Schlafzimmer

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Ein lautes Klopfen an meiner Schlafzimmertür reißt mich unsanft aus dem Schlaf und ich schrecke hoch. Ich greife rein instinktiv zu dem Baseballschläger, der auf dem Nachtkästchen liegt und stehe langsam auf. Mental bereite ich mich schon auf ein schmerzhaftes Zusammentreffen mit einem Einbrecher, der mit vergewaltigen will, vor.

Das Hämmern gegen das Holz hat noch immer nicht aufgehört, doch dieses Mal ruft Harry panisch: „Bitte mach' auf, ich brauche dich!"

Schnell schließe ich die Tür auf, woraufhin Harry hineinstürmt und mir mit so einem Schwung um den Hals fällt, sodass wir auf dem Boden landen. Mein Kopf dröhnt nach dem Aufprall auf den harten Untergrund und ich stöhne schmerzerfüllt auf. Dennoch streiche ich Harry beruhigend über den Rücken und frage: „Was ist denn los?"

„Ich hatte einen Albtraum.", antwortet er mir und entfernt sich ein wenig von mir, sodass ich ihm in die Augen schauen kann. Diese sind gerötet und Tränen strömen aus ihnen, welche seine Wangen hinunterrollen und in seinen Mundwinkeln sammeln. Schluchzend hält er meinen Kopf fest und schaut mich eindringlich an. „Ich habe gedacht, dass ich dich verloren hätte.", fährt er fort.

Hierauf setze ich mich vorsichtig auf, sodass Harry nun direkt vor mir sitzt. Er packt mich an meiner Hüfte und zieht mich zu sich, damit ich mich rittlings auf ihm befinde. Ich fahre ihm über seine Brust und seine Schultern und beruhige ihn: „Ich bin ja hier, ich bin bei dir."

Doch Harry schüttelt nur seinen Kopf. „Ich habe geträumt, dass er dich aus meinen Armen reißt. Dass du auch im Totenreich verloren gehst, so hat er es genannt, als er meine Familie ermordet hat."

Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, denn es ist das erste Mal, dass Harry von dem Mörder redet. Somit sitze ich nur auf ihm, mein Mund leicht geöffnet, doch es kommen keine Worte hinaus. Harry hat seine Arme ganz fest um meine Taille geschlungen, damit „er" mich nicht wegreißen kann.

„Wer auch immer er ist, er wird mich nicht wegnehmen. Ich bleibe immer bei dir, bis an unser Lebensende.", kommt es endlich von mir. Als Harrys Hand sich in meine Haut krallen, weiß ich aber, dass ich lieber meinen Mund gehalten hätte.

„Das hat auch meine Familie gesagt, doch er hat ihr Lebensende direkt vor meinen Augen besiegelt.", zischt Harry und drückt meinen Körper noch fester an seinen. Ich spüre zwar, wie mir beinahe die Luft wegen seiner starken Umarmung wegbleibt, doch ich küsse ihn nur auf die Stirn und streiche sanft über seine Haare.

Ich weiß nicht, wie lange wir hier auf dem Boden sitzen. Harrys Arme sind noch immer fest um meine Taille geschlungen und ich kann spüren, wie der Stoff, der meine rechte Schulter bedeckt, mit Tränen Rotz übersäht wird. Doch dies stört mich nicht, solange Harry sich geborgen fühlt und auch keine Angst hat, mich zu verlieren. Immer wieder hallt sein Schluchzen durch den Raum, er wechselt mehrmals von einem leisen Weinen zu einem herzzerreißenden, lauten.

„Ich kann das nicht mehr.", nuschelt Harry gegen meine Schulter, woraufhin ich ihn sanft von mir ein wenig wegschiebe, um ihn in die Augen sehen zu können. Ich streiche ihm die Haare, die ihm ins Gesicht gefallen sind, nach hinten und platziere anschließend meine Handflächen aus seinen Wangen. Verwirrt frage ich nach: „Was kannst du nicht mehr?"

