16. Echo

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Gebannt schaute er den Zettel an. Es schien, als müsste er fest überlegen, ob er mir nun den Namen sagen wollte oder nicht.

"Sie war eine wunderschöne Frau. Ich habe sie unendlich geliebt. Und ich dachte, sie würde das gleiche auch für mich empfinden. Wie sehr ich mich nur in ihrem hübschen Gesicht verloren habe.", er machte eine kurze Pause. "Wir waren ganze drei Jahre zusammen, ehe sie erfuhr, dass sie schwanger war.", er lächelte kurz. "Ich habe mich die ganze Zeit gefreut und Pläne geschmiedet, was wir alles machen könnten, wie wir neu leben würden und wie schön es durch ein Kind werden würde. Dabei hatte ich Sie total außer Acht gelassen. Ich war zu aufgeregt wegen all dem, sodass ich die erste Zeit, vollkommen ihre Gedanken vergessen hatte.", sagte er traurig. "Willst du einen Kaffee? Ich würde einen trinken.", fragte er mich plötzlich und unterbrach seine kurze Rede.

Ich schüttelte meinen Kopf. "Stimmt. Du trinkst lieber eine heiße Schokolade."

Verwirrt schaute ich ihn an. Es stimmte, dass ich Kaffee hasste und lieber eine heiße Schokolade trank, aber woher wusste er das bitte? Schließlich hatte er sich sonst auch nicht wirklich um mich gesorgt oder sich für mich interessiert. Alles was er wollte, war seinen Job gut zu machen und Geld nachhause bringen.

"Schau nicht so erstaunt. Ich habe mich schon immer für dich interessiert."

Ich schnaupte verächtlich. Er wusste genauso wie ich selbst, dass es nicht stimmte.

"Du hast recht. Ich habe mich nicht immer für dein Leben interessiert, aber trotzdem weiß ich einiges über dich. Vergiss nicht, ich bin dein Vater."

Ja, dass war er leider.

Ich wartete ein paar Minuten am Essenstisch, ehe er seinen Kaffee fertig gemacht hatte und sich wieder gegenüber von mir hinsetzte. Er trank einen Schluck, bis er weiter berichtete.

"Gut, wo waren wir stehen geblieben?"

Ich tippte an meinen Kopf.

"Ja, die Gedanken deiner Mutter. Also ein paar Tage nachdem ich erfahren hatte, dass sie dich erwarten würde, hat sie mir ihre Gefühle und Gedanken dazu direkt ins Gesicht gesagt. Sie sprach davon, dass wir es nie schaffen würden ein Kind großzuziehen. Dass wir noch zu jung wären. Ich habe sie versucht vom Gegenteil zu überzeugen, dass ich sie liebte. Am Ende hat sie mich angeschrien und mich beschimpft. Sie schrie mich an, dass sie mich nie lieben würde und es auch nie getan hatte. Sie wollte nur mein Geld und mit mir ein Kind zu bekommen, wäre das Schlimmste, was ihr je passieren konnte.", er schaute aus dem Fenster hinaus. Danach trank er einen weiteren Schluck Kaffee. Sein Ehering stieß an der Tasse an, enttäuscht und wütend schaute er ihn an. "Ich wollte deine Mutter heiraten. Genauso wie ich Clary heiratete." Dann nahm er seinen Ring vom Finger und schmiss ihn ins Waschbecken. "Den brauche ich wohl nicht mehr."

Leicht erleichtert schaute ich dem Ring hinterher. Alle Erinnerungen an ihn und meine Stiefmutter versanken nun im Abfluss.

"Aufjedenfall haben wir uns ziemlich gestritten. Am Ende haben wir uns getrennt, jedoch konnte ich sie davon überzeugen, dich zu behalten. Ich wollte eine Erinnerung an sie haben. Diesen letzten Wunsch hatte sie mir erfüllt. Nach deiner Geburt war sie sofort verschwunden. Ich weiß ehrlich gesagt nicht wohin sie gegangen ist. Aber meine Vermutung ist, dass sie sich irgendwo in Kalifornien nieder gelassen hatte. Sie wollte schon immer in einem Strandhaus leben. Vermutlich hat sie sich kurz nach mir sofort einen neuen Kerl gesucht, damit sie überleben kann.", er seufzte. Meine Mutter hörte sich nicht sonderlich freundlich an. Aber vielleicht hatte sie sich mittlerweile geändert. Vielleicht war sie freundlicher geworden. Damals war sie immerhin noch sehr jung gewesen. Ich verstand, wieso sie kein Kind wollte. Ich würde auch Panik bekommen, wenn ich so jung schwanger geworden wäre.

"Schließlich habe ich zwei Jahre später deine Stiefmutter kennen gelernt. Sie war anders als deine leibliche Mutter. Vermutlich war es genau der Grund, wieso ich sie so faszinierend fand. Ich habe mich in sie verliebt und sie anschließend geheiratet. Doch nach einiger Zeit merkte selbst ich, dass es anders wurde. Dass wir doch zu verschieden waren. Sie fing an dich zu ignorieren und weil ich sie liebte, tat ich das gleiche. Sie sagte immer wieder, dass du schlecht bist, nur Unfug im Kopf hast und sie sich nicht um dich kümmern wollte. Sie gestand mir irgendwann, dass sie mich wirklich liebte, aber nichts mit dir zu tun haben wollte, da du nicht ihr leibliches Kind warst. Und da auch ich sie liebte, dachte ich sie verstehen zu können, indem ich mich auch von dir abwende. Damit ich deine leibliche Mutter vielleicht auch vergessen könnte." Es schien, als würde er seine Taten wirklich bereuen.

"Auf jeden fall, dann hast du angefangen nicht mehr zu sprechen. Aber deine Gründe dafür weißt du ja selbst, ich vermutlich jetzt auch. Zuerst dachte ich, dass es eine Behinderung wäre, die im Kindesalter eingetreten wäre. Deswegen der Psychologe als du jung warst. Im Nachhinein verstand auch ich, dass du schlicht und einfach nicht mehr reden wolltest. Dass es wegen uns war und keine Behinderung vorlag.", er stockte kurz. "Es tut mir unendlich leid. Ich hatte geschworen dich zu beschützen, mich um dich zu sorgen. Doch genau das Gegenteil hatte ich getan. Aber trotzdem liebe ich dich Echo. Ich hoffe du weißt das."

Ich brachte nur ein schwaches Nicken zustande. Dann fiel mir auf, dass er mir nicht den Namen meiner Mutter gesagt hatte. Also reichte ich ihm meinen Zettel erneut hin.

"Amara White.", sprach er leise ihren Namen aus.

Amara White. So hieß also meine leibliche Mutter. Sie hatte einen schönen Namen. Ich verstand nicht, wie diese Frau damals so sein konnte, wenn sie doch einen so lieblichen Namen hatte. Sie musste sich geändert haben. Als Tochter konnte ich nur an das Beste in ihr hoffen. Außerdem wollte ich sie kennelernen.

Ich nickte meinem Vater zu und stand auf. Mein Vater tat es ebenfalls und verschwand dann in seinem Schlafzimmer.

Dean kam langsam auf mich zu und nahm mich in den Arm. "Wenigstens weißt du jetzt die Wahrheit. Egal wie schlimm sie für dich sein muss."

Ich nickte und zeigte anschließend auf die Türe. Ich wollte jetzt nur noch schwimmen gehen. Ein bisschen vergessen und ablenken.

"Ich pack schnell noch die Brötchen ein. Dann können wir los gehen."

■26.07.16■

SilenceWhere stories live. Discover now