Park

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„Du wirst ab heute nicht mehr rauchen.", teilt mir Harry mit. Ich starre nur weiterhin entsetzt auf die Zigarettenpackung, die noch immer auf der Wasseroberfläche schwimmt. Kurzzeitig bin ich versucht, einfach ins Wasser zu springen und mir das Päckchen zu holen, doch erstens würde ich wahrscheinlich erfrieren und zweitens will ich mich noch nicht vor den Menschen um uns herum blamieren.

„Weißt du, wie wenig Geld ich generell zum Überleben habe und wie viel du davon gerade weggeschmissen hast?", schreie ich Harry an, der, überrascht durch die plötzliche Lautstärke, zusammenzuckt. „Genau deswegen wirst du mit dem Rauchen aufhören. Es ist einfach zu kostspielig.", erklärt er mir ruhig.

Da ich gerade auf 180 bin und nicht beleidigend werden will, drehe ich mich, ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren, um und gehe zurück zu der Parkbank, auf der noch immer meine Tasche liegt. Besser gesagt, hoffentlich hat niemand sie gestohlen. Das Knistern von Kies hinter mir verrät mir, dass Harry mir folgt. „Wehe, du kommst noch ein einziges Mal zu mir und stinkt nach Rauch.", ertönt seine Stimme und meine Wut auf ihn wird nur noch stärker.

„Wenn du noch weiterredest, gehe ich.", zische ich. Eine Hand auf meiner Schulter dreht mich um, sodass Harry nun vor mir steht. Seine Augenbrauen sind zusammengezogen und er fleht mich schon fast an: „Bitte geh' noch nicht."

Dennoch drehe ich mich um und bewege mich Richtung Parkbank, auf der zum Glück noch immer meine Tasche liegt. Ich hänge mir diese um eine Schulter und wende mich zu Harry.

„Wollen wir ein wenig spazieren gehen?", frage ich ihn und ich kann förmlich sehen, wie sich Erleichterung in ihm breit macht. Er nickt und lächelt mich an, sodass seine Grübchen zum Vorschein kommen. Ich setze mich in Bewegung, woraufhin er sich sofort neben mich begibt. Da Harry keine Anstalten macht, ein Gespräch zu beginnen und ich ihn auch nicht dazu zwingen will, zu reden, bleiben wir still.

Mein Blick wandert durch den Park, der sich vor uns erstreckt. Es verwundert mich, dass eine psychiatrische Klinik eine so große Grünanlage besitzt. Aus dem Boden neben den Wegen sprießen schon Grashalme, die jedoch noch sehr kurz sind. Auch die Laubbäume sind noch kahl, nur eine Reihe von Nadelbäumen, die am Rand direkt neben der Mauer wachsen, und immergrüne Hecken schenken dem Anblick etwas Farbe. Überall um uns herum befinden sich Menschen. Ein Patient wird in einem Rollstuhl über den Kies geschoben, seine Pflegerin erzählt ihm gerade irgendetwas.

Wir gehen auch an einem Mädchen vorbei, das eine West um ihren zierlichen Körper geschlungen hat. Ihre blonden Haare fallen ihr ins Gesicht und ihre Haut wirkt grau. Gekrümmt steht sie am Wegrand, für meine Empfindungen wirkt sie zu schmal und krank. Abwertend schaut sie mich mit ihren leblos aussehenden Augen an, ihr Blick bleibt auf meinem Bauch haften.

„Das ist Louise. Sie ist magersüchtig und verachtet jede Frau, die nicht so dünn ist wie sie.", erklärt mir Harry, da er anscheinend mitgekriegt hat, wie mich das Mädchen angestarrt hat. Noch einmal drehe ich meinen Kopf, sodass ich Louise noch einmal ansehen kann und bemerke, dass ihr Blick noch immer auf mir liegt. Doch ich beschließe, ihr nicht weiter Aufmerksamkeit zu schenken und ignoriere, dass sie mir fast Löcher in den Rücken starrt.

