2. Kapitel: Waves

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Nach wie vor überrascht und erfreut reichte ich Liam, der sich mittlerweile ausgezogen hatte und in einem lässigen Outfit aus Pullover und Jogginghose glänzte, eine Tasse schwarzen Tee auf englische Weise und setzte mich mit ihm in Wohnzimmer, nach dem meine Familie ihn herzlich begrüßt hatte und uns mit ihrer Abwesenheit Freiraum gaben. Er lächelte als er seinen Blick über unsere Küche und das Wohnzimmer schweifen ließ und kommentierte, dass der Einrichtungsstil meiner Mum eindeutig meinen prägte. Doch es stimmte. Unsere Küche glänzte in weiß grauen Farben, unser Wohnzimmer in weiß schwarzen Tönen mit einer schwarzen Ledercouch und einem schwarzen Sessel, weißen Kommoden, Vasen und Teppich. Hin und wieder gab eine grüne Pflanze etwas Lebendigkeit in den Raum, doch alles in einem war das Haus meiner Mum minimalistisch und modern eingerichtet. Genau der Einrichtungsstil, der mir am meisten gefiel.
,, Wieso bist du hier, Liam?'', durchbrach ich die angenehme Stille um uns herum und legte meinen Weißen Tee auf dem Glastisch ab, auf dem bereits zwei Fernbedienungen und Liams Handy lag. Liam lächelte bei der Frage und stellte seine Tasse ab. Er lächelte anders als sonst, denn es erreichte seine Augen nicht und wirkte mühsam. Als würde ihn etwas bedrücken.
,, Deine Mum- hat mich angerufen und gebeten vorbeizukommen. Sie hat erzählt wie es dir geht und das sie denkt es wäre gut, wenn jemand deines Freundeskreises bei dir wäre. Ich weiß nicht warum sie Cat nicht angerufen hat. Ich hoffe es freut dich, dass ich jetzt hier bin und nicht-''.
,, Liam, hör auf. Es tut gut dich wiederzusehen. Und zu hören. Die letzten Wochen waren hart und mir geht es schlimmer als je zuvor. Es tut gut dich hier zu haben. Wirklich'', redete ich ihm ins Wort hinein und tätschelte seine Hand. Darauf lächelte er und griff nach seiner Tasse bevor er mich bat von meinen letzten Wochen zu erzählen. Ohne zu zögern, erzählte ich ihm ausführlich von meinen Gefühlen, meiner Leere, meinen Gedanken Nutz- und Sinnlos für diese Welt zu sein und von meinen Schuldgefühlen, meine Familie so sehr damit zu belasten. Währenddessen hörte mir Liam aufmerksam zu, gab mir durch das Nicken oder Murmeln zu verstehen, dass er mir zuhörte und mir folgen konnte. An seinem Gesichtsausdruck konnte ich ablesen, dass er nun der Dritte im Bilde war, der meinetwegen litt, da sein Ausdruck ständig von Schock über Trauer bis Mitgefühl wechselte. Erst als ich außer Puste zu ende gesprochen und an meinem Tee genippt hatte, der mittlerweile schon kalt war, stellte er seine leere Tasse ab und legte das eine Bein über das andere.
,, Ich weiß, wie sich Trennungen anfühlen können. Und ich weiß, dass man Momente hat, in denen man sich wünschst, nicht mehr zu sein. Um diesen dauerhaften Schmerz nicht mehr spüren zu müssen. Aber das ist der falsche Weg Hailey, auch wenn er dir richtig erscheint. Du musst nur an all die Menschen denken, die dich lieben und die du zurücklassen würdest. Deine Familie, Cat, Louis, Niall, mich und sogar Harry. Ich nehme ihn nicht in Schutz Hailey. Er mag vielleicht im Gefühl mein Bruder sein, aber für diese Aktion hasse ich ihn. Weil er nicht nur dir das angetan hat, sondern uns allen. Ich weiß nicht wann du das letzte Mal auf dein Handy gesehen hast, aber wir alle haben versucht dich zu erreichen, ob telefonisch oder per Nachricht. Wir lagen im Sterben vor Sorge und spielten mit dem Gedanken, die Polizei einzuschalten. Hätte deine Mum mich nicht kontaktiert, hätten wir das wahrscheinlich getan. Die Jungs und Cat wissen nicht, dass ich hier bin. Ich habe mir schon denken können, warum du von der Bildschirmfläche verschwunden bist. Wie auch immer, auf was ich hinauswill, ist, dass du sehr wohl eine große Bedeutung für die Band, Cat, Harry und deine Familie hast. Also hör auf dich als sinn- und nutzlos zu betrachten, weil du sehr wohl einen Sinn und einen Nutzen hast. Für mich zum Beispiel bist du einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben, weil du der einzige Mensch bist, den ich kenne, der mir so ähnlich ist und mich mit einem Lächeln glücklich machen kannst. Du bist klug, amüsant und vor allem talentiert. Glaub mir Hailey, wenn ich dir sage, dass die ganze Welt über dich spricht. Im positiven Sinne. Diese Scheiß Sender wie ENews oder MTV schauen sowieso nur Leute, die nichts anderes in ihrem Leben zu tun haben, als ihre Nase in anderer Menschen Business hineinzustecken''.
