Der letzte Morgen

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Der letzte Morgen

Ich erinnere mich zu gut an den Tag, an dem ich die Waffe gegen sie gerichtet habe und irgendetwas mich aufgehalten hat. Im Nachhinein glaube ich nicht, dass es bloß das Gute in mir war oder dass ich mich in ihr gesehen habe. Es war etwas anderes.

Für sie war der Moment ein Abgrund, ein Moment voller Leid und Schmerz-  und für mich- für mich war es der erste Morgen. Ich habe die Sonne in ihr gesehen.

Ich war ein Blinder, der zum ersten Mal die Sonne erblickt hat. Aber die Welt war für mich so neu, dass ich nicht verstanden habe, was sie mir erklären wollte.

Sie hat den endlosen Nächten den Tag geschenkt und den Alpträumen ein Ende gesetzt. Nicht das Morden.

Ich möchte das alles niederschreiben, aber meine Gedanken sind zu gewaltig für irgendwelche Worte. Sie ist zu gewaltig für irgendwelche Worte.

Und dennoch führe ich den Stift an das Papier, denn aus irgendeinem Grund weiß ich genau, meine Gedanken werden sie erreichen. Sie wird verstehen, was ich fühle- Nicht nur aus meinen Worten, sondern weil sie es aus der Art, wie ich schreibe, erkennen wird, am Druck des Stiftes, an den Abständen zwischen den Zeilen. Nur sie kann es.

Und jetzt, wo ich wieder in dieser abgedunkelten Zelle stecke, sehne ich mich an nichts mehr als die Sonne.
Das hier- die Welt ohne sie- das ist mein letzter Morgen.

Nur diese eine NachtWhere stories live. Discover now