24. Echo

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"Ich weiß nicht was ich dazu sagen soll", lächelte Jack glücklich. "Danke dir Jace, das ist eines der besten Geschenke die ich seit Jahren bekommen habe."

"Kein Problem", meinte Jace und schaute sich ein bisschen im Wohnzimmer um, ehe er an einem Bild hängen blieb.

"War das deine Frau?", fragte er nach und zeigte auf das Bild mit Jack und einer Frau.

Ich beobachtete das ganze Geschehen, ohne etwas dazu bei zu tragen. Irgendwie ließ mich alleine der Anblick der Beiden schon fröhlich sein. Jace ist ein wirklich guter Kerl und Jack ein lebensfroher Mann, der zu alt für den ganzen Spaß ist. Was mich wiederrum traurig werden ließ. Ich fand es schade, dass alte Menschen einfach keine Kraft mehr hatten, um das zu tun, was sie eigentlich noch machen wollten.

Jack nickte. "Ja, das war sie. Selena war eine wundervolle Ehefrau und ist viel zu früh von dieser Welt gegangen. Sie wurde gerade 60 Jahre jung, als sie einen Herzinfarkt hatte." Er stockte. "Sie hat ihn nicht überlebt. Sie war nicht stark genug. Deswegen habe ich mir geschworen, stärker zu sein. Und schaut mich jetzt an. Ich bin 87 Jahre alt und immer noch hier unter uns. Auch wenn es mir von Tag zu Tag schwerer fiel, ohne sie weiterleben zu müssen."

Eine kleine Träne rann mir meine rechte Wange hinunter. Seine Geschichte war traurig und zugleich voller Hoffnung. Und ja, dass alles habe ich aus seinen wenigen Sätzen herausgehört.
Aber bevor einer von beiden sehen konnte wie sehr es mich berührt hatte, wusch ich mit meiner Hand darüber und trocknete meine Wange.

"Das tut mir unendlich leid Jack", sagte Jace und schaute dann zu mir. Ich nickte nur zustimmend.

"Also, ich habe gehört, dass ihr mir einen Kuchen machen wollt?", meinte Jack und überspielte somit das Thema mit seiner verstorbenen Frau.

"Ja, klar."
Ich nickte wieder zustimmend.

"Wenn es euch nichts ausmacht, dann würde ich gerne hier sitzen bleiben", sagte Jack und deutete auf seinen Sessel.

"Ja, kein Problem. Kommst du Echo?"

Wieder nickte ich und stand gleichzeitig mit Jace auf.

Ich wusste wieso Jack lieber sitzen blieb. Vermutlich wollte er ein bisschen in alten Erinnerungen mit seiner Frau schwelgen.

Mit Jace zusammen gingen wir in die Küche und entschieden uns spontan für einen Schokoladenkuchen. Jack hatte glücklicherweise sogar alle Zutaten dazu hier. Was uns beide schmunzeln ließ, waren jedoch die über 20 Tafeln Schokolade in einem Schieber, wo üblicherweise noch Besteck gelagert war. Also wussten wir auch, dass er mit dem Schokoladenkuchen zufrieden sein würde.

Während wir den Teig zubereiteten redete Jace mit mir und ich hörte ihm zu. Er fing einfach an, etwas zu sagen und erzählte somit einen Teil seiner Vergangenheit.

"Ich vermisse meine alten Freunde. Vorallem meinen besten Kumpel Randy. Du musst ihn dir einfach wie mich vorstellen. Wir haben wirklich den gleichen Charakter, ohne Ausnahmen. Randy und ich waren wirklich immer füreinander da. Und meine anderen Freunde waren, naja, sagen wir mal speziell. Sie waren von außen hin immer arrogant und abweisend. Nur wenn wir alle alleine waren, waren sie netter. Aber trotzdem haben sie einem nie zugehört. Sie redeten immer nur über sich selbst, wie hübsch sie waren, welches Mädchen sie als nächstes verarschen konnten und wie man als nächstes einen Adrenalinkick bekommen konnte. Dazu muss ich aber auch zugeben, dass ich beim letzten Teil immer vorne mit dabei war. Das andere war nicht ganz meins. Und auch nicht Randys."

