Das Ende der Einsamkeit

893 167 136
                                    

Elisabeth

Ich starrte aus dem Fenster und musste viel zu oft den Kopf senken, weil die Sonne mit all ihrer Kraft in das Zugabteil brannte und mein aquamarinblaues Haar zum Glitzern brachte.

Ja. Während die Brille rot geblieben war, war das Haar nun blau und der asymmetrische Pony endlich in einen symmetrischen Schnitt gebracht worden. Ich fühlte mich schön, obwohl ich mich jetzt auch äußerlich vom Rest abhob.

Aber ich hatte eine Veränderung gebraucht. Manchmal bedeutete Veränderung nämlich Schutz. Schutz vor'm Zerbrechen.

Dies erhoffte ich mir von meiner Haarfarbe und von dem Neuanfang, der heute beginnen sollte.

Der Neuanfang, der mehr Zauber besaß, als je einer zuvor.

Ich war jetzt siebzehn und ich hatte einen Plan. Das Sandmännchen hatte von Plan B gesprochen, aber das hier war nicht Plan B.

Denn da war noch ein Plan. Und der fühlte sich so gut an, er fühlte sich nach Schicksal an. Durch diesen Plan bekam ich meinen Glauben zurück und er ließ alle Ereignisse wieder einen Sinn bekommen.

Er lautete: Sitzen bleiben, um in einer neuen Klasse Freunde finden zu können.

Er hieß nicht Plan B.

Er hieß: Plan Elisabeth.

Es war mein Plan.

Ich war froh, ganz unten am Tiefpunkt gewesen zu sein. Denn das Fallen hatte etwas Gutes gehabt. Der absolute Tiefpunkt zwang mir jetzt die Kraft auf, die ich brauchte, um endlich etwas zu verändern.

Dieses Schuljahr würde ich Freunde finden. Und heute fing es an.

Ich saß auf einem der Sitze, denen gegenüber sich zwei weitere befanden, sodass man sich hier ideal zu viert niederlassen konnte.

Was ich nicht tat. Der Platz neben mir wurde von meiner Schultasche in Anspruch genommen und mir gegenüber saßen bloß zwei ältere Männer, die sich über ihre Arbeit unterhielten und mich eben hin und wieder mit einem Blick bedachten. Blaue Haare waren wirklich nicht gerade unauffällig.

Ich selbst beschäftigte mich damit, auf meinen Collegeblock zu starren, der in meinem Schoß lag. Ich tat, als würde ich schreiben, dabei schrieb ich nicht. Das Blatt war längst voll mit den Wörtern, die mich in meinem Leben wohl am meisten berührt hatten.

Es waren die Verse, die wir im Biologieraum geschrieben hatten. Eine Woche vor den Ferien hatte ich sie alle lesen können und um mich immer an sie erinnern zu können, hatte ich sie abgeschrieben. In schönster und geschwungener Schrift und in rot verewigt standen alle Verse auf dem Papier. Ich las sie wieder und wieder und baute darauf, dass heute der Tag war, an dem die Einsamkeit vergehen würde.

Nur wurde ich mit jedem Meter, den sich der Zug der Schule näherte, unsicherer. Bekam Angst. Und wenn nicht alles gut werden würde? Wenn Herr Sandmans Klasse kein Stück besser war? Ich wollte es mir gar nicht ausmalen. Das durfte einfach nicht passieren.

Dann hielt der Zug an der letzten Haltestelle vor der Schule und die beiden Männer stiegen aus. Jetzt saß ich hier ganz alleine.

Einsam.

Obwohl es nur die Zugfahrt war, verließ mich gerade der Mut. Wie sollte ich Freunde finden? Ich war nicht gut darin. Ich war sogar grottenschlecht darin.

Vielleicht blieb ich ja doch auf ewig einsam.

Der Gedanke fraß sich durch meinen Magen und wahrscheinlich wäre ich vor plötzlich aufkeimender Angst und Verzweiflung in Tränen ausgebrochen, wenn nicht in dem Moment jemand meinen Namen gesagt hätte.

Die Verse der EinsamkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt