Kapitel 8

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Lola's Sicht

,,Also was willst du essen?'' Er ließ die Frage, ob ich überhaupt etwas essen wollte einfach aus und fragte stattdessen gleich, was ich essen wollte. Ohne es verhindern zu können kam mir der Gedanke, dass ihn seine Mutter darauf angesetzt haben wusste, doch es würde nichts bringen. Auch Caspar würde mir meinen Hunger nicht zurück bringen.

Ich würde schon irgendwann aus eigener Entscheidung heraus wieder etwas essen, vielleicht morgen, vielleicht auch erst in drei Tagen. Sie brauchten erst gar nicht versuchen, mich zu zwingen. Alles, was sie damit bewirkten, war, dass ich noch mehr auf Durchzug stellte.

Genau das war auch der Grund, wieso ich Psychologen nicht mochte. Sie versuchten nicht mit mir zu reden, mich zu verstehen, das einzige, was sie versuchten war mich zum Sprechen zu zwingen. Das einzige Ziel was sie hatten war die Anerkennung zu bekommen, dass sie ausgerechnet das stille Mädchen dazu bekommen hatten, sich zu öffnen. Sie interessierten sich nicht wirklich dafür, wie es mir wirklich ging, ich war ihnen genauso gleichgültig wie sie mir waren.

Anfangs war mein Schweigen einfach ein Selbstschutz gewesen, eine Möglichkeit mein Trauma zu bewältigen, und eigentlich hatte ich auch nie vorgehabt es so lange aufrecht zu erhalten, doch mit der Zeit wurde es nicht nur zur Gewohnheit, sondern auch zu einer Art Selbstbestrafung für die Tat, die ich begangen hatte und zu einer Art Protest für die unzähligen Male, die man mich versuchte zum sprechen zu zwingen.

Keiner verdiente die Aufmerksamkeit mich zum Sprechen gebracht zu haben, niemand verdienten das Lob.

**

Auf seine Frage hin blieb ich stumm und sah Caspar einfach nur mit ausdrucksloser Miene an. ,,Du willst also ein Brot mit Nutella. Gute Entscheidung, Nutella ist echt das Beste'' Das war zwar nicht ganz, was ich gedacht hatte, aber Essen musste ich es ja sowieso nicht. Caspar schnappte sich freudig zwei Teller mit jeweils zwei Brothälften und zwei Päckchen Nutella und lief dann auf einen wahllosen Tisch zu, an den er sich setzte. Ich hingegen steuerte meinen Tisch an. Dabei entging mir natürlich nicht, dass Caspar mich verwirrt beobachtete, doch ohne ihm Beachtung zu schenken setzte ich mich. Ich brauchte in meinem Kopf nicht mal bis zehn zu zählen, da saß Caspar mir schon gegenüber und hielt mir den einen Teller hin. Nüchtern hob ich nur meine linke Augenbraue und sah ihn an, was mir letztendlich ein theatralischen Seufzen seinerseits einbrachte. Caspar stellte den Teller schließlich wieder hin und fing an die Brothälften mit Nutella zu bestreichen, sodass mir wenige Sekunden später eine diesmal beschmierte Brothälfte hingehalten wurde. Irritiert musterte ich ihn kurz. Hatte er etwa gedacht, ich nahm es nicht an, weil es nicht bestrichen war?

,,Och komm schon Lola. Dieses Brötchen möchte unbedingt in deinen Magen gelangen. Sieh mal wie lecker es aussieht. Da läuft einem ja glatt das Wasser im Mund zusammen'' Dann iss es doch, keiner hält dich auf. ,,Ich esse auch gleich, aber erst, wenn du etwas gegessen hast'' Er war seiner Mutter wirklich ähnlich, doch auch er würde daran scheitern mir versuchen ein schlechtes Gewissen zu machen. Ich fiel darauf nicht rein.

Caspar schloss kurz die Augen, ließ seine Hand mit dem Teller wieder sinken und legte dann seine Stirn in Falten.

20 Stunden

Ich gebe ihm höchstens noch 20 Stunden.

Seufzend stand Caspar im nächsten Moment auf und nahm den einen Teller in die Hand.

Vielleicht waren es doch nur noch 20 Sekunden.

Meine Augen schlossen sich von alleine. Und weg war er. Ein weiterer Mensch hatte mich verlassen, mich aufgegeben. Und diesmal hatte ich denjenigen deutlich überschätzt. Vielleicht war er seiner Mutter doch nicht so ähnlich, vielleicht war er wirklich auch nur einer von vielen, die es versuchten und letztendlich kläglich scheiterten.

Sound of Silence (wird überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt