Hillside Asylum, 19.12.1981

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Liebe Birgit, 

Ich wünsche dir ein besonders schönes Weihnachtsfest. Mögen alle deine Wünsche wahr werden und dich niemals eine schlimme Krankheit wie meine ereilen! Du bist ein wunderbarer Mensch, liebste Nichte, und ich danke dir, dass du es mir nicht übel nimmst, dass ich so unzuverlässig im Schreiben bin. Ich habe einige deiner Rosen getrocknet und parfümiert- ich hoffe, du magst es. Mehr kann ich dir leider nicht schenken, obwohl du es verdient hättest, reichlich beschenkt zu werden!

Wir wollen ein Weihnachtsstück aufführen- nun, anscheinend habe ich außer Häkeln noch das Talent zum Schauspielern. Wir führen „Scrooge" auf und ich hoffe, es wird nicht zu anstrengend. Ich bin der Geist der Zukunft. Natürlich bibbere ich schon vor Aufregung! Ich habe eine treue Freundin gefunden, sie heißt Charlotte und ist vor einem Monat her gekommen. Sie mag lesen und schauspielern, wie ich, und wir haben gestern die halbe Nacht über Dickens diskutiert, bis uns die Schwester an den Ohren ins Bett zerren musste. Ja, mein Therapeut meint, ich mache Fortschritte- ich sei nicht mehr so angepasst wie früher!

Danke für die Kassette mit den deutschen Weihnachtsliedern. Ich darf sie nicht laut hören, denn hier sind sie nicht gut auf Deutsche zu sprechen. Ich mag es nicht, jemanden wegen seiner Herkunft zu verurteilen und habe nie wie Gran auf Anne herumgehackt, dass sie einen Deutschen geheiratet hat. Ich denke, über deinen leiblichen Vater wäre Gran aber noch unglücklicher gewesen...sie geht immer noch davon aus, das Cole dein Vater ist, der uns auf dem Europa- Trip begleitet hatte. Wenn sie wüßte, dass dein Vater ein unbekannter Schwede ist...Was sie für einen Aufstand gemacht hatte, als wir nach England zurück kamen und Anne ihr gebeichtet hatte, dass sie schwanger wäre! Und dann warst du plötzlich Gran's Liebstes. Ich schicke dir ein Foto, das einzige von mir und dir, damals sah ich noch passabel aus. Ein bisschen dünn, vielleicht. Aber du warst so ein süßes Baby! Wir waren wirklich sauer auf Manfred, dass er euch gestohlen hatte und so weit von uns weg gebracht hatte.

Fühle dich gedrückt, liebe Nichte. Und bis bald, Merry Christmas! Deine Bridget


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