Kapitel 46

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Gegen meinen Willen verging die Woche wie im Flug. Isaiah hatte sich mittlerweile wieder beruhigt, auch die anderen Schüler hatten die Aktion längst vergessen und gingen wieder ihren eigenen Angelegenheiten nach.

Anthony hatte mich die ganze Woche über nicht mehr belästigt, umso mehr fragte ich mich aber, wo er nach der Schule immer hin fuhr. Was mir vorher nie aufgefallen war, bemerkte ich nun umso mehr, wenn er nicht nach Hause kam. Außerdem war es nicht gerade unauffällig, wenn sein weißer Audi in der Garage fehlte.

Anthony und ich hatten schon ewig nicht mehr mit unseren Eltern zusammen zu Abend gegessen. Vielleicht hatten sie ja endlich die Hoffnung aufgegeben und eingesehen, dass wir uns nicht an einen Tisch setzten. Oder dass wir es zumindest nur gegen unseren Willen taten.

Auch mit meiner Mum redete ich im Moment sehr selten, da ich den Vorfall im Urlaub selbstverständlich noch nicht vergessen, geschweige denn verziehen hatte. Und überhaupt hatte ich das Date mit Anthony nur meiner Mum zu verdanken.

Bis jetzt hatte ich es geschafft, die Sache mit dem Date vor allen zu verheimlichen. Außer natürlich vor Charlene nicht, die ich sofort angerufen und ihr alles erzählt hatte. Wie gewohnt war sie mal wieder am anderen Ende der Leitung völlig ausgerastet und hatte in den Hörer gekreischt, wie toll sie das fand.

Noch am selben Abend hatte sie beschlossen, mich noch mal in Templeton zu besuchen. Und jetzt saß sie auf meinem Bett und hörte nicht mehr auf zu Grinsen.

„Das ist noch nicht das Schlimmste.", erzählte ich ihr aufgeregt.

„Wie, kann es etwa noch besser kommen?"

Ich ging zu meinem Kleiderschrank und kramte etwas darin herum, bis ich schließlich das fand, wonach ich gesucht hatte. Ich nahm das wunderschönste Kleid, was ich je in meinem Leben gesehen hatte, heraus und präsentierte es Charlene, die mit großen Augen darauf starrte.

„Oh..mein..Gott.", brachte sie nur heraus und ich konnte den Neid in ihren Augen glitzern sehen.

„Was soll ich denn jetzt tun?", fragte ich sie verzweifelt, doch ich wusste genau, dass Charly mir nur raten würde, es anzuziehen. „Ich würde am liebsten einfach nicht hingehen, doch ich kenne Anthony nur zu gut und außerdem hat er mir das Leben gerettet. Wenn er im Gegenzug ein Date möchte, dann wird er es auch bekommen."

„Wie kommt es überhaupt, dass er ein Date möchte und nicht vorgeschlagen hat, dass du die nächsten 10 Jahre seine Autos putzen sollst?", fragte Charly mit angestrengtem Blick, die versuchte, all dem hier zu folgen.

„Er will mich zur Weißglut treiben."

„Also irgendwie ist das ganze schon ziemlich süß...", grinste Charly und ließ sich in meine Kissen fallen. Sie seufzte verträumt, während sie mit dem Anhänger ihrer Kette spielte. „Ich glaube er ist ein richtiger Gentleman."

Ich prustete laut los, als ich realisierte, was Charly gerade gesagt hatte. Die Worte „Anthony" und „Gentleman" in einem Satz zu verbinden, war für mich einfach zu weit hergeholt.

„Also manchmal frage ich mich echt, was bei dir falsch gelaufen ist.", lachte ich und Charly stimmte mit ein.

Am nächsten Morgen wurde ich unsanft von dem nervtötenden Geräusch meines Weckers geweckt und ich stöhnte laut auf. Es war Freitag.

Am liebsten hätte ich irgendwie die Zeit vorgedreht, damit ich diesen Tag schon hinter mir hatte. Oder das Date einfach wieder an Isaiah abgeschoben, was sie auch sicher sehr erfreut hätte. Doch diesmal konnte ich mich nicht davor drücken.

