber noch heftiger als vorher.

Immer fester presste ich meinen Mund auf seinen, immer verlangender legte ich meine Lippen auf seine.
Seine Hände fuhren wild durch meine Haare und hielten meine Hüften an seinem Körper.

Er drückte mich immer mehr, dass ich keuchen musste, doch der Kuss brach nicht ab.
Ich schlang meine Arme um seinen Hals und versuchte gleichzeitig seinen Pullover von ihm zu reißen.

Schlagartig löste er sich von mir und ich plumpste hart von Wolke sieben zurück auf die Erde.

Verärgert sah ich ihn an. Hatte er nicht verstanden, dass ich einfach ein bisschen Ablenkung und Spaß brauchte?

"Was sollte das denn?" Fragte er.

Doch ich schnaubte nur wütend. Warum gönnte er mir diesen Moment nicht, genau dann, wenn ich ihn brauchte?

"Ist auch egal. Ich glaub ich geh lieber zu Luna oder Alice."

Ich nahm mein Handy von seinem Bett und hatte schon halb den Raum durchquert, als sich seine Hand um meinen Arm schloss.

"Ich will nicht, dass es so passiert." Sagte er ernst. "Ich will, dass es etwas besonderes ist. Nicht jetzt, wo du verletzt bist und nur abgelenkt werden willst!"

"Warum nicht? Genau das ist es was ich jetzt gerade brauche!" Sagte ich und merkte wie die Tränen zurück in meine Augen schossen. Ich wollte es jetzt! Was verstand er daran nicht?

"Das brauchst du nicht. Du brauchst Antworten und Zeit." Seine Stimme klang wieder sanft.

Wie machte er das nur? Vor drei Sekunden war ich noch sauer gewesen und jetzt wollte ich einfach nur wieder in seinen Armen liegen.

Ich trat auf ihn zu. Mein Blick verschwamm wieder unter Tränen und ich stürzte mich in seine Umarmung.

Beruhigend flüsterte er meinen Namen. Seine kehlige, wunderbare Stimme klang wie aus weiter Ferne zu mir.

"Danke." Sagte ich einfach nur und versank in ihm.

Am nächsten Morgen wachte ich auf und war nicht in meinem Zimmer. Ich brauchte einen Moment um zu verstehen was passiert war, doch dann holte mich der letzte Tag wieder ein.

Ich bin adoptiert.
Ich bin adoptiert.
Ich bin adoptiert.

Dieser Satz spielte sich immer und immer wieder in meinem Kopf ab.

Hayes war nicht ins seinem Zimmer. Doch als ich mich angezogen hatte und ins Wohnzimmer kam, sah ich, dass er sich schon ans Frühstück gemacht hatte.

Entschuldigend grinste er mich an und ich lächelte zurück. Es tat gut. Seine Nähe tat gut. Er tat gut...

"Magst du Rührei?" Fragte er und gab etwas aus der Pfanne auf seinen Teller.

"Ja, sehr gern." Sagte ich. "Kann ich dir helfen?"

"Du kannst mir helfen, indem du dich einfach hinsetzt und dich entspannst."

Ich schmunzelte, doch dann fiel mein Blick auf die Uhr. "Oh Gott! Wir sind viel zu spät!" Schrie ich.

Gelassen zuckte er mit den Schultern. "Wir haben heute die ersten beiden Stunden frei."

Ich wartete, doch eine Erklärung gab er mir nicht.
Ich brauchte auch gar keine. Lieber genoss ich es und vertraute darauf, dass er alle geregelt hatte.

"Hayes!" Sagte ein dunkelhaariger Junge, Nash. Sein Blick fiel auf mich und ein geheimnisvoller Ausdruck lag auf seinem Gesicht. "Hast es also geschafft..? Ich geb dir das Geld später."

Er versuchte bei Hayes abzuklatschen, doch dieser war erstarrt. Sein Blick lag auf mir und er wirkte fast hypnotisierend. Als wollte er, dass ich das gerade nicht richtig verstanden hatte.

Doch ich hatte es verstanden.
Mein Herz rutschte mir in die Hose. Nein.. Es rutschte nicht weg, es splitterte und all die kleinen Splitter zerschnitten alles was von mir übrig war.

"Geld?" Keuchte ich und stand auf.

Ganz unberührt fuhr Nash fort. "Oh. Hayes das hast du aber gut gemacht." Er lachte. "Die denkt das ja ernsthaft!"

Und wieder war es an mir zu flüchten. Ich lief. Lief hinaus auf die Straße, einfach weg von seinem Haus und Nash und ihm!

"Paige, warte!" Schrie er mir hinterher. Seine langen, athletischen Beine hatten meine kurzen, schwachen in wenigen Sekunden eingeholt, doch ich stampfte unbeirrt weiter.
Ich durfte mich nicht darauf einlassen! Wenn ich jetzt nachgab würde ich es ganz sicher noch schlimmer werden.

"Paige.. Wirklich! Es tut mir leid.."

War das jetzt ein Geständnis? Hatte er wirklich auf mich gewettet? Hatte er gewettet, dass er mich ganz leicht rum bekam?
Die Splitter meines Herzens bohrten sich noch tiefer in mich hinein.

Er hielt immer noch Schritt, doch er wirkte hoffnungslos.
Warum tat er überhaupt noch so?
Er hatte es doch geschafft! Er hatte mich herum bekommen.
Also warum konnte er jetzt nicht einfach gehen?

"Komm doch wieder mit rein und wir reden über alles." Sagte er schwach und versuchte mich am Arm zu fassen.

Ruckartig blieb ich stehen und zog meinen Arm zurück.
Fassungslos sah ich ihm in die blauen Augen, deren Strahlen irgendwie zurück gegangen war.
Ich weinte nicht.
Ich schlug nicht um mich.
Ich machte nichts, ich sah ihn nur an.
Enttäuscht.
Nicht wütend. Nicht traurig.
Nur enttäuscht.

Sein Arm erschlaffte. Und auch sein Blick schien immer undurchsichtiger zu werden.

"Lass mich." Sagte ich, ganz ruhig und ließ ihn hinter mir stehen.

Far away//Hayes GrierWhere stories live. Discover now