Kapitel 52: Geschichten

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Ich hatte meinen Kopf auf meiner Hand gestützt. Meine andere Hand spielte mit einem Stift. Ich sah zum Mathelehrer, der mit seinen Armen rumfuchtelte und irgendetwas erklärte. Doch so sehr ich mich auch konzentrieren wollte, ich konnte es nicht. Meine Gedanken schweiften immer wieder zu dem Krankenzimmer, in dem Jonah lag und an vielen Maschinen angeschlossen war. Er war nach einer Woche noch immer nicht aufgewacht.

Ich hatte mich dazu entschlossen wieder zur Schule zu gehen und nach der Schule fuhr ich zum Krankenhaus um herauszufinden ob es etwas Neues von Jonah gab, was bisher nicht der Fall war. Bisher reichte es den Lehrern aus, wenn wir Jonahs Abwesenheit mit 'er ist krank' begründeten. Wir wollten nicht, dass jeder weiß, was passiert ist.

Dankbar packte ich meine Sachen ein als endlich die Klingel ertönte. Schnell verließ ich das Gebäude und machte mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Devin meinte, dass er mich heute nicht zum Krankenhaus fahren könnte, ihm wäre etwas dazwischen gekommen. Also nahm ich den Bus. Was ich aber auch schon kurz darauf bereute. Während der Fahrt wurde ich die ganze Zeit von irgendwelchen pubertierenden Jungs angeschaut. Zu viel wurde es mir dann als einer von ihnen mich ansprach.

"Na, Bock mit mir auszugehen?"

"Ich verzichte", erklärte ich, ohne von dem Buch aufzusehen, das ich gerade las um mich abzulenken.

"Ach komm schon. Wie kann man sich so einen Gott wie mich entgehen lassen?" Nun sah ich von meinem Buch auf.

Der Junge vor mir war mindestens einen halben Kopf kleiner als ich. Noch dazu kam, dass er aussah als wäre er in der Wäsche eingelaufen. Seine Klamotten waren viel zu weit für seinen schlaksigen Körperbau. Außerdem hatte er im Moment mit einem Akne-Problem zu kämpfen, genau wie seine Freunde. Eins musste man ihm lassen. Er hatte viel Selbstvertrauen.

"Ich muss leider. Mein Freund würde das nicht wollen", erklärte ich gespielt traurig und legte mein Buch zur Seite. An der nächsten Haltestelle musste ich aussteigen.

"Oh! Es hätte mir klar sein müssen, dass du einen Freund hast. Bei deinem Aussehen!" Obwohl ich eigentlich nichts von den Aussagen fremder Leute halte, musste ich kurz lächeln.

"Aber ich habe eine Idee" Erwartungsvoll sah ich ihn an. Auf diese Idee war ich mal gespannt. Er fischte aus seiner Hosentasche einen Papierschnipsel hervor, kritzelte etwas drauf und gab ihn mir. In seiner krakeligen Schrift stand dort seine Nummer geschrieben.

"Also wenn du wieder frei bist-"

"Werde ich dich sofort anrufen", beendete ich seinen Satz und stand auf um auszusteigen. Dabei zerriss ich vor seinen und den Augen seiner Freunde den Zettel und schmiss ihn in den nächsten Mülleimer. Dann machte ich mich auf den Weg zum Krankenhaus.

-

Von Jonah gab es immer noch nichts Neues. Seine Mutter war wie jeden Tag bei ihm und auch seine kleine Schwester war da. Sie tat so als würde es ihr nichts ausmachen, doch man sah ihr an, dass es sie beschäftigte. Devin fuhr mich gerade nach Hause. Es war still im Wagen. Wie jedes Mal wenn wir vom Krankenhaus Heim fuhren.

Genauso schweigend betraten wir die Halle, die auch im Stillen lag seit Jonah angeschossen wurde. Sie saßen allesamt schweigend auf dem Sofa und sahen so aus als hätten sie uns erwartet.

"Setz dich", forderte Devin mich auf. Die Jungs rückten etwas zur Seite sodass ich genau in der Mitte von ihnen saß. Das erinnerte mich an den Abend, an dem ich ihnen meine Geschichte erzählt hatte.

"Dass Jonah angeschossen wurde, hat uns nachdenklich gemacht. In Bezug auf dich. Wir sind der Meinung, dass es besser für dich wäre wenn du unsere Geschichten kennst"

Zögerlich nickte ich. Sie wollten mir genau das erzählen, was sie solange vor mir verschwiegen hatten.

"Ich fang dann mal an", erklärt Aramis.

"Meine Eltern sind illegal hier. Ich nicht, da ich hier in Amerika geboren wurde. Jedenfalls mussten meine Eltern schwarz arbeiten um mir hier ein gutes Leben zu ermöglichen. Als ich älter wurde begriff ich, dass sie oft nur eine Scheibe Brot am Tag aßen damit ich genug zu essen hatte. Ich hatte Gewissensbisse und begann etwas zu tun um das Leben meiner Eltern zu erleichtern. Ich begann zu stehlen. Anfangs nur Kleinigkeiten, später wurde es immer mehr. Bis ich versuchte eine kleine Bank zu beklauen und erwischt wurde. Ich bekannte mich schuldig, ersparte jedem die Arbeit und meine Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt"

Ich verarbeitete diese Geschichte. Er musste seine Eltern wirklich lieben wenn er so weit für sie gegangen ist.

"Alex' Geschichte kennst du ja bereits. Also geht es jetzt mit meiner weiter", bestimmte Devin.

"Ich bin ein Computergenie und habe mich schon fast überall rein gehackt. In Websites oder in das Netzwerk der Schule. Doch es gab einen Computer den ich noch nicht gehackt hatte. Das Netzwerk mit der sichersten Firewall. Das Penthagone. Als mir langweilig war, hatte ich versucht die Firewall zu durchbrechen. Jedoch wurden sie gewarnt und konnten meinen Computer zurückverfolgen. Daraufhin wurde ich wegen Spionage und Staatsverrat festgenommen. Ich konnte sie jedoch davon überzeugen, dass ich nie vorhatte Staatsgeheimnisse zu stehlen. Daraufhin habe ich Bewährung bekommen und Internetverbot. Ich komme hierher um zu boxen und mich abzulenken"

Ich wusste nicht, dass er so gut mit Computern umgehen konnte. Aber das war auch normal. Ich hatte mich nie wirklich für die Jungs interessiert. Ich wusste gerade mal, dass Jonahs Lieblingsfarbe dunkelblau war. Seth räusperte sich.

"Ich hatte mit einem Mädchen geschlafen. Das war so 'ne reiche Tussi, die sich dafür rächen wollte, dass ich mit ihrer besten Freundin gepennt und sie dann fallen gelassen hatte. Nachdem wir Sex hatten,war sie zur Polizei und hatte mich angezeigt, ich hätte sie vergewaltigt. Ich stritt es ab jedoch gab es anscheinend Symptome, die darauf hin deuteten, dass man sie vergewaltigt hatte. Sie war jedoch fest davon überzeugt, dass ich das war und sie hatten einer reichen Kuh mehr geglaubt als 'nem Jungen, der schon öfters wegen negativem Verhalten aufgefallen war. Im Jugendknast wurde ich als Kinderschänder beschimpft und immer wieder verprügelt bis man mich in Einzelhaft verlegt hatte. Meine restliche Strafe wurde wegen guter Führung durch Bewährung ersetzt. Und jetzt bin ich hier"

Ich schluckte. Ich hätte nie gedacht, dass Seth ohne Grund im Gefängnis war. Das erklärte, glaube ich auch, warum er manchmal so eigen war. Es wurden noch weitere Geschichten erzählt und es wurde noch ein langer Abend obwohl die Stimmung noch immer gedrückt war und das würde sich erst ändern wenn Jonah wieder aufwachen würde.nHoffentlich würde er es bald tun.

Scars of the pastWhere stories live. Discover now