Ich musste kurz lächeln. Irgendwie fand ich es gut, dass er Mädchen nicht verarscht hatte. Ich kannte die Mädchen in seiner alten Gegend zwar nicht, aber ich fand, dass es niemand verdient hatte, von jemandem verarscht zu werden.

"Ich liebe diesen Adrenalinkick. Es ist ein tolles Gefühl, dieses prickeln in den Fingerspitzen zu spüren. Zu wissen, dass du etwas tust, dass dir zugleich Angst, Freude und Mut in deinen Körper treibt. Es war jedes Mal aufs Neue atemberaubend fantastisch."

Ich wusste nicht genau von was er redete oder was er meinte, aber es hörte sich gut an. Seinem kindlichen Lächeln zumute konnte es nur gut sein.

"Meine Freunde und ich waren Junkies."

Ich hielt die Luft an.

"Junkies nach dem Adrenalinkick."

Und ließ sie wieder raus.

"Dem Tode nahe zu sein bedeutete, nein bedeutet für uns zu wissen, dass wir noch Leben sind und zugleich jeden Tag das Zeitliche segnen können. Wir fühlten uns immer so lebendig. Das war auch der einzige Grund, wieso ich mit meinen Freunden befreundet war. Das einzige was wir wirklich gemeinsam hatten, war das Risiko. Das Risiko alles zu tun, um Spaß und Adrenalin aufzubauen." Er lachte kurz auf. "Ich nenne sie immer noch meine Freunde, obwohl ich genau weiß, dass wir nie richtige, echte Freunde waren. Sie haben mich und Randy nie wirklich verstanden, wenn es um etwas anderes ging als um das Risiko. Vermutlich waren sie hinter dem Geld meiner und Randys Eltern her. Was sie jedoch nie zu sehen bekamen." Er lachte wieder kurz auf. Vermutlich erinnerte er sich an etwas lustiges. Dann wurden seine Gesichtszüge wieder ernst. "Trotzdem hat nie irgendjemand von ihnen uns zugehört und sich für uns interessiert. Sie sahen uns als selbstverständlich an. Doch sobald die Wörter Abenteuer, Risiko und Adrenalin gefallen sind, waren sie wieder voll dabei und ließen uns wie Freunde aussehen."

Er senkte kurz seinen Kopf. Irgendwie verstand ich ihn aber zum anderen Teil auch nicht.

"Keiner von ihnen wollte je etwas über mich erfahren, wie ich die Dinge in der Welt wirklich sah, was mich beschäftigte und wie ich es wirklich schaffte weiter zu leben. Zu leben, ohne mit purer Absicht eines unserer Risiken zu manipulieren."

Er stockte. Ich auch. Er hatte mir gerade erzählt, dass er schon ein paar mal über Selbstmord nachgedacht hatte. Das traurige an der Sache war nur, dass er mir einfach ähnlicher war, als ich es je für möglich gehalten hatte. Ich senkte meinen Kopf us sah zu Boden. Zugegebenermaßen habe ich auch schon ein paar mal daran gedacht, mich jedoch umentschieden, mit dem Gedanken, dass es besser werden würde. Das mein Leben besser werden würde und auch mir einmal jemand zuhören würde.

"Naja und deswegen sind wir wahrscheinlich auch umgezogen. Nicht wegen meinen Gedanken, dass wussten meine Eltern nicht, wegen meinen sogenannten Freunden. Randy mochten sie wirklich, aber die anderen konnten sie nicht ausstehen. Sie dachten, dass sie schlechten Einfluss auf mich haben. Was sie auch nicht wissen ist, dass ich damit angefangen habe und die anderen mir hinterher kamen, nicht ich ihnen."

Ich wusste nicht was ich dazu sagen beziehungsweise machen sollte. Er hat mir wohl eines seiner größten Geheimnisse anvertraut im Wissen, dass ich es niemals weitersagen könnte.

■19.09.16■

SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt