Auto

367 39 29
                                    

Ich ziehe David an der Hand hinter mir her, keine Rücksicht auf seine, im Vergleich zu meinen, kurzen Beine nehmend. Wenn er mich normalerweise durch den ganzen, riesigen Garten, der zu seinem Zuhause dazu gehört, jagen kann bis ich ernsthafte Atemprobleme habe, kann er jetzt auch mit mir mithalten. Denn ich will die Klinik so schnell wie möglich verlassen und somit Abstand zu Harry gewinnen.

Da dieser nicht auf mich hören will und endlich zugibt, dass er professionelle Hilfe braucht, dann habe ich ihm nichts mehr zu sagen. Ich kann nicht die ganze Zeit ihm gut zureden und versuchen, ihn wieder in die Normalität zu bringen. Harry muss endlich verstehen, dass ich keine Therapeutin bin und es auch nicht für ihn sein werde, „ich brauche dich" hin oder her. Außerdem habe ich Angst, wenn er im gleichen Haus ist wie ich und niemand mir helfen kann. Er ist unberechenbar, kann jeden Moment von dem süßen Mann, den ich mit all meiner Existenz liebe, zu dem Psychopathen werden. Bei diesem habe ich absolut keine Chance, seinen Launen zu entgehen, dass ich letztes Mal die Klinik rechtzeitig anrufen konnte, grenzt an ein Wunder.

„Was kriege ich eigentlich dafür, dass ich nicht erzähle, wie uns dein ach so geliebter Verlobte bis an unser Lebensende verstört hat?", reißt mich eine nervige Jungenstimme aus meinen Gedanken. Ich trete durch die breite, gläserne Eingangstür an die nun schon etwas wärmere, frische Luft.

Endlich ist der Frühling auch in England angekommen und die zahlreichen, grauen Wolken werden immer öfter von der strahlenden Sonne verdrängt. Auch die Temperaturen scheinen von Tag zu Tag zu steigen und schon bald würde ich keine Jacke mehr benötigen, wenn ich aus einem Gebäude gehe. Ich blicke für einen kurzen Moment nach oben, um den blauen Himmel über mir sehen zu können. Doch schnell konzentriere ich mich wieder auf den Boden vor mir, um nicht zu stolpern oder gegen etwas zu rennen.

Als wir mitten auf dem Parkplatz der Klinik angekommen sind, bleibe ich stehen und stelle mich auf die Zehenspitzen, damit ich mein kleines Auto zwischen den unzähligen, teuren und riesigen Fahrzeugen finden kann. Währenddessen gehe ich auf Michaels Frage von vorher ein: „Was stellst du dir denn vor, dass du kriegst, nur, weil Harry in einem sehr unstabilen, psychischen Zustand ist?"

Endlich erblicke ich mein treues Gefährt und bin gerade im Begriff, mich mit schnellen Schritten diesem zu nähern, da legt sich eine Hand auf meine Hüfte. Blitzschnell drehe ich mich zu Michael, der mit einem breiten Grinsen direkt vor mir steht.

„Meine Eltern werden nicht sehr erfreut sein, wenn sie erfahren, was David hören musste. Er ist doch noch viel zu junge für solch grausame Geschichten.", spottet er und lässt seine Hand auf und ab fahren. Angewidert schlage ich diese weg von meinem Körper und trete einen Schritt zurück. Doch der Junge kommt mir sofort wieder näher und teilt mir mit: „Es wird Zeit, dass du mir endlich das gibst, was ich schon so lange will."

Sarkastisch lachend dränge ich mich an ihm vorbei und ziehe David wieder hinter mir her in Richtung des Autos. Ohne mich umzudrehen rufe ich: „Denk ja nicht, dass ich mich von einem Milchbubi erpressen lasse. Du bist ja noch nicht einmal imstande, einen Ständer zu kriegen." Nach ein paar Schritten füge ich in der selben Lautstärke hinzu: „Wenn du nicht hier auf dem Parkplatz übernachten willst, dann solltest du lieber mitkommen. Aber ich bin mir sicher, dass Harry einen Platz in seinem Bett für dich hat, wenn du ihn ganz lieb darum bittest."