Und langsam machte sich ernsthaft Panik in mir breit, denn ich hatte keine Ahnung, wie ich mich in Anthonys Gegenwart verhalten sollte. Es war schließlich ein Date und da konnte ich doch schlecht die ganze Zeit mit ihm diskutieren, oder?

Das Date mit Aaron war schon schlimm genug gewesen, wie sollte ich dann eins mit Anthony überstehen? Schließlich hatten wir noch nie wirklich normal miteinander geredet. Mal wieder fuhr ich mit dem Fahrrad zur Schule und begegnete dort Jade, mit der ich schon lange nicht mehr geredet hatte. Und wie jedes Mal kannte sie kein anderes Gesprächsthema als Anthony und deren Freunde.

„Weißt du eigentlich, was bei Anthony und Aaron los ist?", fragte sie mich, doch eigentlich müsste sie wissen, dass ich genau die Falsche war, so etwas zu fragen, weil ich diesbezüglich irgendwie nie auf dem neuesten Stand war.

„Wieso, was sollte denn sein?"

„Ist dir denn nicht aufgefallen, dass die beiden gar nicht mehr so häufig zusammen gesehen werden?", wollte Jade mit zusammengekniffenen Augen wissen. Ich dachte scharf nach, hatte jedoch nie darauf geachtet, ob die beiden zusammen abhingen oder nicht. Das einzige was mir jetzt im Nachhinein auffiel, war, dass Aaron gar nicht dagewesen war, als ich Anthony Isaiahs Handynummer übergeben hatte. Aber es konnte genauso gut sein, dass Aaron an dem Tag krank gewesen ist.

„Eigentlich nicht...", erwiderte ich. „Wieso?"

„Viele spekulieren schon, dass sie sich gestritten haben. Anthony wurde schon ewig nicht mehr im Park oder im Lokal gesehen und Aaron ist immer nur alleine dort. Die Gerüchte geraten immer mehr in Umlauf, sodass die beiden eigentlich schon längst davon erfahren haben müssten."

Wenn Anthony nach der Schule nicht im Park war, wo fuhr er denn sonst immer hin? Meistens war er bis spät abends weg, was mir aber, wie gesagt, erst seit kurzer Zeit immer häufiger auffiel.

„Und was wäre an einem Streit so schlimm?"

„Ich verzeihe dir diese Frage, aber nur weil du noch nicht lange hier wohnst. Denn wirklich JEDER weiß, dass die beiden wie Brüder sind. Seid der Kindheit sind sie unzertrennlich und einen Streit hat es, meines Wissens nach, noch nie gegeben."

„Und du weißt auch keinen möglichen Grund?", hakte ich nach und kam mir langsam bescheuert vor, Jade so auszufragen, über jemanden, mit dem ich im selben Haus wohnte.

„Nein, nichts. Ein Streit zwischen den Beiden wäre wirklich unerklärlich. Aber seit dem du hier wohnst, passieren sowieso andauernd merkwürdige Dinge.", grinste sie und erntete einen verwirrten Blick von mir.

„Willst du damit andeuten, dass ich der Grund für einen Streit sein könnte?!", fragte ich empört, denn wenn das wirklich jemand glauben sollte, war derjenige wahrhaft verrückt.

„Nichts ist unmöglich." Jades Lachen hallte in meinem Kopf, in dem tausende Gedanken herumschwirrten.

Die Frage die mich aber am meisten beschäftigte war, wieso sollte Anthony sich wegen mir mit seinem besten Freund streiten, obwohl ich für ihn wie ein lästiges Ungeziefer war?

Plötzlich schoss mir die Szene am Tag nach dem Date mit Aaron wieder in den Kopf, wo er mich gefragt hatte, ob es stimmt, dass meine Mum Anthony geschickt hatte, mich abzuholen. Anthony hatte uns davor bewahrt, uns zu küssen.

Was hatte diese Frage zu bedeuten gehabt? Und hatte es etwa etwas damit zu tun, dass Elysia bei mir gewesen ist und mir indirekt gesagt hatte, dass Aaron Interesse an mir zeigte?

Die Schulklingel riss mich aus meinen Gedanken und ich ging mit Jade zum Unterricht.

Capture my HeartWhere stories live. Discover now