SIEBENUNDDREIßIGSTES KAPITEL

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Die Haustür stand offen, als Asli mit Tolga das Haus betrat. Schockiert sahen mich beide an. Tolga kam sofort auf mich zu und trug mich auf seine Arme ins Wohnzimmer. Asli kam wenige Sekunden später mit einem Glas Wasser zurück und hielt es mir an den Mund. Dankend nahm ich es ihr aus der Hand und nahm einen Schluck. Dann gab ich es ihr wieder und sie stelle das Glas auf den Tisch. Tolga drückte mich an seine Brust und ging mit seiner Hand durch meine Haare. "Willst du reden?", bot Asli an und nahm meine Hand in ihre. Ich schüttelte bloß meinen Kopf und schloss meine Augen. Ich wollte an nichts von dem, was heute passiert war, denken.

Die nächsten Tage riss ich mich zusammen und ging wieder regelmäßig zur Arbeit. Burak tauchte seitdem nicht mehr bei mir auf. Dafür aber umso öfter Mehtap. Sie verstand mich und tröstete mich zusammen mit meinen besten Freundinnen Sevgi und Asli. Sie besuchte Gökhan immer noch und erzählte mir, wie traurig er die ersten Tage war, doch diese Trauer hatte sich schnell in Wut umgewandelt. Er war sehr wütend auf mich und hasste mich wahrscheinlich für diesen Rückzug. Gerade jetzt hätte ich bei ihm bleiben müssen, auch wenn er schuldig war, aber die Gefahr unseren Sohn zu verlieren war einfach viel zu groß. Der ganze Stress tat mir nicht gut. Ich brauchte ein wenig Abstand von dem Ganzen.

Abends gegen sechs kam ich von der Arbeit Zuhause an und traf auf Burak, der ungeduldig auf mich wartete. Als er mich sah, kam er direkt auf mich zu. Verwirrt und überrascht, dass ich ihn hier Widder zu sehen bekomme, sah ich ihn an und lockerte meinen Oberteil, um meinen leicht gewölbten Bauch zu verstecken. "Dilek." Verzweifelt sahen seine Augen in meine. Er hatte Augenringe wie Gökhan, den ich vor mehreren Tagen das letzte mal besucht hatte. "Du musst zu ihm.", flehte er mich mit seinen Augen an. Ich löste mich von ihm und atmete scharf ein und aus. "Bitte Dilek. Gökhan dreht komplett durch. Seit deinem Besuch ist er nur noch aggressiv drauf und macht alles kaputt, was er kaputt machen kann. Er ist kurz davor komplett weggesperrt zu werden ohne Besucher.", klärte er mich auf und jedes seiner Worte versetzte mir ein Stich in meinem Herzen. Zu hören, was ich Gökhan damit antat, tat weh, aber anders ging es nicht. Wenn er bald schuldig gesprochen wird und für eine lange Zeit eingesperrt wird, werde ich nichts mehr haben von ihm. Das Baby, unser Sohn, wäre das einzige. "Dilek ich würde hier nicht stehen und dich anflehen, wenn es nicht wichtig wäre." Ich sah ihn lange an und seufzte anschließend. Als ich nachgab und nickte, umarmte er mich fest und bedankte sich bei mir. "Und wann?", fragte ich ihn. "Jetzt.", antwortete er und mein Herz blieb für einen Moment still. Schwer schluckte ich und folgte ihm zu seinem Auto. Gemeinsam machten wir uns an auf dem Weg.

"Wie hast du so spät noch eine Erlaubnis bekommen?" , "Timur.", antwortete er mir und sah dabei zu mir. "Übrigens habe ich erfahren, dass du bei ihm warst kurz vor dem Besuch." Ich schwieg und sah einfach aus dem Fenster. "Wieso Dilek?" , "Hast du es nicht von Gökhan erfahren?" Über meine Frage lachte er spöttisch und ich merkte, dass er die Geschwindigkeit erhöhte. "Gökhan redet mit niemandem mehr. Ich sitze mit ihm im Besuchsraum und wir schweigen uns an.", ließ er mich wissen. Sofort schnellte mein Kopf in seine Richtung. Traurig und schuldbewusst senkte ich meinen Blick und merkte den Hass mir gegenüber.