„Ich kann es nicht mehr ertragen, dich so sehr zu belasten.", erklärt Harry mir und bevor ich etwas dagegen einwenden kann, setzt er fort: „Bitte sag' jetzt nicht, dass dich das alles kalt lässt. Du leidest darunter, wie ich mich verhalte, ich sehe das. Hast du dich überhaupt schon gefragt, wie es weitergehen soll? Ich meine nicht in den nächsten Wochen, sondern in einem Jahr. Werde ich noch unberechenbar sein, werde ich noch immer dazu fähig sein, in Scherben zu liegen, keine Schmerzen dabei zu verspüren und dich dabei zu würgen? Wirst du dazu imstande sein, das alles mit mir durchzustehen? Will ich überhaupt, dass du so lange wegen mir leidest?"

Vollkommen erstaunt von Harrys Worten steht mein Mund offen und ich wische mir über die Wangen, die durch meine Tränen durchnässt sind. Um ehrlich zu sein, habe ich nie über die ferne Zukunft mit ihm gedacht. Immer war ich auf das Hier und Jetzt konzentriert, in dem ich vier Jobs hatte, um nicht in die Armut zu schlittern. Für mich war es bis jetzt wichtiger, dass es Harry in diesem Moment gut geht, nicht, wie er sich in einigen Monaten fühlen wird. Ich bin davon ausgegangen, dass sein Zustand sich stetig bessern wird.

Ich war naiv.

„Falls du denkst, dass ich wir uns trennen werden, denkst du absolut falsch. Ich werde dich definitiv in so einer schwierigen Zeit nicht alleine lassen, egal, wie lange es dauert, bis wir wieder einigermaßen in die Normalität zurückgekehrt sind. Mach dir bitte keinen Kopf darüber, wie es mir dabei geht, du bist wichtiger.", teile ich ihm mit, überraschenderweise klingt meine Stimme ruhig, denn innerlich tobt in mir gerade ein Tornado.

Ich kann in Harrys geröteten Augen sehen, wie er über meine Worte nachdenkt und er will widersprechen, doch ich unterbreche ihn sofort: „Wir überstehen das gemeinsam, verstanden?"

Hierauf nickt Harry und erzwingt sich ein Lächeln. „Gut.", murmle ich nur küsse ihn, eine Hand fährt unter sein T-Shirt. Langsam hebe ich den Stoff an, bis sich unsere Lippen kurz trennen, damit ich der Oberteil von seinem Körper entfernen kann. Harry fährt über meine Hüfte hinunter zu meinem Po und massiert in leicht. In den Kuss hineinlächelnd vergrabe ich meine Hände in seinen Haaren und ziehe an diesen. Ein Stöhnen entkommt Harrys Mund und atemlos lösen wir uns voneinander.

Wir schauen uns tief in die Augen und wieder bleibt mir die Luft weg bei dem Anblick des Grüns, das seine Iris hat. Dieses Mal wirkt es, als hätte er helle Kristalle direkt in seinen Augen, seine Pupillen sind jedoch so weit, dass ich die Farbe nur schwer erkennen kann.

Gedankenverloren ziehe ich mit meinen Fingerspitzen unsichtbare Linien über seine Brust und wiederhole: „Wir überstehen das gemeinsam."

„Kannst du dich noch an unseren Plan erinnern, den wir nach dem Abschluss der High-School gemacht haben?", fragt Harry schmunzelnd und ich lache kurz auf. Er fährt fort und äfft dabei eine hohe Mädchenstimme nach, die anscheinend meine darstellen soll: „Wir werden am Strand heiraten, Flitterwochen in Europa machen und zwei Kinder bekommen. Alexander und Izabelle."

Spielerisch schlage ich ihm auf die Schulter und kontere empört: „So klinge ich nicht!" Wieder äfft Harry mich nach: „So klinge ich nicht!"

So sitzen wir mitten in der Nacht auf dem Boden unseres Schlafzimmers, lachend, und reden über die Zukunft. Ich hoffe inständig, dass wir wirklich die Chance dazu haben, Kinder zu bekommen und sie in einem guten Umfeld großzuziehen, ohne Harrys Unberechenbarkeit.

Frozen / h.sWhere stories live. Discover now