Die siebte Nacht

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Die siebte Nacht

»Steht auf«, weckt Nasuh mich unsanft von meinem Schlaf. Ich frage mich, ob es jedes Mal so sein wird, dass ich aufwache und erst realisieren muss, dass das alles hier real ist und dann jedes Detail in meiner Erinnerung sich in meinem Kopf abspielt, wie ein Horrorfilm.

Er packt mich hektisch unter den Armen, damit ich mich aufrichte, als ich ihm zu langsam bin. »Du hast geschwitzt.«
»Ich hatte komische Träume«, erwidere ich. Die Realität ist die komischste.

»Warte, ich gebe dir etwas zum umziehen«, meint er und mein Herz hüpft vor Aufregung. Er muss doch die Fesseln abnehmen, wenn ich mich umziehen soll. Das ist meine Chance. Vielleicht sogar meine einzige.

»Ich weiß, was du gestern versucht hast«, erklärt er und verschränkt die Arme. »Aber so etwas wie Vertrauen besitze ich nicht.«
War es so offensichtlich?

»Du hast gezittert«, sagt er, als habe er meine Gedanken gelesen und kramt in einer Sporttasche herum. Er zieht einen dünnen Pullover heraus und reicht ihn mir. »Du solltest nicht vergessen, dass ich eine Waffe bei mir trage.«

Ich nicke brav und auf einmal verlässt mich mein ganzer Mut. Aber ich darf nicht aufgeben. Was kann er denn schon schlimmsten Falls tun? Mich umbringen?

»Ich ziehe mich nicht vor dir aus«, gebe ich entrüstet von mir, als ich bemerke, dass er keine Anstalt macht, zu gehen. Stattdessen hat er mich von den Fesseln an den Händen befreit und die Pistole gezogen. Ich hätte währenddessen mich auf ihn stürzen sollen, aber er hat mich mit einer solchen Wucht zurückgeschoben, dass das nicht einmal in Versuchung kam.

»Dann erkälte dich eben«, meint er. Vielleicht wenn er näher kommt, kann ich ihm eine mit irgendetwas, was auch immer auf den Kopf schlagen und dann abhauen. Die Idee klingt theoretisch gut, praktisch scheint sie unmöglich, da das einzige, was ich ihm überbraten kann, ein Kissen ist und er mich schneller in Schach halten könnte, als ich meine Hände bewege.

Ihn wegschubsen und rennen geht auch nicht. Er müsste schon außer Gefecht sein, damit ich meine Fesseln an den Beinen und Füßen losbekomme.

Er starrt mich mit zusammengezogenen Brauen an. Ob er merkt, dass ich Fluchtpläne schmiede?

»Das schaffst du niemals«, meint er. Natürlich weiß er das. Das weiß doch jeder Entführer. Sonst wäre es keine Entführung.

»Ich erkälte mich lieber«, murre ich wie ein Kind und beiße die Zähne zusammen. Ich fühle mich nicht gesund. Das kalte Wasser, die Nässe und die Kälte, gefolgt von Schläge bei Toygar haben mein Immunsystem durcheinander gebracht. Ich fühle, wie ich krank werde. Mein Immunsystem ist eigentlich stark, aber das alles verträgt es beim besten Willen nicht.

Er atmet hörbar genervt ein und richtet die Pistole genau auf Kopfhöhe. »Zieh dich um. Ich kann kein hustendes Weib gebrauchen.«

Was ist wenn- meine Gedanken stoppen. Ich habe die ganze Zeit an Ermordungen gedacht. Was wenn er mich berührt, vergewaltigt? Meine Welt bleibt stehen.

»Verdammt. Entweder, du beeilst dich oder du bleibst als Tote zurück.«

Ich nicke und knöpfe wiederwillig mein Oberteil auf. Er sieht weg. Nicht so, dass ich unbeobachtet etwas tun könnte, sondern nur so, dass wenn ich eine plötzliche Bewegung mache, er es dennoch bemerken würde. Vielleicht sieht er mich doch aus dem Augenwinkel und will mich nur in Sicherheit wiegen. Wieso sollte er das tun?

Ich beeile mich und streife den Pullover über den Körper. Er legt die Pistole auf Abstand und kommt schließlich langsam zu mir.

Ich lege die Arme beisammen und strecke sie aus. Dann, als er mir nahe kommt, schlage ich meinen Kopf mit Schwung gegen seinen. Vermutlich tut es mir mehr weh, als ihm, aber er ist überrumpelt und ich nicht.

Der Schmerz strömt lähmend und füllt meinem gesamten Kopf an. Ich packe ihn am Arm und ziehe ihn. Er verliert das Gleichgewicht, was auch daran liegt, dass er vor dem Bett stand und fällt.

Ich mache mich an den Fesseln meiner Beine zu schaffen, da packt mich Nasuh an der Teile und zerrt mich zu sich. Er ist stärker, als ich erwarte und ich hatte schon eine Menge erwartet.

Mit einem Mal liege ich unter ihm und meine Arme, die rechts und links neben meinem Kopf liegen, presst er an das Bett. Das Grün in seinen Augen scheint wie Gift. »Ich habe dir doch gesagt, du schaffst das nicht.«

Wie ein Kind verstehe ich nicht, dass ich verloren habe und wehre mich noch immer. Ich will weinen. Ein dicker Kloß hat sich in meinem Hals gebildet und lässt mich kaum atmen.

Seine Beine liegen rechts und links neben meinem Körper. Vorstellungen durchströmen meinen Kopf, die mich verzweifelter und hibbeliger machen. Ich muss hier weg. Sofort.

Noch einmal mit ganzer Kraft versuche ich ihn wegzustoßen, aber es bringt einfach nichts.

»Hör auf, dich zu wehren«, sagt er monoton. »Alles, was du tun musst, ist Geduld aufzuweisen. Nur Geduld. Ist das so schwer?«
Sein Atem prallt gegen mein Gesicht. Er ist mir so nah.
»Wieso lässt du mich nicht einfach gehen?«, frage ich verzweifelt.
»Ich werde dich gehen lassen. Ich werde dir auch diese Pistole in die Hand drücken.«

Ich realisiere nicht ganz, was das heißen soll. Dann macht er eine kurze Pause, in der ich verstehe.

»Es ist mir egal, was danach passiert. Meinetwegen kannst du die Person sein, die mir danach in den Kopf schießt.«

Ich bin so geschockt von seinen Worten, dass ich einen Augenblick still daliege und er mir die Arme binden kann.

Nur diese eine NachtWhere stories live. Discover now