"Ja, ich Kevin. Habe ich aber auch vor zwei Minuten gesagt.", sage ich schon fast genervt.

David hätte jetzt den Kopf geschüttelt und gesagt:" Immer diese Kevins, die nie etwas verstehen."

Ich würde ihn kurz böse angucken, aber sofort danach anfangen zu lachen. Diese Vorstellung erfreut mich und macht mich trotzdem traurig. Traurig, weil David nie wieder den Kopf schütteln und ich ihn tadelnd angucken kann.
Erfreut, weil ich noch die Erinnerung daran habe.

"Ist ja gut. Wundert mich nur, dass du dir eins stechen lässt. Ich hätte dich nicht für so ein Typ gehalten. Ich muss dann mal weiter arbeiten", meint er und geht schnell.

Diesmal schüttel ich wirklich den Kopf. Ein unschuldige Oma kann am Rücken ein Totenkopfschädel tätowiert haben und nicht der Typ dafür sein.

Ein Junge kann ein pinken Pullover tragen und nicht schwul sein.

Wenn pink eine Mädchenfarbe ist und die Jungs diese Farbe nicht tragen dürfen, dann dürfen wir Mädchen kein blau tragen, weil es eine Jungenfarbe ist.

So etwas finde ich einfach nicht gut.
Jeder Normale macht sich darüber keine Gedanken und dann komme ich. Ich, Claire, die komische, die sich Gedanken über Dinge macht, die keine in ihrem Alter macht.

"Claire ein bisschen musst du noch arbeiten. Du hast einen Kunden", ruft mir James zu.

Tatsächlich sitzt ein junger Mann vor mir. Der von gestern, dem ich hinterher gelaufen bin und eine Nachricht gegeben habe. Der mich vor den fahrenden Auto gerettet hat.

Ich weiß noch genau, was auf dem Bierdeckel drauf steht.

Der Schein trügt oft. Oft sollte man ihn bestehen lassen, ihn in Ruhe lassen und manchmal durch gucken, ihn bezwingen. Ich gehöre zur ersten Sorte.

Es ist das Erste was mir eingefallen ist. Ich habe nicht lange nachgedacht. Mir ist klar, dass ich den Unbekannten vor mir, eine Vermutung gegeben habe.

"Eine Cola?",frage ich ihn.

"Ja bitte, Claire."

Es ist unfair, dass er meinen Namen kennt und ich seinen nicht. Trotzdem will ich seinen nicht kennen. Ein Namen hat keine relevante Bedeutung.

So wie gestern schenke ich ihm seine Cola ein. Schon traurig, wenn jeder Tag dem anderen gleicht. Und das in meinem Alter.

Ich gebe ihm die Cola.

"Wie geht es dir?", fragt mein Gegenüber, nachdem er ein Schluck Cola getrunken hat.

"Gut und dir?"

Ich mag die Frage immer noch nicht. Egal ob die Frage von Doktor Summer ist oder von dem Namenlosen. Es bleibt die gleiche Frage und immer die gleiche Antwort. Auf die Frage wird meistens eine gelogene Antwort gegeben. Und meistens interessiert es den Fragenden nicht, dass er angelogen wird. Doch so mein Gegenüber nicht.

Er zieht eine Augenbraue hoch und guckt mich fragend an.

Steve hatte diesen Blick auch immer drauf, als ich gesagt habe, dass es mir gut geht, nachdem ich wieder einmal geärgert worden war. Natürlich ging es mir nicht gut. Wem würde es denn gut gehen, wenn man geärgert wurde? Einem normalen Mensch nicht. So auch mir. Steve wusste auch, dass es mir nicht gut ging. Vielleicht weil wir Zwillinge waren oder uns einfach gut kannten. Ich weiß es nicht. Immer hat er mich in den Arm genommen. Die Hände beruhigend meinen Rücken hoch und runter gestrichen. Mir ging es dann immer besser.

Kein Wort hat Steve zu mir gesagt. Worte hätten da auch gar nicht geholfen. Worte sind nicht immer hilfreich. Vorallem müssen sie gut ausgewählt sein. Ein falsches Wort und alles könnte kaputt gehen.

Steve wusste genau wie er mich trösten konnte und das hat er immer gemacht, ob ich es wollte oder nicht.

Genau diese Steve-Umarmung brauche ich jetzt. Keiner kann sie mir geben, denn keiner weiß wie sie geht.
Es war etwas besonderes. Vielleicht liegt es nur an der Person, damit die Umarmung schön ist. Ich weiß es nicht und muss es auch nicht wissen.

"Du siehst ganz und gar nicht gut aus.",sagt er.

"Du hast meine Frage nicht beantwortet", meine ich ruhig.

Er schüttelt den Kopf.

"Kann man mit dir nicht eine vernünftige Unterhaltung führen?", fragt er.

Jetzt wird er auch noch unhöflich.
"Wenn du meinst", gebe ich trotzig zurück.

Ich bin genervt, genervt von allem und jedem. Mein Kopf dröhnt, mein Bauch schmerzt. Mir fallen die Augen zu. Ich will eine Tablette, etwas zu Essen, was in meinen Magen bleibt und danch einfach nur schlafen, endlich schlafen können. Am besten nicht mehr aufwachen. Dieser Gedanke ist nicht gut. Ich weiß, dass es krank ist. Ich weiß, dass ich krank bin.

"Ich glaube nicht, dass du zur ersten Sorte gehörst.", flüstert der Unbekannte.

Sofort weiß ich, was er meint und ich bin anderer Meinung. Er ist der Meinung, dass man bei mir durch den Schein gucken soll.

"Ich habe jetzt nicht vor mich mit einem Fremden zu unterhalten, ob man es bei mir machen sollte oder nicht. Meine Meinung ist, dass man bei mir nicht durchgucken sollte. Sicherlich werde ich dir auch nichts sagen, wo ich nicht mal deinen Namen kenne.", flüstere ich zurück.

Vertrauen. Ich müsste ihm erstmal vertrauen um ihm etwas zu erzählen. Ein Name ist einfach gesagt, der Name sagt nicht, wer du bist. Es ist einfach nur ein Name und nichts weiter. Vertrauen dagegen ist sehr viel im Leben. Man braucht für vieles Vertrauen. So auch um etwas zu erzählen, was dein Leben verändert hat. Man braucht Jahre bis man jemand blind vertraut.
Leider kann das Vertrauen in einer Sekunde zerstört werden.

"Claire. Du kannst jetzt gehen, wenn du willst. Ich übernehme die paar Gäste.", sagt James auf einmal neben mir.

Ich war wieder kurz in Gedanken. Das passiert mir zu oft, dass ich über etwas nachdenke, was in die jetzige Situation gar nicht passt. David hat mich dann immer in die Seite mit einem Ellenbogen angestupst, damit ich wieder in das hier und jetzt zurückkehre. Seitdem er nicht mehr da ist, habe ich keinen mehr, der das übernimmt

Ich will gerade vom Tresen weg gehen, als der Unbekannte noch einmal zu mir redet.

"Pass auf dich auf, Claire. Wenn nicht dann tue ich es."

No Reason to LiveWhere stories live. Discover now