Wohnzimmer

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Ich liefere David und Michael bei deren Haus ab, wo ihre Eltern schon warten. Zum Glück erklärt der Jüngere schnell, dass wir einen spannenden Ausflug gemacht haben, noch bevor ein gewisser anderer Junge die Wahrheit sagen kann. Mir wird das Geld in die Hand gedrückt und ich werde herzlichst verabschiedet. Während ich mich mit schnellen Schritten wieder zu meinem Auto begeben kann, spüre ich Michaels Blick auf mir und als ich durch die Glasscheibe noch ein letztes Mal zu der Villa schaue, winkt er mir verschwörerisch grinsend zu.

Normalerweise würde ich jetzt zu Harry nach Hause fahren und ihm die Situation erklären. Denn er hat mir schon immer die besten Ratschläge gegeben und mir am aufmerksamsten zugehört, egal, wie idiotisch mein Problem war. Doch dieses Mal ist er sozusagen das Problem, wegen dem ich in Not bin.

Deshalb bleibe ich ungefähr bei der Mitte des Heimweges am Straßenrand stehen und gehe durch meine Kontaktliste auf dem Handy. Ich versuche, irgendjemanden zu finden, der mir behilflich sein könnte, doch ich bleibe unfündig. Niemandem meiner Freunde vertraue ich genug, um ihn oder sie damit zu belasten. Schließlich fällt mir trotzdem ein einziger Name auf, mit dem ich in dieser Hinsicht am Besten darüber reden könnte: Liam

Ich klemme mir das Handy zwischen Ohr und Schulter ein und zünde anschließend eine Zigarette an. Nervös stoße ich den Rauch durch den Mund aus, während es wieder und wieder läutet. „Hallo May, ist alles ok bei dir?", ertönt schließlich seine Stimme und ich kann erleichtert noch einen Zug des Glimmstängels einatmen.

„Hättest du jetzt Zeit? Ich brauche jemanden zum Reden.", erkläre ich ihm und sofort kommt eine Antwort: „Ja klar, für dich habe ich immer Zeit. Wohin soll ich kommen?"

Wenig später komme ich vor meinem Haus an, wo schon ein teuer aussehendes Auto auf meinem üblichen Parkplatz steht. An diesem lehnt schon Liam, der mich fröhlich lächelnd zuwinkt, als er sieht, dass ich mein Fahrzeug direkt vor seines parke. Ich ziehe den Zündschlüssel hinaus und der Motor stirbt ab, gleich nachdem er noch einmal aufgeheult ist. Wegen des schlechten Zustandes meines Autos kopfschüttelnd steige ich aus, und knalle hinter mir die Tür zu. Erst nach ein paar Versuchen, abzuschließen, gelingt mir dies und schließlich gehe ich auf Liam zu.

„Hübsches Auto.", grinst er mich an und nimmt mich, bevor ich darauf reagieren kann, in die Arme. Ich atme seufzend aus und lehne mich an seine feste Brust, die eine angenehme Wärme ausstrahlt. „Dir auch ein wunderschönes Hallo.", murmele ich und trete schließlich einen Schritt zurück, um mich aus der Umarmung zu lösen.

Mit einer Kopfbewegung zeige ich auf das Haus und frage: „Wollen wir hineingehen?" „Nach Ihnen, Mylady.", gibt Liam mir als Antwort und deutet mir mit einer ausladenden Handbewegung, vor ihm zur Eingangstür zu gehen. Kopfschüttelnd durchquere ich den kleinen Vorgarten, und steige die drei Stufen zur Veranda hinauf. Mit einer schnellen Handbewegung, die ich, egal, wie betrunken ich bin, in jeder Lebenslage blind machen könnte, schließe ich die Tür auf und öffne diese anschließend.

Liam sowie ich ziehen unsere Jacken und Schuhe aus und durchqueren daraufhin den Gang, bis wir im Wohnzimmer, das an die Küche angrenzt, ankommen. „Willst du etwas zu trinken?", biete ich höflich an, doch er schüttelt schnell seinen Kopf und lässt sich auf dem Sofa nieder. Er klopft mit einer Hand auf den Platz neben sich und fordert mich auf: „Erzähle mir doch lieber, was dich betrübt."

Seufzend lasse ich mich neben ihm auf das Möbelstück fallen und erkläre ihm die Situation: „Kurzgefasst wollte Harry, dass ich ihn besuche während ich auf zwei Kinder aufgepasst habe. Ich habe die zwei in die Klinik mitgenommen und Harry hat ihnen einen absolut verstörenden, grausamen Albtraum erzählt. Deshalb will mich der Ältere damit erpressen, dass, wenn ich nicht mit ihm schlafe oder sonst irgendetwas mache, er es seinen Eltern petzt. Liam, ich will noch nicht meinen Job deswegen verlieren, ich brauche das Geld. Aber will auch nicht weiß Gott was mit einem Dreizehnjährigen machen, mir wird allein bei dem Gedanken daran schlecht. Ich -", plappere ich darauf los, doch werde von einem Finger, der sich über meine Lippen legt, schließlich gestoppt.

Liam sieht mich voller Mitleid an und forscht nach: „Wie schlimm war der Albtraum?" „Der Jüngere hat deswegen geweint und sich übergeben.", antworte ich direkt, woraufhin er seine Augen weit aufreißt und leise murmelt: „Oh Gott."

„Ich brauche diesen Job, wenn sie mich feuern, werde ich nicht mehr genügend Geld haben, um zu überleben und für Harry zu sorgen.", murmele ich verzweifelt und lasse meine Hände auf den Schoß fallen, um meinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen. Liam rutscht näher zu mir und legt einen Arm um meine Schultern. Kraftvoll zieht er mich näher zu ihm, sodass ich den Kopf auf seiner Brust ablegen kann.

Wieder umarmt er mich und seine Körperwärme sowie Ausstrahlung lassen mich sofort entspannen. „Ich habe zwar keinen perfekten Rat, bin aber für dich da.", haucht er und platziert einen Kuss auf meinem Haaransatz. „Gemeinsam schaffen wir es schon, dich aus dieser misslichen Lage zu bringen.", fügt er noch hinzu.

Regungslos sitze ich da und lasse mich von ihm umarmen, während ich seufze: „Wenn doch das Alles nicht passiert wäre. Dann wäre Harry bei mir, wir würden unsere Hochzeit planen und ich müsste mich nicht zu Tode stressen." „Bist du dir da sicher?", kontert Liam und ich rutsche abrupt von ihm weg.

Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen und forsche nach: „Was meinst du damit?" Er rückt wieder näher zu mir und dieses Mal versuche ich nicht, Abstand von ihm zu wahren. Ich spüre eine warme Hand auf meinem Oberschenkel, als er mir erklärt: „Sie haben bei Harry diverse psychische ... Probleme gefunden, die anzeigen, dass er früher oder später auch ohne ein Trauma sich so verhalten würde, wie er es jetzt macht. Nur anscheinend hat er sich davor besser im Griff gehabt."

Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll, wie ich reagieren soll. Für mich bricht gerade meine ganze Welt zusammen, in der ich Harry für einen psychisch gesunden Menschen gehalten habe, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen könnte. Ich weiß auch nicht, was mich dazu verleitet, näher zu Liam zu rutschen und meine Lippen auf seine zu drücken. Vielleicht, weil er der Einzige ist, der mich gerade unterstützt, oder auch weil ich für einen kurzen Moment Harry vergessen will.

Frozen / h.sWhere stories live. Discover now