Aufmerksam hörte ich Liams wahren Worten zu, die mich gegen Ende zum Lachen brachten und meine Stimmung erhellten. Liam hatte mir mit seinem Monolog verdeutlicht, dass ich ein verzerrtes Bild von mir selber hatte und aufwachen musste, um mich selber nicht weiter mit solchen Gedanken zu vergiften. Nur wusste ich nicht, wie ich meine Kognitionen verändern sollte. Wir unterhielten uns noch weitere Stunden über mich und den Trennungsschmerz, philosophierten über Gründe, warum Harry mir das angetan hatte und sprachen gegen Ende auch über Cheryl und über seine Beziehung zu ihr. Ich dachte stark darüber nach, ob ich für Harry nicht genug war und ihm zu wenig von mir gegeben hatte. Ich machte mir darüber Gedanken, ob Harry mich überhaupt jemals so sehr geliebt wie ich ihn hatte und fragte mich, ob er überhaupt noch litt oder sich mit der Situation angefreundet hatte. Liam versuchte viele meiner Denkweisen mit guten Argumenten zu zerschmettern, doch die Ungewissheit plagte mich und ich wünschte mir, für einen kurzen Moment durch meine Augen Harrys Leben zu sehen, um zu wissen, wie es ihm mit der Trennung ging. Liam versicherte mir, dass Harry mich aufrichtig liebte und es immer noch tat. Er erzählte wie Harry sich in St. Barth an ihn gekrallt hatte und dass er anhand seines Blicks ablesen konnte, wie sehr er durch seinen Fehler litt. Seitdem hatte er ihn weder gesehen noch gesprochen, was daran lag, dass Harry in Los Angeles war und auf keine Nachrichten und Anrufe von seiner Person reagierte. Des Weiteren versicherte mir Liam, dass ich keine Fehler in der Beziehung getan hatte und ich aufhören musste, mir die Schuld in die Schuhe zu schieben. Der einzige, der an der Trennung Verantwortung trug, war Harry, der, wie Liam vermutete, genauso leiden musste wie ich. Zuvor hatte er Harry niemals weinen gesehen und niemals zuvor hatte er in Augen geblickt, die einen mit ihm zusammen in die Tiefe zogen. Es mochte vielleicht hart und sadistisch klingen, aber einem Teil von mir gefiel es, dass Harry wahrscheinlich genauso leiden tat. Doch nicht das Leiden gefiel mir, sondern das Bewusstsein darüber, dass er meinetwegen litt. Auf der anderen Seite schmerzte dieser Gedanke sehr und ich wünschte mir, Harry an mich zu drücken und seine Nähe an meinem Körper spüren zu können, um ihn zu trösten und mit ihm zu leiden. Meine Gefühle waren antithetisch. Genauso meine Gedanken. Müde vom vielem Sprechen und Denken führte ich Liam in sein Zimmer, welches neben meinem lag. Statt in einem Hotel zu übernachten, gefiel es ihm mehr in meine Welt einzutauchen und für mich da zu sein, falls ich nicht schlafen konnte oder weinen wollen würde. Seine Hilfsbereitschaft und Bodenständigkeit erwärmte mein Herz und so wünschte ich ihm mit einer Umarmung eine gute Nacht und dankte ihm für seine Freundschaft. Statt zu antworten, verdrehte er die Augen, drückte er mir einen Kuss auf den Hinterkopf und schloss die Tür hinter sich. Als ich mir die Zähne putzte und mich umzog, dachte ich über Liams Verabschiedung nach und darüber, wie Harry bei dem Kuss auf meinem Hinterkopf geschaut hätte. Allein der Fakt, dass er vor Harry bevor bei mir in München war, würde ihn verrückt machen. Mir bedeutete sein Kommen sehr viel und der Kuss auf den Hinterkopf war entweder eine unbewusste Handlung oder eine beabsichtige. Wie auch immer man es sehen wollte, hatten beide Handlungen mindestens eine Gemeinsamkeit. Zum Beispiel ein Kuss zur Stärkung. Aus Freundschaft. Aus Liebe. Im freundschaftlichen Kontext. Liam verbrachte weitere drei Tage mit mir zuhause und brachte mich sogar soweit, nach einigen Wochen das Tageslicht zu erblicken, raus und spazieren zu gehen. Ich