23. Echo

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Irgendwie freute ich mich sogar über den Besuch bei Jack. Ich mochte alte Menschen und ihre Geschichen. Ich hatte damals auch immer gerne Deans Großmutter zugehört, da sie einfach wunderschöne Geschichten erzählen konnte.

Jace lief voraus, über die Straße, während ich ihm dicht dahinter folgte.

In letzter Zeit war er anders geworden. Ich kannte ihn nicht gut oder eigentlich fast gar nicht, aber er wurde mir immer sympatischer. Der Tag heute in der Stadt war auch recht schön gewesen. Er hatte es vermutlich als Date angesehen, aber irgendetwas in mir verhinderte es, das Selbe zu sagen. Viel mehr konnte ich es nur als Treffen unter Freunden nennen. Ich konnte mir nämlich einfach nicht vorstellen, wieso ein Typ wie er, gerade jemanden wie mich daten wollen würde. Selbst bei Drew war ich anfangs skeptisch. Immerhin war ich ein Niemand. Ein Niemand der nicht einmal sprach.
Ich wusste, dass ich es noch konnte. Irgendwo in mir wusste ich, dass ich noch die Fähigkeit hatte zu sprechen, aber ich konnte es einfach nicht. Nicht, weil mir immer noch niemand zuhörte, sondern einfach weil ich Angst hatte. Ich hatte Angst vor den Reaktionen der anderen. Was sie wohl dazu sagen würden oder ob sie mich verurteilen würden. Vorallem hatte ich jedoch Angst vor meiner eigenen Stimme. Ich hatte sie schon ewig nicht mehr reden gehört. Sie würde mir vollkommen fremd sein und ich mochte es nicht, wenn etwas an mir war, dass ich nicht kannte.

"Alles gut, Echo?"

Wir waren gerade über die Straße gelaufen und standen nun gegenüber von Jacks Haus. Es sah wirklich gemütlich und einladend aus, ich freute mich sogar schon, Jack endlich gegenüber zu treten.

Ich nickte Jace zu und sah ihn anschließend lächeln. Er strahlte eine gewisse Wärme aus, die mich automatisch mitlächeln ließ. Ich hatte gar keine andere Wahl, in seiner Nähe nicht nicht fröhlich zu wirken.

Ich wusste nicht, was Jace von mir wollte oder was er mit seiner Nähe zu mir bezwecken möchte, aber ich wusste, dass es mir gut tat.

Jace hielt in seiner linken Hand Jacks Geschenk und mit der anderen klingelte er an der Haustüre, nachdem wir die Treppen der Veranda nach oben gelaufen waren.

Drinnen hörte man kurzes Gepolter und kurz darauf ein leises 'einen Moment'. Gespannt wartete ich neben Jace und wackelte ein bisschen mit den Füßen. Ich war irgendwie aufgeregt, was er wohl zu meinem Nicht-Sprechen sagen würde.

Dann wurde die Türe geöffnet und ein älterer Mann trat hervor. Zunächst schien er verwirrt und nicht zu wissen, wer vor ihm stand. Doch als er Jace wiedererkannte, lächelte er  ihn freudig an.

"Jace, schön dich wieder zu sehen. Was treibt dich in meine Gegend?" Seine Stimme klang freundlich und gespannt.

"Wegen deinem Geburtstag natürlich. Ich habe davon in der Zeitung gelesen und wusste, dass du dich freuen würdest, wenn ich dich besuchen kommen würde. Du hast erwähnt, dass du keine Familie mehr hast und da wollte ich dich nicht alleine lassen an deinem 87 Geburtstag", sagte Jace und gab ihm die Hand. "Eine beachtliche Summe im übrigen."

"Ich fühle mich wirklich geehrt Jace. Aber du hättest nicht extra wegen mir hier her kommen müssen. Es ist doch nur ein Geburtstag. Außerdem hast du doch sicher besseres zu tun, als dem Geschwätz eines alten Mannes zu zu hören."

Er schüttelte energisch seinen Kopf. "Es gibt nichts, was ich jetzt lieber tun würde. Außerdem, irgendwie sehe ich uns sogar als Freunde an. "Deswegen musste ich kommen. Es ist selbstverständlich", sagte Jace dagegen.

Neugierig beobachtete ich die beiden. Es schien fast so, als wäre Jack Jaces Großvater. Sie schienen so vertraut.

"Nicht einmal etwas zu Essen habe ich hier", murmelte er dann und schaute nach hinten.

"Ach, das macht doch nichts. Aber wenn du möchtest, können wir noch einen Kuchen backen. Damit es mehr nach Geburtstag aussieht", schlug Jace lächelnd vor. "Und du brauchst es nicht abzustreiten. Letztes mal hast du noch gesagt, dass du Kuchen liebst." Grinste er ihn an.

Jack lachte kurz auf und nickte dann. "Na gut. Aber erst, wenn du mir deine hübsche Begleitung vorstellst." Damit drehte sich Jack zu mir um und lächelte mich an. Ich lächelte zurück und reichte ihm meine Hand.

"Stimmt. Also Jack, dass ist Echo. Sie ist eine Freundin von mir."

"Freut mich dich kennen zu lernen, Echo."

Ich lächelte wieder und zog einen kleinen Zettel aus meiner Hosentasche. Während der Fahrt hatte ich auf einen Fetzen Papier 'Happy Birthday' geschrieben, um ihn anschließend Jack zu geben. Ich hielt ihm den Zettel hin und wartete, bis er ihn gelesen hatte.

"Danke Kleines, aber wieso schreibst du es auf einen Zettel."

Schnell schaute ich zu Jace.

"Echo redet nicht. Also sie spricht nicht. Stumm ist sie anscheinend nicht, aber sie möchte einfach nicht."

Jack nickte mir zu und das Einzige, was er dazu sagte war: "Wieso reden, wenn einem sowieso nicht zugehört wird?"

Mit einem gezwungenen Lächeln schaute ich auf den Boden. Er hatte genau den Punkt getroffen.

"Ach wie unhöflich von mir, kommt doch rein und fühlt euch wie zuhause."

"Danke."

Jace und ich traten ein und begutachteten erst einmal das Haus. Jack schloss die Türe hinter uns und zeigte uns den Weg in sein Wohnzimmer. Dort angekommen, setzten wir uns nebeneinander auf die Couch. Jack dagegen nahm auf einem großen roten Sessel platz. Sein Haus sah ziemlich alt aus, aber auf seine Art und Weise auch wieder schön gemütlich. Ordentlich war alles, man konnte also auch davon ausgehen, dass er kein unordentlicher Mensch war.

"Ach und bevor ich es vergesse, hier ist ein Geschenk für dich. Ich hoffe es gefällt dir", meinte Jace irgendwann und streckte Jack die kleine Tüte mit dem Tagebuch entgegen.

Jack lächelte freundlich und packte sein Geschenk aus der Tüte aus.

"Ich dachte mir, dass es eine gute Idee ist, wenn du deine Geschichten aufschreibst. Es wäre zu schade, wenn sie einmal in Vergessenheit geraten würden. Ich hoffe dir gefällt es", meinte Jace und spielte mit seinen Fingern.

Ich beobachtete weiterhin Jack, wie er vorsichtig mit seinen Fingern über das Lederband fuhr und wie er Tränen in den Augen bekam.

■05.09.16■

SilenceWhere stories live. Discover now