Die erste Nacht

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Die erste Nacht

Mein Nacken ist verkrampft durch das stundenlange am Schreibtisch Hocken. Ich erhoffe mir durch bloßes Kneten Entspannung. Das bringt es leider nicht. Ich muss mich wohl damit abfinden, dass ich nicht massieren kann.

Während ich noch einen Schluck von meinem Kaffee, der mich eigentlich wach halten soll, nehme, klingelt es an der Tür. Hastig lege ich die Tasse wieder ab und sehe stirnrunzelnd auf die Uhr. Wer hat denn um
zwei Uhr Nachts hier noch etwas zu suchen?

Es schellt wieder und wieder, irgendjemand massakriert meine Klingel. Wieso so geduldig? Oh süß, jetzt hämmert die Person auch noch gegen die Tür.

Ich sehe aus dem Spion, wie ein mir unbekannter Mann genervt einen Schritt zurückmacht.
»Stell dich doch nicht so an«, spricht ein Stimme, die ich mal zwischen hunderten hätte erkennen können. Gleich darauf ist sie im Blickfeld.

Ich öffne die Tür und Begüm sieht mich überrascht an. Als würde ich um zwei vor ihrer Tür stehen. »Was tust du hier?«

Kann sein, dass es abwertend klingt, aber was erwartet man, wenn man nach so vielen Jahren um diese schöne Uhrzeit vor der Tür einer ehemaligen Freundin steht?
Richtig, man erwartet nichts.
Zumindest sollte man das.

»Derin, wir stecken in der Klemme«, flüstert Begüm und dabei sehe ich zu dem Mann, der einfach mal an der Wand gelehnt steht und so dreist ist, mich zu ignorieren.
»Könnten wir heute bei dir übernachten?«
»Was?«, fange ich an auf spöttische Weise zu lachen. Das kann nicht ihr ernst sein. Dafür müsste sie mich doch viel zu gut kennen.

»Es ist nur diese eine Nacht«, spricht Begüm nachdrücklich. Zwischen ihren Brauen hat sich eine kleine Falte gebildet. »Mehr werden wir nicht bleiben. Wir wollen nur die Nacht überstehen.«

Ich lehne mich am Rahmen der Eingangstür meiner kleinen Wohnung. Habe nicht vor, einen weiteren Schritt zu machen.

Begüm sieht den Mann neben ihr beschwichtigend an, richtet sich dann wieder zu mir. »Wir waren einmal Freundinnen.«

Ja und dann hast du dir den Typen gekrallt, den ich meine gesamte Kindheit und Jugendzeit geschwärmt habe. Aber wir sind keine Kinder mehr und ich werde sie wohl nicht wegen einer Jugendliebe verurteilen. Oder doch, eigentlich könnte ich das.

Der Mann neben ihr ist im übrigen nicht meine erste Liebe und er passt auch so gar nicht zu Begüm. Er wirkt mindestens fünf Jahre älter, mustert mich misstrauisch und streicht sich über den Bart. Die Augen und Haare sind ziemlich dunkel und er schaut streng und ernst aus. Geduld hat er wohl auch keine, wenn man in Betracht zieht, wie er gegen die Tür gehämmert hat. »Lass uns gehen, Begüm.«

Seine Stimme ist tief und duldet kein Nein. Begüm schüttelt den Kopf. Sie war immer ein lebensfroher Mensch und ich zweifle nicht daran, dass sie es immer noch ist. »Du bist immer noch so egozentrisch wie immer.«

Ich hebe eine Braue. Begüm ins Haus zu lassen, ist, wenn man mal vergisst, dass sie eine falsche Schlange ist, kein Problem. Aber bei einem wildfremden Mann, der mir dann auch noch Angst einjagt, sieht die Sache ganz anders aus. »Sag mir nicht, dass gerade du anders warst.«
Sie weiß, dass ich auf die gestohlene erste Liebe deute und das macht sie hibbelig. Der Mann neben ihr soll das wohl lieber nicht erfahren.

Begüm macht einen Schritt zurück und gleichzeitig öffne ich die Tür meiner Wohnung ganz. »Nur eine Nacht.«

Sie lässt vor Erleichterung einen Freudenschrei heraus und drückt mich an sich. Sie weiß einfach, dass ich, selbst wenn ich eine Abneigung gegen sie habe, sie nicht auf der Straße lassen kann- und dafür hasse ich mich.

Ich nehme sie also in die Wohnung und frage, ob sie noch hungrig sind. Ich bin zu müde und eigentlich wollte ich noch eine Weile lernen. Die nächste Prüfung ist mein Zweitversuch und den Stress eines Drittversuches will ich auf keinen Fall eingehen.

»Wir haben uns in der Universität kennengelernt«, erzählt Begüm später, als ihr Freund dann auf der Couch im Wohnzimmer liegt und ich mit ihr auf meinem Bett. »Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals etwas von ihm wollen würde, aber Liebe entsteht einfach. Sie fragt dich nicht, ob es in Ordnung ist und manchmal ist es das auch gar nicht. Unsere Eltern waren aber dagegen. Zuerst hieß es, studiert zu ende. Ich habe erst viel zu spät erkannt, dass sie gehofft haben, dass wir uns trennen, weil wir so verschieden sind. «

»Wieso waren sie dagegen?«, frage ich sie und bin schon ganz müde. Ich sollte nicht schlafen, ich sollte lernen.
»Sowas wie Klassenunterschiede«, erklärt sie. »Seine Eltern sind ziemlich reich und beide Eltern sind stolz wie stur.«

Sie seufzt verliebt. »Davud ist bereit, sein ganzes Leben für mich liegen zu lassen. Ist das nicht Liebe?«

Ich nicke nur und falle dann auch schon in einen unsanften Schlaf mit anstrengenden wirren Träumen. Ich kauere immer im Bett, wenn ich schlafe.

Licht flutet in das Zimmer, als ich aufwache und neben mir ist das Bett leer. Keine Begüm. Verwirrt rappele ich mich auf und strecke mich, weil ich noch so verschlafen bin.

Das Haar aus dem Gesicht werfend verlasse ich den Raum. »Begüm?«
Niemand antwortet, sodass ich die Stirn in Falten lege.

Zuerst sehe ich im Bad nach, dann in allen restlichen Zimmern, doch sie ist nicht da und auch von ihrem komischen Freund ist keine Spur. Das mit nur einer Nacht haben sie wohl zu ernst genommen.

Ich stoppe mitten im Flur und laufe dann zurück in mein Schlafzimmer. In meinem Kleiderschrank im obersten Fach habe ich Geld versteckt. Geld, das nicht mehr da ist.

»Diese Schlange.«
Jetzt bin ich wissen- und geldlos. Ich hätte lernen sollen. Stattdessen bin ich meinem Bett gefolgt. Ich hätte die Tür einfach zuknallen sollen. Stattdessen habe ich sie ihr weit geöffnet.

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Okay, ich würde mich auf ein erstes Feedback freuen. Die Kapitellängen werden wahrscheinlich ungefähr so bleiben. Updates wird es ca. jeden 3.- 4. Tag geben (:

Nur diese eine NachtWhere stories live. Discover now