zeigte ihm meine Nachbarschaft, beobachtete mit ihm im Stadtpark die vorbeigehenden Menschen, alberte mit ihm auf den Straßen herum und kochte mit ihm Abendessen. Er brachte mich sogar soweit, ihn zu McDonalds zu kutschieren, um zwei große Menüs zu bestellen und diese dann mitten auf dem Parkplatz mit ihm zu essen. Seinetwegen hatte ich wahrscheinlich in drei Tagen die Kilogramme aufgenommen, die ich in der letzten Zeit verloren hatte. Doch es tat gut sich mal wieder fit, sportlich und lebendig zu fühlen. Ich hatte den Genuss wieder zum Essen entdeckt, verbrachte wieder gerne Zeit an der frischen Luft, mied mein Bett soweit ich konnte und spielte einige Partien Scrabble, um die meisten zu gewinnen. Um dann lauthals zu lachen, mit einem Glas Wein anzustoßen und meinen Erfolg zu feiern. Liam hatte es geschafft, mich aus meiner depressiven Episode zu holen und mich zu erneuern. Zwar schmerzte nach wie vor der Gedanke an Harry tief in meinem Herzen und es gab viele Momente, insbesondere abends, an denen ich Harry vermisste, doch mit jedem Tag, der verging, ging es mir besser. Zumindest fühlte ich mich stärker und besser als zuvor. Bis Liam wieder zurück nach London flog und ich aus meiner Euphorie mein Handy nach langer Zeit anschaltete und die vielen Nachrichten las oder abhörte, die mich meistens so unglaublich traurig machten, dass ich begann zu weinen und den Schmerz in meiner Brust lebendig fühlen konnte. Natürlich hätte ich aufhören können. Doch die Neugier war zu groß und Harrys Stimme nach langer Zeit wieder zu hören, war auf der einen Seite schmerzhaft und tödlich, auf der anderen Seite Balsam für meine Seele. Gott, ich vermisste ihn so sehr. Doch allein seine Stimme reichte auch aus, um Höllenquallen wieder bei mir auszulösen beziehungsweise sie wieder zurück zu holen. Bilder von Kendall und ihm tauchten vor meinem inneren Auge auf und all die schönen Erinnerungen, welche ich mit ihm teilte, verblassten hinter diesem einen Bild, als beide Personen sich vor meinen Augen küssten. Irgendwann legte ich mein Handy weg und strich mir müde die Tränen aus dem Gesicht. Leider entdeckte mich meine Mum noch bei meinem emotionalen Zusammenbruch, und nahm mich instinktiv in die Arme. Sie schaukelte uns etwas hin und her, doch keiner von uns sagte ein Wort. Ich wusste, dass sie sich für mich erhofft hatte, durch Liams Besuch wieder die Kurve zu kriegen. Das hatte ich mir auch gewünscht. Und gedacht. Doch leider war der Heilungsprozess noch nicht so weit vorangeschritten wie ich dachte und ich fühlte mich erneut Hundeelend. Meine Mum murmelte, dass sie sich Gedanken über einen Psychologen für mich machte und dass ich darüber nachdenken sollte. Vielleicht hatte sie recht. Nun hatte mich Harrys leidende Stimme getriggert. Ein anderes Mal wäre es dann vielleicht ein Foto, ein Video, ein Song oder ein Film von beziehungsweise über ihn. Das Thema musste mit sanften Handschuhen angefasst werden. Entweder ich würde es schaffen, alleine einen Weg aus dieser Misere zu kriegen, oder ich musste es tatsächlich in Erwägung ziehen, mir externe Hilfe zu holen. Es war schon gruselig wie viel Macht eine Person über einen haben konnte, um sein Leben auf den Kopf zu stellen und es zu vernichten. Ich war mir dem zwar immer bewusst, doch das tägliche Leid und mein Gefühlschaos verdeutlichten mir nur, wie tief ich in dieser Beziehung gesteckt hatte. Wie viel Kraft und Energie es brauchte, um sich dann wieder Mutter Seelen allein zu fühlen. Ich fühlte mich leer und nicht mehr vollkommen. Jegliche Lebensenergie war mit dem Scheitern dieser Beziehung dahin. Ich löste mich vorsichtig von meiner Mum und strich mir die Tränen aus dem Gesicht. Sie schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln und begann ein Gespräch, ob ich Lust hätte, sie und David zu einem Abendessen zu begleiten. Um rauszukommen, an anderes zu denken und den Genuss des Lebens wiederzuentdecken. Ohne zu überlegen, stimmte ich ihr mit einem Nicken zu und wollte gerade ansetzten, als mein Handy laut vibrierte und alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Ich steckte in einer Bredouille ob ich auf mein iPhone sehen oder es lieber wieder ausschalten und zur Seite legen sollte. Ich hatte Angst, dass Harry mich mit einer weiteren Nachricht triggern würde und zögerte eine ganze Weile. Meine Mum sah mich neugierig an und gab mir damit zu verstehen, dass egal welche Entscheidung ich treffen, sie mir Gesellschaft leisten würde. Mutig griff ich nach meinem Handy und sprang über meinen Schatten, um eine Nachricht aufzumachen, durch welche mein Herz in die Hose fiel und mein Lebensbild vollkommen veränderte. Schockiert blickte ich zu meiner Mum hoch bevor wir uns beide nebeneinandersetzten und ich mein Handy zwischen uns hielt. Die Augen meiner Mutter wurden mit jedem Wort größer als sie meine Einladung von der Weltmarke Chanel las, welche mich zu einem persönlichen Gespräch für die Rolle als Chanel Vertreter bat. Angefügt war noch eine Telefonnummer und Email Adresse, um entweder mein Interesse zu bestätigen und die Angelegenheit in die Wege zu leiten oder um abzusagen und mir eine Gelegenheit entgehen zu lassen, die sich wahrscheinlich nur einmal im Leben bieten würde.
,, Du musst dieses Angebot annehmen!'', schrie meine Mutter laut auf nach dem sie die E-Mail zu Ende gelesen hatte und brachte mich mit ihrer Aufregung zum Lachen.
,, Mum, ich hatte nichts anderes vor. Wobei ich nicht ganz verstehe, wieso sie mich fragen und welche Tätigkeiten mit dieser Rolle einhergehen'', antwortete ich ihr ehrlich und zuckte ahnungslos mit den Schultern. Meine Mutter kannte auf beide Fragen auch keine Antwort und so half sie mir bei der Formulierung und gab mir den letzten Ruck, die Nachricht abzusenden. Einige Tage später druckte ich mir all meine Informationen, Verträge und die Flug- und Hoteldetails auf Papier aus, packte meinen Koffer und flog nach London, um meine Garderobe zu wechseln und mich körperlich auf Vordermann zu bringen. Ich trieb eine Woche lang täglich Sport, ernährte mich gesund und regelmäßig und pflegte meinen Körper, um dann nervös und ängstlich in einem Flugzeug auf dem Weg nach Paris zu sitzen und zu begreifen, dass ich mein Leben in kurzer Zeit wieder im Griff hatte. Ich hatte es durch das Angebot aus meinem Loch aus Leere und Kummer geschafft, um mich nun auf einen neuen, für mich unerfahrenen Weg zu bewegen, der meine ganze Karriere bereichern könnte und mir neue Möglichkeiten in anderen Gebieten gab. So wäre ich nicht nur Make-up Artistin, Hair-Stylistin und Stylistin, sondern auch Botschafterin für Chanel. Eine Marke, die mich seitdem ich Interesse an der Mode entwickelt hatte, stark prägte und mich inspirierte. Ich konnte es nach wie vor nicht fassen, welche Ehre mir mit diesem Angebot zutage kam. Es war wie ein neuer Lebensabschnitt, den ich alleine beginnen konnte. Und genau das gefiel mir. Es war eine Möglichkeit von neu anzufangen und die alte, depressive, trotzlose Hailey im alten Kapitel zu lassen. Ich war bereit dafür. Und unterstrich das durch die Bestellung eines Tomatensafts. Denn ob man es glaubt oder nicht. Tomatensaft schmeckte im Flugzeug himmlisch. Und würde nun statt Champagner oder Sekt zu meinem Feiergetränk werden. Prost Hailey, auf deinen Mut und dein Selbstbewusstsein! 

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