Kapitel 59

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Ich wusste eigentlich, dass es keinen Sinn hatte, sich gegen Anthony zu wehren. Und trotzdem versuchte ich es immer wieder. Ich wollte mir aber nicht die Tatsache eingestehen, dass ich jedes Mal scheiterte.

Er hatte unerwartet mein Handgelenk gepackt, als ich auf dem Weg in mein Zimmer war, und zog mich nun gewaltsam in sein Zimmer. Ich wollte da nicht rein, verdammt noch mal. Ich konnte mich nur zu gut an das letzte Mal erinnern, wo ich in seinem Zimmer gewesen war. Ich hatte kein Wort herausbekommen. Und so etwas kam mir in Anthonys Gegenwart nicht zu Gute.

Wie ein kleines Kind hielt ich mich mit meiner freien Hand an dem Türrahmen fest, um nicht in sein Zimmer gezogen zu werden.

Anthonys Geduld mit mir war offensichtlich auch am Ende, das verriet seine Grobheit, die von Sekunde zu Sekunde zunahm.

„Ich will verdammt noch mal nicht! Lass mich los!", brüllte ich ihn an, doch sein griff wurde bloß noch fester.

„Lass die beschissene Tür los oder willst du, dass sie kaputt geht?"

Mir war seien Tür doch so was von egal. Ich wollte keine Nachhilfe von ihm. Er wusste ja nicht, dass das der reinste Horror für mich werden würde, die ganze Zeit in seiner Gegenwart und dann müsste ich mich konzentrieren und... wie sollte das gehen?!

Meine Hände schwitzten immer mehr und das war absolut nicht gut. Denn das machte es für mich nur noch schwerer, mich seiner groben Kraft zu widersetzen.

Mein Gott, wieso war er nur so stark?

Und dann konnte ich mich nicht mehr halten und taumelte ruckartig in Anthonys Zimmer, Sein Griff um mein Handgelenk vermied Gott sei Dank, dass ich auf den Boden plumpste. Er stieß mich in Richtung Couch, bevor er zur Tür ging und sie abschloss. Den Schlüssel steckte er sich in die Hosentasche. Dieser Idiot! Er wusste genau, dass ich mir den Schlüssel dort nicht holen würde.

„Setz dich.", befahl er in strengem Ton und deutete auf die riesige Couch, die rechts in der Ecke seines Zimmers stand. Anschließend kramte er ein paar Unterlagen aus seinem ebenfalls gigantischen Schreibtisch heraus.

Ich würde das hier nicht überleben.

Mit hochrotem Kopf und völlig verschwitzt verließ ich Anthonys Zimmer und dieses bedrückende Gefühl in meiner Brust, welches sich während der Zeit bemerkbar gemacht hatte, verschwand wieder.

Wenn Anthony mich nicht schon völlig für bescheuert hielt, dann tat er es eben jetzt. Wahrscheinlich musste er jetzt denken, ich sei vollkommen zurückgeblieben.

Während der ganzen Zeit hatte ich versucht, ihn nicht anzusehen. Ich sah ihn nur an, wenn er gerade mal kurz wegsah. Ansonsten starrte ich fortwährend auf meinen Notizblock und kritzelte irgendwas da hin, während er versuchte, mir alles zu erklären. Und wenn er mich nach einer Antwort fragte, hatte ich jedes Mal „Keine Ahnung" gesagt.

Wie konnte ich nur so dumm sein? Aber in Anthonys Gegenwart verlor ich einfach jegliche Kontrolle über meinen Körper.

Wenn das jetzt zwei Wochen so weitergehen würde, würde ich die Prüfung auf keinen Fall bestehen.

Ich hatte mich zwar während Anthony sprach, vollkommen auf seine Stimme konzentriert, doch trotzdem hörte ich nicht wirklich was er sagte. Zu viele Gedanken gingen in meinem Kopf umher, als dass mein Gehirn irgendwas von dem Gesagten speicherte.

Und als Anthony dann verlangte, ich solle ihm meine Notizen zeigen, wurde das Ganze nicht nur unangenehm, sondern auch noch absolut peinlich.

Ich hatte Notizen. Ja. Aber keine, die auch nur annähernd irgendwas mit Mathematik zu tun hatten.

Mein Kopf hatte sich noch nie in meinem Leben so heiß angefühlt, wie in diesem Moment. Und Anthonys ausdruckslose Mimik verriet mal wieder nicht, ob er darüber wütend war oder ob er es nicht vielleicht sogar lustig fand. Was aber wohl sehr unwahrscheinlich war.

Außerdem hatte er mir den Notizblock so unsanft wieder in die Hand gedrückt, dass es wohl eher Wut war, die er unter seiner ausdruckslosen Fassade verbarg. Und danach hatte er mich nur noch extra schwere Aufgaben rechnen lassen, von denen ich natürlich absolut keine Ahnung hatte.

Dieser Idiot... ich würde mir auf der Stelle jemand anders suchen, der mir das beibringen konnte, ohne dass mein Verstand sich völlig verabschiedete.

Doch dies war leichter gesagt als getan. Anthony akzeptierte einfach nicht, dass ich seine Nachhilfe nicht wollte. Und so ging das die ganze Woche weiter, dass ich nachmittags nach der Schule in seinem Zimmer saß und er versuchte, den Stoff irgendwie in meinen Kopf zu bekommen.

Isaiah musste ich das jedoch verheimlichen, denn sonst hätte sie mich womöglich nachts besucht und umgebracht. Allerdings war es auch nicht wirklich schwer, ihr zu erzählen, dass ich einen alten Freund gefragt hatte, was sogar halbwegs der Wahrheit entsprach.

Im Laufe der Zeit schaffte ich es sogar allmählich, Anthonys Worte zu verstehen. Ich schaffte es, ihm länger als zwei Sekunden in die Augen zu sehen, ohne meinen hochroten Kopf von ihm abzuwenden. Und ich schaffte es, den Sinn dieser blöden Aufgaben zu kapieren.

Ich schaffte es tatsächlich, ein paar einfache Aufgaben richtig zu lösen.

Und es machte mich wahnsinnig glücklich, dass Anthony zufrieden war. Was mich gleichzeitig jedoch zutiefst beängstigte.

Antony hatte eine Freundin. Das durfte ich nicht vergessen.

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