Kapitel 32: Jeder Wunsch ist schön

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Die viereinhalb Stunden Flug gingen mit Kopfhörern, guter Musik und einem Buch schneller um als ich gedacht hatte. Und das obwohl ich mich eigentlich überhaupt nicht auf die Wörter, Zeilen, Abschnitte, Seiten und Kapitel des Buches konzentrieren konnte. Meine Lippen kribbelten und meine Gedanken schweiften immer wieder zu dem Kuss. Auf meiner Wange spürte ich immer noch die Wärme von seiner Hand, die dort gelegen hatte.

Mir wurde immer deutlicher klar, dass ich etwas für Jonah empfand, das über eine Freundschaft hinauswächst. Weit hinauswächst. Vorher hatte ich immer solche Anzeichen an mir bemerkt aber der Kuss eben, hatte mir die Augen geöffnet. Ich hatte mich in Jonah verliebt. Und das war etwas das mir Sorgen bereitete. Immerhin war er kein normaler Junge. Sonst würde er wohl kaum mit meinem Vater zu tun haben. Die Stimme meiner Mutter riss mich aus meinen Gedanken.

"Allison! Schön, dass du gekommen bist" Dabei zog sie mich in eine herzliche Umarmung, die ich auch sofort erwiderte.

"Ich freue mich auch dich zu sehen, Mum" Hinter Mum stand ihr Freund, Francesco. Zögerlich reichte ich ihm die Hand.

"Hallo, wir hatten keinen so tollen Start. Ich wollte mich dafür entschuldigen" Er ergriff meine Hand und schüttelte sie.

"Ist schon gut. Ich kann verstehen, dass du so reagiert hast" Das war das erste Mal, dass er mit mir sprach. Er hatte eine dunkle Stimme und einen italienischen Akzent. Er nahm mir meinen Koffer ab und trug ihn zum Auto. Mum und ich folgten ihm. Kurz darauf waren wir zu Hause. Es sah alles noch genau so aus wie vor 2 Jahren als ich das Haus verlassen hatte. Überall hingen Bilder von mir, im verschiedensten Alter.

Als ich ein Baby war, als ich meinen ersten Schritt gemacht hatte, als ich Fahrradfahren gelernt habe, meine Einschulung und natürlich fast alle meine Geburtstage. Während ich mir die Bilder ansah, kam das schlechte Gewissen in mir auf. Ich hatte oft schlecht von meiner Mutter gesprochen doch erst jetzt merkte ich, dass sie mir wirklich gefehlt hatte. Natürlich hatte sie ihre Fehler, aber ehrlich gesagt hat jeder Mensch Fehler. Kein Mensch ist perfekt. Ehrlich gesagt freute ich mich sogar sehr eine Woche mit ihr und ihrem Freund zu verbringen. Ich konnte mit ihr wieder die Beziehung aufbauen, die wir einst hatten und ich konnte ihren Freund kennen lernen, der mir jetzt schon sehr sympathisch war.

-

Heute war mein letzter Tag hier in New Orleans. Morgen würde ich wieder in Seattle bei meinem Vater sein. Ich hatte ihn die ganze Woche über vermisst. Schmunzelnd fragte ich mich gerade wie ich eigentlich die letzten 2 Jahre überlebt habe. Ich hatte meine Schuhe in der Hand und lief barfuß durch den weichen Sand des Strandes von New Orleans. Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Meine Lungen füllten sich mit salziger Meerluft. Mit meiner freien Hand strich ich mir durchs Haar um diese zu richten, was eigentlich überhaupt nichts brachte, da der Wind sie wieder durcheinander brachte.

Aber es war mir egal. Ich genoss es einfach. Bis ich jemanden sah. Große, schlanke Statur, braune Augen, braunes Haar. Josh. Wir hatten uns ausgesprochen und vertragen, trotzdem wollte ich ihn gerade nicht sehen. Insgeheim hatte ich sogar gehofft, ihn die ganze Woche, die ich New Orleans verbrachte, nicht anzutreffen. Hatte ja super funktioniert. Und natürlich hatte er mich schon gesehen. Natürlich kam er sofort auf mich zu. Natürlich hatte er seine Freunde im Schlepptau.

Eigentlich hatte ich gar nichts gegen seine Freunde. Im Gegenteil, ich mochte sie. Ich mochte Josh auch, sonst wäre ich wohl kaum eine Beziehung mit ihm eingegangen. Jedoch wollte ich gerade meine Ruhe. Ich zog meine Strickjacke enger um meinen Körper, da es nun doch etwas kälter wurde und lächelte die Jungs vor mir leicht an.

"Hey Ally, was machst du denn hier?"

"Ich bin bei meiner Mutter auf Besuch und ich wollte den Kopf ein bisschen frei kriegen"

"Sind die Jungs bei dir Zuhause so schwer zu ertragen?" Lächelnd schüttelte ich den Kopf.

"Nein, sie sind wirklich in Ordnung, glaub mir. Ich habe nur eine kleine Pause gebraucht von alles" Er nickte.

"Ich verstehe. Wie lange bist du noch hier?" Ich schlang meine Arme um mich und blickte raus aufs Meer.

"Morgen bin ich wieder weg"

"Dann genieße die Stadt noch ein wenig. Vielleicht sehen wir uns ja noch" Er hob die Hand zum Gruß und seine Freunde nickten mir kurz zu bevor sie verschwanden. Ich starrte noch ein wenig aufs Meer hinaus bis ich einen anderen Weg einschlug. Ich wollte, bevor ich wieder nach Seattle fliegen würde, noch irgendwo anders hin. Ich ging nach Downtown New Orleans zum Ogden Museum of Southern Art. Ich ging jedoch nicht ins Museum sondern außen rum. Dort stand die berühmte Before I Die Wall. Ich las mir gerne die verschiedenen Wünsche der Menschen durch.

Es waren immer sehr schöne Wünsche dabei und manche waren einfach so absurd oder lustig, dass man einfach lächeln musste. Plötzlich drückte mir jemand ein Stück Kreide in die Hand und forderte mich auf meinen Wunsch aufzuschreiben. Die Kreide berührte die Wand und wie von alleine begann sich ein Satz zu bilden.

Before I die I want to leave my past behind myself, to love, to be loved and to extend my horizon.

(Bevor ich sterbe, will ich meine Vergangenheit hinter mir lassen, lieben, geliebt werden und meinen Horizont erweitern)

"Das sind sehr schöne Wünsche", meinte eine ältere Dame, die sich gerade meinen Satz ansieht.

"Jeder Wunsch ist schön", antwortete ich lächelnd, was sie ebenfalls zum Lächeln brachte.

"Da hast du Recht", gab sie zu und sah sich nun auch die anderen Wünsche an. Ich hatte alles getan, was ich tun wollte. Nun konnte ich wieder nach Seattle zurückkehren.

Scars of the pastWhere stories live. Discover now