"Wir sind da. Komm.", informierte Burak mich und lächelte mich aufmunternd und hoffnungsvoll an. Mit jedem Schritt, den ich mich Gökhan näherte, wurde mein Herzschlag schneller. Ich war unglaublich nervös wegen seiner Reaktion. Die Tür wurde geöffnet und wir würden reingelassen. Wie auf Knopfdruck hob ich meinen Kopf und richtete ihn auf den gebrochenen Mann vor mir. Gökhan saß da total angespannt und starrte mit ebenfalls angespannter Kiefer auf den Tisch. Sein Bart war gewachsen sowie deine Haare. Von hier aus sah ich seine Augenringe. Dieser Anblick zerriss mich. Um nicht zu weinen schloss ich meine Augen und versuchte es zu verarbeiten. Ich spürte Buraks Hand auf meinem Rücken, öffnete meine Augen wieder und sah schwach lächelnd zu ihm. Mit langsamen Schritten ging ich auf Gökhan zu und setzte mich zitternd gegenüber von ihm. Ohne seinen Kopf zu heben, sah er mich an. Seine glanzlosen eisblauen Augen waren genauso eiskalt wie ich es bei unserer ersten Begegnung wahrgenommen hatte. Dieser Blick von ihm verunsicherte mich und sorgte für gemischte Gefühle. Einerseits wollte ich einfach nur zu ihm und ihn fest in meiner Arme schließen, andererseits wollte ich einfach wieder aus diesem Raum rennen. Als er auch noch anfing zu lachen und dabei seinen Kopf schüttelte, war ich total verwirrt. Er beugte sich über den Tisch näher zu mir und legte seinen Kopf schräg. "Na Ehefrau, was führt dich her?" Ein Schauer lief mir über den Rücken. Wie er das Wort Ehefrau aussprach, so verachtend. Ich musste gegen meine Tränen ankämpfen. Ich gab lange nichts von mir, was ihn anscheinend sehr wütend machte. Sein Grinsen war nämlich verschwunden und die Augenbrauen waren zusammengezogen. "Wie traust du dich nach deinen letzten Worten hierher?", zischte er und sah mir fest in die Augen. Ich öffnete meinen Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn gleich danach aber wieder. Kein Wort kam mir über die Lippen. Verzweifelt sah ich zu Burak, der Gökhan anstarrte und gar nicht zu mir sah. "Du hättest mich nicht im Stich lassen sollen Dilek. Du bist meine Frau. Ich dachte, dass du mich nie fallen lassen würdest, aber da habe ich mich wohl getäuscht.", sprach er mit rauer Stimme und schüttelte seinen Kopf. Tränen liefen mir über die Wange und um nicht zu schluchzen, biss ich mir fest auf die Unterlippe. "Verdammt du bist einfach gegangen! Hast mich alleine gelassen hier in diesem Drecksloch!", fing er plötzlich an zu schreien, schlug mit der Faust fest auf den Tisch und stand so ruckartig auf, dass sein Stuhl nach hinten kippte. Erschrocken zuckte ich zusammen und stand ebenfalls auf. Burak war zu Gökhan geeilt genauso wie der Beamte. "Die Besuchszeit ist vorbei!", meinte der Beamte und legte Gökhan fesseln an. Burak versuchte den Beamten noch umzustimmen, erfolglos. "Ich werde hier rauskommen Dilek und irgendwann wirst du bereuen mich hängen gelassen zu haben!", hörte ich ihn noch rufen und spürte die heißen Tränen an meinen Wangen. Burak sah mich an, kam auf mich zu und drückte mich an sich, während wir uns auf dem Weg zum Auto machten. "Gökhan Abi liebt dich. Er meint es nicht so. Er ist momentan einfach nur wütend und verzweifelt, was auch völlig nachvollziehbar ist.", versuchte er mich zu beruhigen. Ich nickte nur und stieg ein. Reden wollte ich gerade nicht.

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