14.

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May saß am Rande des großen Felsens, mehrere Meter über der Tiefe.
Man hörte wie die Wellen gegen die Felsen schlugen und anschließend auf den schwarzen Sand rollten.
Es war, als hätten wir eine Verabredung.
Ich kam jeden Abend zur gleichen Zeit hier her, weil ich wusste, dass sie da sein würde.

Ich hatte mir vorgenommen, heute mit ihr zu sprechen.
Ich wollte wissen, warum die meisten ihrer Lehrer sie nach dem Unterricht aufhielten, um mit ihr zu reden. 
Ich wollte wissen, warum ihre Mutter gestern mit tränenüberströmten Gesicht vor unserer Haustür stand.
Ich wollte wissen, weshalb ihre Freundinnen ihr immer wieder mitfühlende Blicke zuwarfen und sie umarmten, sobald sie die Gelegenheit dazu bekamen. 
Ich wollte wissen, warum es sie vor Schluchzern schüttelte und ihr unaufhörlich Tränen über die Wangen flossen. 
Ich wollte wissen, ob es stimmte, dass jemand aus ihrer Familie gestorben war.
Ich wollte wissen, ob ich irgendwas für sie tun konnte. 

Wie jeden Abend ließ ich mich neben ihr nieder, die Beine über dem Abgrund baumelnd.
Wie jeden Abend sagte May nichts, als ich mich zu ihr setzte.
Wie jeden Abend redeten wir nicht miteinander; saßen bloß in einvernehmlichen Schweigen nebeneinander.
Wie jeden Abend fragte ich mich, ob sie meine Anwesenheit störte.
Wie jeden Abend saß ich so nahe neben ihr, dass ich ihren Geruch einatmen konnte.   

Heute war es Kiwi.

mayDonde viven las historias. Descúbrelo ahora