Hinter mir höre ich stampfende, schnelle Schritte und wenig später befindet sich Michael schwer atmend neben mir. „Baby, für dich kann ich sehr schnell etwas aufrecht stehen lassen. Ich kann dich sehr gut fühlen lassen.", keucht er und pruste laut los. Im Gehen halte ich mir eine Hand an den Bauch und krümme mich vor Lachen und stoße irgendwann hervor: „Du klingst echt erbärmlich, wenn du so etwas sagst. Ich muss leider dein Angebot ablehnen, ich habe schon einen sehr attraktiven Mann an meiner Seite."

„Meinst du den Psycho? Der kann dich bestimmt nicht so gut befriedigen wie ich es könnte.", argumentiert Michael eingeschnappt und aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie er seine Arme ineinander verschränkt.

Kopfschüttelnd schließe ich das Auto auf, vor dem wir nun angekommen sind. Stumm deute ich den zwei Jungen, sich auf den Rücksitz zu begeben während ich auf dem Fahrersitz Platz nehme. „Ich weiß zwar nicht, wieso ich so etwas Privates mit dir teilen sollte, aber ich bin mehr als zufrieden mit Harry und wie er mich befriedigt. Glaub mir, du wirst ihm im Bett nie das Wasser reichen können.", erkläre ich Michael und stecke den Zündschlüssel in das dafür vorgesehene Schloss.

„Nur leider wird Harry dich nicht davor beschützen können, dass ich meinen Eltern erzähle, was heute passiert ist. Egal, wie gut oder schlecht er ist.", ertönt seine Stimme über den aufheulenden Motor. Durch den Rückspiegel schaue ich ihn an und verdrehe anschließend meine Augen.

Ich parke vorsichtig aus der Lücke aus und achte besonders stark darauf, nirgends anzufahren. Denn leider erfülle ich gewissermaßen das Klischee, dass Frauen nicht gut Auto fahren können. „Du willst mich allen Ernstes erpressen, nur, damit ich mit dir schlafe?", hinterfrage ich, während ich versuche, aus dem Labyrinth, das sich Parkplatz der Klinik nennt, herauszufinden.

„Wenn du dich sonst viel zu stur stellst und das Ganze so nennen willst, dann ja.", teilt Michael mir mit und ich kann förmlich das selbstgefällige Grinsen auf seinen Lippen vor mir sehen. Schnaubend kontere ich: „Vergiss es. Ich werde Harry sicher nicht mit einem Dreizehnjährigen betrügen"

Ich bleibe an einer roten Ampel stehen und sehe aus dem Augenwinkel, wie Michael sich nach vorne zu mir beugt. Er streichelt über meine Wange und murmelt: „Denke doch einmal daran, dass du das Geld dringend brauchst. Du kannst es dir nicht leisten, gefeuert zu werden, niemand sonst stellt dich für zwei Tage ein, wenn du schon drei andere Jobs hast."

Unwillkürlich verfestigt sich mein Griff am Lenkrad durch seine Worte und ich muss mich beherrschen, nicht laut loszuschreien. Denn wo der schlecht erzogene, freche Junge recht hat, hat er leider recht. Niemals würde ich wieder einen Job bekommen, bei dem ich für zwei Nachmittage Babysitten so viel Geld bekommen würde.

Bevor das Licht der Ampel von rot zu grün wechseln kann, haucht Michael noch einen Kuss auf meine Wange und haucht: „Überlege dir lieber noch einmal ganz genau, was dir wichtig ist und wie viel du bereit bist, dafür zu opfern. Ich warte auf dich."

Frozen / h.sWhere stories live. Discover now