Immer weiter schlendern wir über den Kies, ohne irgendeinen Zielpunkt. Ich werde positiv überrascht, als Harry seine Hand mit meiner verschränkt. Erstaunt lasse ich meinen Blick zu unseren Händen wandern. „Willst du nicht, dass ich dich berühre?", fragt er vorsichtig, da er erkennt, wohin ich schaue. Schnell nicke ich und lasse ihn wissen: „Doch, es hat mich nur erstaunt."

Harry lacht kurz auf und gibt mir bekannt: „Du bist meine Verlobte, natürlich will ich mit dir Händchen halten." Um seine Aussage noch zu verdeutlichen gibt er mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

Es verwundert mich, dass er es nach all den Jahren noch immer schafft, die Schmetterlinge in meinem Bauch in Aufruhr zu versetzen. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen und ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht steigt und damit er dies nicht sehen kann schaue ich auf meine Uhr.

„Wir sollten schön langsam wieder hinein, die Besuchszeit ist bald vorbei.", teile ich ihm mit, ein Funken Traurigkeit schwingt in meiner Stimme mit. Denn wenn man den Vorfall mit der Zigarettenpackung weglässt, ist dieser Besuch endlich normal verlaufen.

Somit gehen wir zu der Tür, hinter der sich die Klinik befindet. Noch immer Hand in Hand schlendern wir den Gang, der in die Eingangshalle führt, entlang. „Mir hat der Spaziergang heute gefallen.", sagt Harry und als ich meinen Kopf zu ihm drehe, kann ich erkennen, dass ein schiefes Grinsen seine Lippen ziert. Ich stimme ihm zu: „Mir auch. Es war so entspannend."

„Fast hat es sich normal angefühlt.", seufzt Harry und ich frage nach: „Wieso nur fast?"

„Weil wir uns noch immer in dieser Klinik befinden und du von Louise angestarrt wurdest.", erklärt er mir und ich nicke verständnisvoll. Ich hoffe, dass wir bald durch die Stadt spazieren können.

Schließlich sind wir in der Eingangshalle angekommen, was bedeutet, dass wir nun Abschied voneinander nehmen müssen. Wir bleiben stehen und Harry dreht sich zu mir. „Wann kommst du wieder?", fragt er nach, während sein Blick über die Menschen um uns gleitet. Als hätte er jemand besonderes entdeckt, weiten sich seine Augen und verengen sich anschließend.

Noch während ich gedanklich meinen Terminkalender durchgehe und nach Lücken suche, in denen ich ihn besuchen kann, platziert Harry seine Hände auf meinen Wangen und zieht meinen Kopf plötzlich zu seinem. Unsere Lippen treffen aufeinander und er bewegt seine gegen meine. Da ich komplett überrascht wurde durch diese Handlung bleibe ich wie festgefroren stehen. Er löst sich von mir, nur um wenig später meinen Hals mit seinem Mund zu attackieren.

Als Harry sich wenig später einen Schritt zurücktritt und hinter mich schaut, brauche ich keinen Spiegel, um zu wissen, dass nun ein violetter Knutschfleck meine Haut ziert. Ich drehe mich um und versuche, seinem Blick zu folgen. Die einzige Person, die auch nur irgendwie in dieser Richtung steht, ist Liam, der an der Rezeption lehnt.

Harry legt eine Hand auf meinen Po und kneift diesen leicht. Quietschend springe ich leicht nach vorne, was er anscheinend ziemlich belustigend findet, da er kurz auflacht. Empört von seiner Aktion schlage ich ihm auf seinen Oberarm und teile ihm mit: „Ich gehe jetzt. Bis zum nächsten Mal, Harry."

Sich zu meinem Ohr hinunterbeugend, raunt er: „Bis zum nächsten Mal. Und sag' deinem Lover Boy Liam, dass du nur mir gehörst."

Frozen / h.sWhere stories live. Discover now