Kapitel 4: Wie bitte?

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"Ich gehe mich noch kurz zurecht machen, bin gleich wieder da" 

Ohne auf die Antwort meines Dads zu warten, lief ich die Treppen rauf und ins Badezimmer. Als ich mich im Spiegel sah, erschrak ich. Normalerweise sehe ich vor mir ein Mädchen mit leicht gelockten, kastanienbraunen Haaren und grünen Augen. Das weibliche Ebenbild zu meinem Dad. Heute sah ich ein erschöpftes Mädchen mit dunklen Augenringen. Seufzend drehte ich den Wasserhahn auf und klatsche mir kaltes Wasser ins Gesicht. 

Ich trocknete mich wieder ab, überschminkte meine Augenringe und tuschte schnell meine Wimpern.In meinem Zimmer holte ich meine Tasche und ging wieder runter, wo auch schon Dad auf mich wartete. Er sah mich an und dann auf seine Uhr.

"Wow, 5 Minuten. Deine Mutter hatte zum Zurechtmachen immer mindestens eine halbe Stunde gebraucht" Wir verließen die Wohnung, die er auch sorgfältig absperrte, durchquerten die Halle und waren schließlich auf dem Parkplatz an dem das Taxi mich gestern abgesetzt hatte. Wir gingen auf das einzige Auto zu, das hier noch stand. Ein etwas älteres Auto, welches aber immer noch treu seine Dienste erfüllte. 

Schweigend stiegen wir ein und fuhren los. Was mir erst jetzt auffiel, war, dass das Viertel in dem wir lebten ziemlich heruntergekommen war.

"Ally, ich wollte dir nur noch sagen, dass du den Jungs nicht alles übel nehmen sollst. Sie sind vielleicht nicht die Bravsten und können ziemlich eigen sein und das ist auch bei vielen der Grund, warum sie zu uns kommen. Hab einfach Geduld mit ihnen. Manche von ihnen haben ziemlich traurige Geschichten und hatten es auch nicht immer leicht."

"Ich wurde mit Nonnen fertig, dann werde ich auch mit ihnen fertig" Dad lachte und ich stimmte mit ein. Vor der Schule angekommen, gab ich ihm noch schnell einen Kuss auf die Wange bevor ich ausstieg und er wieder davon brauste. Ich schulterte meine Tasche und sah mir das Gebäude ein wenig genauer an. Es war ein ziemlich altes Backsteingebäude und hatte seine besten Jahre definitiv schon hinter sich. Naja was solls.

Schon im Schulhof bemerkte ich, dass die Schule auf jeden Fall zu wenig Platz für zu viele Schüler hatte. Überall quetschten sich Schülermassen durch und seufzend musste ich mich auch dahin begeben. Ich hasste Menschenmengen. Etliche Minuten Herumgeschubse später stand ich endlich vor dem Sekretariat. Ich klopfte an und trat, nachdem ich ein 'Herein' vernommen hatte, ein. Hinter einem dunklen Holzschreibtisch saß eine etwas ältere Dame, vermutlich die Sekretärin. Zu meiner Verwunderung waren wir nicht alleine. In der Ecke stand ein Mann, etwas älter als mein Vater.

"Guten Tag. Sie sind sicher Miss Rodgers. Ihr Vater ist hier und in der ganzen Stadt bekannt und es freut mich, dass Sie nun unsere Schule besuchen. Aber eines sage ich Ihnen bereits vorweg. Nur weil Sie Mr. Rodgers Tochter sind, dürfen auch Sie sich nicht alles erlauben. Sie haben sich an die Regeln zu halten, wie die anderen Schüler auch." Das war dann wohl der Direktor.

"Das war mir klar"

"Dann ist ja gut" Er drückte mir einen Stapel Bücher und ein paar Papiere in die Hand.

"So hier steht die Nummer Ihres Schließfaches und der Code. Dieses Papier geben Sie einfach dem Lehrer ab, den Sie jetzt haben und das war es dann auch schon"

"Danke, schönen Tag noch"

"Ihnen auch", hörte ich ihn noch sagen, bevor ich die Tür schloss. In den Gängen war schon einiges los, was wohl daran lag, dass in 5 Minuten der Unterricht beginnen würde. Schnell suchte ich mein Schließfach, wobei mir jedoch nicht entging, dass ich eindringlich gemustert wurde. So ist das nun mal wenn man die Neue ist. Trotzdem war es mir unangenehm.

Nachdem ich es gefunden hatte, schmiss ich alle meine Bücher wahllos hinein und sah mir auf meinem Stundenplan an, was ich jetzt hatte. Mathe. Also nahm ich mein Mathebuch wieder an mich. Mein Schließfach befand sich relativ nahe an dem Klassenraum, den ich aufsuchen musste. Auf dem Weg dorthin klingelte es und als ich den Klassenraum betrat, war der Lehrer schon da. Ich reichte ihm den Zettel, wie der Direktor es mir gesagt hatte.

"High School in New Orleans, dann Privatschule in Frankreich und jetzt bist du hier. Bist ja ganz schön rum gekommen. Darf man fragen wieso?" Irgendwie mochte ich den Lehrer jetzt schon nicht.

"Private Gründe" In der Hoffnung, dass er sich damit zufrieden geben würde, setzte ich mich in die letzte Reihe, die komplett leer war. Mir wurde ein Blatt gereicht, welches Gleichungen enthielt. Gleichungen hatten wir schon in Frankreich behandelt und waren nicht so schwer. Ich löste alle innerhalb weniger Minuten, nahm meinen Zeichenblock und begann mit einer Bleistiftskizze von Dexter.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und drei Jungs kamen laut diskutierend herein. Beim genaueren Hinsehen konnte ich den dunkelhäutigen Typen, der bei meiner Ankunft versucht hat Dexter einzufangen, ausmachen, sowie den Kerl der mit meinem Vater im Ring stand. Den Dritten kannte ich jedoch nicht. Er hatte blonde Haare und blaue Augen und war genau so muskulös wie die andern Typen, die ich gestern in der Halle gesehen hatte. 

Obwohl die 3 schon mitten in der Klasse standen, wurden sie nicht leiser und schienen auch den Lehrer zu ignorieren. Dieser sah sie einfach nur entnervt an und fuhr schließlich mit dem Unterricht fort. Die 3 Typen sahen mich kurz an, zuckten mit den Schultern und setzten sich auf die Plätze neben mich. Ich versuchte unbemerkt etwas von ihnen weg zu rutschen. Trotzdem bemerkte ich, dass sie mir immer wieder verstohlene Blicke zuwarfen. Vor allem der Blonde. Ich sagte jedoch nichts.

"Ich glaube, es ist ein guter Moment für Miss 'Privatschule in Frankreich' um uns zu beweisen, was sie kann. Könntest du die Gleichung an der Tafel lösen kommen?" Jetzt war ich mir sicher, dass ich diesen Lehrer jetzt schon nicht leiden konnte. Kurz blickte ich auf die Gleichung, die ich schon vor 5 Minuten gelöst hatte und nicht so schwer war.

"Rodgers"

"Wie bitte?"

"Miss 'Privatschule in Frankreich' heißt in Wirklichkeit Miss Rodgers. Ist kürzer und leichter zu merken." Mit diesen Worten stand ich auf und ging nach vorne an die Tafel. In wenigen Rechenschritten hatte ich die Gleichung gelöst und setzte mich wieder auf meinen Platz und wurde auch für die ganze restliche Stunde in Ruhe gelassen.

Scars of the pastWhere stories live. Discover now