9. Kapitel: All in it

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Justins Augenringe wurden von Tag zu Tag dunkler, seine Stimmung schlechter und schlechter und seine Haut unreiner und unreiner. Er trug Tag für Tag dasselbe, aß und aß immer weniger und rasierte sich ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr, sodass ich auch diese Tätigkeit neben dem Styling und seiner Gesundheit übernahm und ihm vor jeder Show die kurzen Barthaare entfernte. Als er an diesem Nachmittag im Flugzeug auf dem Weg nach Tokio gegenüber von mir saß und ins Leere starrte, dachte ich an all die Versuche, mit denen ich versucht hatte, ihn aufzumuntern und ihn vor der Verwesung zu retten. Ich dachte zurück nach München und an die Freude, die er dort empfunden hatte. Ich erinnerte mich an das Konzert in Dubai, das er im Sonnenuntergang gegeben hatte, und an die Party, die er im Anschluss in seiner Suite schmiss. Wir tranken Cocktails, genossen die Aussicht aus dem 15en Stockwerk und tunkten Brot in Dips und Hummus. Justin grinste wie ein Honigkuchenpferd, wenn er seine Leute beim Tanzen beobachtete, und scherzte über unsere Bewegungen, unsere Essensmanieren und unsere Kommentare. Ich dachte wirklich, dass ich ihn mit meinen kleinen Ideen zur Besserung verholfen hatte, doch mit seiner Laune und seinem traurigen Blick am nächsten Tag auf dem Weg nach Tel Aviv wusste ich, dass er wieder von seinem Hoch runtergekommen war. Noch am selben Tag öffnete er mir in seinem Hotelzimmer bekifft und mit blutunterlaufenen Augen die Tür und ließ mich mitten in eine Wolke Marihuana reinlaufen. Auf dem Nachttisch entdeckte ich die Reste eines Joints mitunter einer weiteren großen Packung Gras und Tabak. Bei diesem und seinem Anblick, wie er sich zurück aufs Bett legte und sich begann einen neuen Joint zu drehen, war ich sprachlos und wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Natürlich hätte ich ihm die Drogen aus der Hand schlagen und wegschmeißen können, aber was hätte das gebracht? Was hätte es gebracht, ihm eine Predigt zu halten? Justin war schlau genug, um zu wissen, dass sein Verhalten nicht vernünftig war. Und trotzdem war er wahrscheinlich so verzweifelt, dass er sich selbst versuchte zu helfen. Wenn das auch bedeutete, sich weg zu dröhnen. Ohne etwas zu sagen, setzte ich mich mit verschränkten Beinen neben ihn und rauchte den ekligen Geruch von Marihuana ein. Ich hörte, wie er regelmäßig am Joint zog, spürte jede Bewegung, wenn er sich aufrichtete oder sich anders hinsetzte, und bemerkte, wie er mit jedem weiteren Zug immer mehr abdriftete. Es dauerte nicht lange, bis ich ihm über seinen Rücken streichelte, als er sich die Seele aus dem Leib kotzte und dann dankend das Handtuch aus meiner Hand nahm. Hoffnungslos sah er mich an, als er sich an der Wand anlehnte und dann verschwand sein Kopf in seinem Schoss und er begann zu weinen. Ich hatte ihn noch nie weinen gesehen und sein Schluchzen machte mir Gänsehaut. Er klang wie ein kleiner Junge, dem sein Spielzeug weggenommen wurde und seine Welt zusammenbrach. Ich nahm ihn in die Arme und schaukelte ihn hin und her, während er sich an meinen Körper festklammerte und den Tränen freien Lauf ließ. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Ich spürte nur den stichigen Schmerz in meinem Rücken von der Position und das Kratzen in meinem Hals von der Luft. Als sich Justin dann von mir löste und seinen Kopf an der Wand anlehnte, setzte ich mich neben ihn und nahm seine Hand in meine. Er schenkte mir ein kleines Lächeln, bevor er die Augen schloss und einige Male tief ein-und ausatmete.

,,Hailey, ich weiß, ich hätte das nicht machen sollen. Aber ich weiß einfach nicht weiter und einfach eine zu rauchen, erschien mir in diesem Moment richtig''.

,,Ich weiß'', antwortete ich ihm und schenkte ihm ein Lächeln. Irritiert schüttelte er den Kopf und musterte mich verwirrt.

,,Wieso verurteilst du mich nicht? So wie der Rest der Welt?''

,,Weil ich verstehen kann, warum du es getan hast. Und wie kommst du darauf, dass dich dafür jemand verurteilt? Es weiß keiner davon, außer mir''

,,Weil ich für alles verurteilt werde, was ich tue. Für meine Outfits, meine Performance, meine Stimmung. Was ich esse, ob ich Sport mache und was ich auf Instagram veröffentliche. Alles was ich tue, ist transparent und jeder sieht sich in der Position, etwas dazu zu sagen. Ich bin so müde. Ich- ich kann einfach nicht mehr. Aber ich muss, ich muss das für meine Fans tun. Durch sie bin ich so weit gekommen und deshalb schulde ich es ihnen. Ich muss das durchziehen. Ich weiß nur nicht, wie und ich verstehe nicht, was mit mir los ist. Das ist nicht meine erste Tour. Ich habe es früher auch geschafft. Wieso schaffe ich es nicht mehr? Wieso bin ich so schwach? Wieso stoße ich jeden von mir weg? Wieso dröhne ich mich voll? Es geht mir danach genauso Scheiße, wie davor. Nein, eigentlich schlechter, weil du das alles mitansehen musst. Du hast was Besseres verdient. Wieso bist du noch hier? Wieso akzeptierst du das alles? Wieso bist du nach wie vor für mich da? Wieso? Oh Gott, und jetzt bist du auch noch meinetwegen bekifft! Deine Augen sind total glasig! Du siehst gar nicht gut aus. Scheiße Hailey, ich- es tut mir so leid! Du musst gehen, du musst dich vor mir retten. Ich bin-''.

love, trust, promise | H.SWhere stories live. Discover now